Selbstevaluierung im Unterricht
Da stehe ich - Da will ich hin

Habe ich das verstanden?
Habe ich das verstanden? | Foto: © Hast du den Flow? - photocase.de

Selbstevaluierung hilft dabei, den eigenen Lernprozess aktiv zu steuern. Damit ist sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Autonomie. Was braucht es, damit dieser Schritt gelingt? Was für Formen gibt es? Und wie beeinflusst Selbstevaluierung die Rolle der Lehrenden?
 

Von Cornelia Steinmann

Wenn Lernende sich selbst evaluieren, übernehmen sie Aufgaben, die Lehrpersonen in der Regel als eine ihrer Kernkompetenzen sehen. Auch Lernende erwarten in der Regel, dass sie korrigiert werden und ein Feedback erhalten, was sie gut oder weniger gut können. Lernen ist aber kein passiver Prozess. Man lernt nicht einfach 1:1 das, was präsentiert wird: Man muss sich dieses Wissen aktiv erschließen und zu eigen machen. Es ist also für alle Lernenden wichtig, ob sie nun einen Unterricht besuchen oder nicht, ihre Lernanstrengungen bis zu einem gewissen Grad selbst steuern zu können. Dafür müssen sie wissen, ob sie ihre Ziele erreicht haben. Diese Ziele können von außen kommen – durch eine Aufgabe, einen Kurs oder eine Prüfung –, die Lernenden können sie sich aber auch selbst setzen.

Klare Kriterien helfen bei der Selbsteinschätzung

Selbstevaluierung unterstützt die Lernenden dabei, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und ihr eigenes Lernverhalten entsprechend anzupassen. Listen mit Ich-kann-Beschreibungen, wie sie unter anderem in den Checklisten des Sprachenportfolios verwendet werden, ermöglichen den Lernenden, ihr Sprachniveau eigenständig einzuschätzen. Durch die nach Fertigkeiten aufgeschlüsselten Kann-Beschreibungen lässt sich zum Beispiel sichtbar machen, dass eine Lernerin oder ein Lerner im Lesen schon ein höheres Niveau erreicht hat als in anderen Bereichen.

Viele Lehrwerke haben dieses Prinzip übernommen und präsentieren am Ende einer Unterrichtseinheit Ich-kann-Formulierungen, die sich auf die Lernziele der vorangegangenen Lektion beziehen. Die Lernenden kreuzen an, was sie gut können, was sie noch vertiefen möchten oder wo sie Hilfe brauchen.

Evaluationskriterien lassen sich auch für einzelne Lernaufgaben aufstellen, zum Beispiel für eine Präsentation, ein Plakat oder einen Text. Der doppelte Nutzen solcher Kriterien wird zum Beispiel bei der Vorbereitung auf Prüfungen deutlich. Wenn die Lernenden Kriterien zu einer Schreibaufgabe kennen, können sie auch selbständig üben, was sie noch nicht so gut können. In der Prüfung selbst, wenn die Lernenden ja gerade nicht auf die Hilfe einer Lehrperson zurückgreifen können, dienen sie als Kontrollmechanismus, indem die Lernenden beispielsweise auf bestimmte Fehler oder Formulierungen achten.

Oft genug sind solche Kriterien allerdings nicht aus sich heraus verständlich. Die Aufgabe der Lehrpersonen besteht dann darin, anhand von Beispielen, Mustertexten oder -lösungen Möglichkeiten der Anwendung dieser Kriterien nachvollziehbar zu machen. Das hilft den Lernenden zu erkennen, worauf es ankommt und steigert die Qualität und Genauigkeit ihrer eigenen Bewertung.

Vorgegebene Kriterien können aber auch einschränken, wenn sie nicht die Aspekte abdecken, die für den einzelnen Lernenden gerade wichtig sind. Der Schritt hin zu selbstformulierten Kriterien gelingt, wenn die Lernenden wissen, was sie wie bewerten können. Die Sprachlehrforscherin Karin Kleppin schlägt daher als Vorübung eine Selbstevaluation auf der Meta-Ebene vor. Die Lernenden erhalten zu einer Aufgabe einige Kriterien. Im ersten Schritt kreuzen sie nur an, ob sie glauben, ein bestimmtes Kriterium selbst beurteilen zu können. Nach dieser individuellen Selbsteinschätzung der Lernenden wird mit der Lerngruppe diskutiert, ob und wie ein bestimmtes Kriterium selbst überprüft werden kann. Das Kriterium „Ich habe den Text am Schluss auf meine typischen Fehler kontrolliert“ ist viel konkreter als das Kriterium „Ich habe keine Fehler gemacht“. Es enthält eine Handlungsanweisung und berücksichtigt individuelle Probleme.
Klassisches Mittel der Selbstevaluation: der Merkzettel
Klassisches Mittel der Selbstevaluation: der Merkzettel | © Goethe-Institut
Individuelle Lernfortschritte sichtbar machen Eine wichtige Funktion von Selbstevaluierung besteht darin, den Lernenden individuelle Fortschritte bewusst zu machen. Zu sehen, dass man selbst vorankommt, kann in Gruppen mit großen Leistungsunterschieden die eigene Motivation erhalten. Dasselbe gilt für Lernende auf höheren Niveaus, denen es oft nicht mehr so leicht fällt Fortschritte zu erkennen. Zu den vielfältigen Möglichkeiten gehören:
  • Die Lernenden schreiben regelmäßig in wenigen Minuten kurze Texte zu für sie einfachen Themen. Jeweils am Ende zählt jeder Lernende individuell seine Wörter und trägt die Anzahl in eine einfache Grafik ein. Über mehrere Tage oder Wochen zeigt sich, wie der Schreibprozess flüssiger wird und sich Wörter schneller abrufen lassen. Von Zeit zu Zeit können andere Evaluationsmethoden hinzugezogen werden, um weitere Aspekte wie Korrektheit oder Verständlichkeit einzubeziehen.
  • Eine Lernaufgabe, die vor einiger Zeit noch Mühe bereitet hat, wird noch einmal bearbeitet. Anschließend vergleicht jede/r Lernende die beiden Ergebnisse der Aufgabe und notiert zwei bis drei Punkte, die bei der Neubearbeitung besser gelungen sind als beim ersten Versuch.
  • Die Lernenden sammeln in einem Portfolio Lernprodukte wie zum Beispiel im Unterricht erstellte E-Mails, Zusammenfassungen, Musterdialoge oder Audioaufnahmen und halten fest, inwiefern diese Produkte ihren Lernweg repräsentieren.

Selbstevaluierung wirkt sich auf den Unterricht aus

Wenn Lernende im Rahmen von Unterricht evaluieren sollen, was sie gut beziehungsweise noch nicht so gut können, dürfen sie auch erwarten, dass auf ihre individuellen Bedürfnisse so weit wie möglich eingegangen wird. Das kann zum Beispiel heißen, dass sie individuelle oder zumindest auf bestimmte Bedürfnisse zugeschnittene Tipps erhalten oder bei einigen Aktivitäten Wahlmöglichkeiten haben. Das szenariobasierte Unterrichtskonzept Fide, das für den Integrationsbereich bis Niveau B1 entwickelt wurde, zeigt, wie die Bedürfnisse der Teilnehmenden mithilfe von Portfolioarbeit und Selbstevaluation berücksichtigt werden können.

Weil die Lernenden die Beurteilungskriterien verstehen müssen, um sich selbst evaluieren zu können, schafft Selbstevaluation mehr Transparenz. Auch Beurteilungen durch die Lehrpersonen werden so nachvollziehbarer. Zudem sind Lernziele einfacher erreichbar, wenn sie durch Kriterien in einzelne Komponenten zerlegt werden. Das macht Lernerfolg planbarer und fördert die Motivation.

Nicht zuletzt bereitet Selbstevaluierung auch auf die Zeit nach der Schule oder dem Abschluss des Kurses vor. Lernende, die in der Lage sind, Lernfortschritte mit selbstgewählten Methoden zu überprüfen und ihre Lernprozesse wenn nötig anzupassen, sind auf lebenslanges Weiterlernen gut vorbereitet.

Selbstevaluierung soll die Fremdevaluation durch Lehrpersonen oder externe Tests nicht verdrängen oder ersetzen, sondern ergänzen. Diesem Prinzip folgt der Niveaueinstufungstest Dialang, der eine Selbsteinschätzung mit Testfragen kombiniert. Feedback und Bestätigung von außen sind wichtig. Zusammen mit der Selbsteinschätzung ergeben sie ein ausgewogenes Bild. Auf dieser Grundlage können Lehrende und Lernende gemeinsam Ziele und Lernwege aufeinander abstimmen.
 
 

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