Woche 10
Die kleinen und großen Besonderheiten

Die kleinen Dinge des Lebens…
… doch die wichtigsten Dinge sind ja sowieso keine Dinge. Es sind die Menschen, die unsere Wege kreuzen, uns begleiten, uns herausfordern oder beschenken. All‘ die flüchtigen und intensiven Begegnungen, die uns das Leben beschert, sind die wichtigen kleinen Dinge des Alltags. Seit ich in China bin, weiß ich besonders diese kleinen Dinge noch viel mehr zu schätzen.
Diese Woche war mein Geburtstag. Normalerweise lege ich keinen großen Wert auf diesen Tag, ich werde schließlich nur ein Jahr älter. Doch dann gab es da Menschen, die diesen Tag für mich in China ganz besonders gestalteten. Zum einen meine Nachbarin Ana, die extra für mich Italienisch gekocht hat, um mir eine Freude zu bereiten. Es gab Pasta Bolognese mit Parmesan (Käse ist in China leider eine Rarität) und italienischen Kräutern. Auch wenn wir die chinesische Küche mögen, so zieht es uns kulinarisch doch ab und zu in heimische Gefilde. Dazu bekam ich den wohl verrücktesten Geburtstags“kuchen“ meines Lebens, einen Turm aus Schokoladencroissants. Die chinesischen (Geburtstags-)Torten kann man in vielen Schaufenstern der lokalen „Bäckereien“ bestaunen. Diese sind kunterbunt und sehen somit für mich eher abschreckend als lecker aus. Außerdem sagte man mir, die Torten seien sehr süß. Den Abend haben wir gemeinsam mit Flo und ihrem Mann, Amelie und Saskia, die aus Peking zu Besuch war, verbracht. Mit so viel Mühe und Liebe nur für mich habe ich nicht gerechnet, umso dankbarer und glücklicher war ich, dass diese Menschen, die einen Platz in meinem Herzen haben, den Abend mit mir verbracht haben.
Zum anderen überraschten mich die Schülerinnen und Schüler meiner 10er Kurse. Ich wurde morgens von einer Deutschlehrerin in die Schule gelockt, weil „die SchülerInnen vielleicht eine Überraschung haben“. Sie haben für mich ein deutsches Geburtstagsständchen einstudiert, was ein Schüler am Klavier begleitete. Damit noch nicht genug, sie haben für mich gebastelt, gezeichnet und mir Geschenke überreicht. Ich war nicht nur gerührt, sondern auch etwas peinlich berührt. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Mein 25. Geburtstag in China wird mir vermutlich immer in Erinnerung bleiben. Nicht nur, weil ich ihn in China feierte, sondern weil ihn die Menschen, die mich hier in China tagtäglich begleiten, besonders gemacht haben.

Ein Teil meines A1 Deutschkurses des 10. Jahrgangs
Ein Teil meines A1 Deutschkurses des 10. Jahrgangs | © Charlene Hennecke
Eine weitere Besonderheit
… das Reisen. Ich habe das große Privileg, nur drei Tage die Woche arbeiten zu müssen, um die restliche Zeit das Land zu bereisen und mich mit der chinesischen Kultur auseinandersetzen zu können. Das koste ich seit einiger Zeit sehr intensiv aus, um in der mir verbleibenden Zeit möglichst viel zu sehen und zu erleben. Das Land ist unglaublich vielfältig und ich möchte so viele Eindrücke wie möglich bekommen, denn wann ich wiederkommen werde, weiß ich schließlich nicht. Dennoch stimmt mich das viele Verreisen manchmal nachdenklich. Ich beziehe mich noch einmal auf den bereits erwähnten Sonderstatus, den ich hier als Fremdsprachenlehrerin genieße. Ich beginne jedes Wochenende verfrüht. Ich steige in den Zug oder das Flugzeug, um das Leben in einer anderen Stadt zu genießen, während meine Kolleginnen noch viele Stunden arbeiten müssen, bevor ihr wohlverdientes Wochenende endlich beginnt. Die meisten von ihnen haben China noch nie verlassen. Auch aus Xi’an kommen sie höchstens für eine Lehrerfortbildung heraus. Ihren Urlaub verbringen sie in den großen Schulferien bei den Eltern auf dem Land. Ihr ganzer Alltag dreht sich um die Schule. Wie gerne würde ich sie einfach mal mitnehmen, damit sie ihrem stressigen Alltag für eine kurze Zeit entfliehen können und die bunte Vielfalt ihres Landes nicht nur aus Erzählungen kennenlernen…

Ab in den Süden
Dieses Wochenende waren Amelie, Anuschka, Laila und ich in Guilin verabredet, ein Ort im Südosten Chinas. Guilin stand auf meiner To-do Liste für China ganz oben, ein absolutes Muss. Die durch das subtropische Klima mediterran angehauchte Stadt soll nämlich ganz anders als der Norden sein. Allerdings suchten wir uns für unseren Trip nicht unbedingt das beste Reisewetter aus. Bereits der Flug von Xi’an nach Guilin war eine einzige Wackelpartie, für mich mit Flugangst ein Alptraum. Ein Unwetter sorgte für andauernde Turbulenzen und einen konstant hohen Puls. Die anderen beiden konnten deshalb erst verspätet in Wuhan starten, nicht unbedingt die besten Voraussetzungen.
Nach unserer Ankunft verdrängte ich die Erlebnisse des Fluges schnell. Es herrschten für den Süden zwar verhältnismäßig kalte Temperaturen, doch ich erfreute mich an der feuchten Luft, die mit guter Luftqualität einher ging und wie Balsam für meine (gefühlt) nahezu ausgetrocknete Lunge war. Während der Taxifahrt in das Zentrum von Guilin, wo sich unsere Unterkunft für die nächsten Tage befand, schaute ich mich aufmerksam um. Ich nahm ein ganz anderes Flair wahr. Die Stadt ist von den malerischen Karstkegeln eingehüllt und die Straßenränder sind mit Palmen geschmückt. Der erste Eindruck begeisterte mich.
Am nächsten Tag machten wir uns schon früh morgens auf den Weg. Uns zog es aufs Land. Ziel waren die etwa 120km von Guilin entfernten Reisterrassenfelder in Longsheng, die besonders spektakulär in der Nähe des Dorfes Longji sein sollen. Die Busfahrt dorthin war bereits ein Abenteuer. Im Nachhinein frage ich mich, wie wir dort heil ankommen konnten. Der mutige Busfahrer versuchte den Schlaglöchern der engen Schotterstraßen mehr oder weniger erfolgreich auszuweichen, um uns eine sanfte Busfahrt zu ermöglichen. Das gelang ihm allerdings nicht wirklich. Er startete gefährliche Überholmanöver (wir vermuten, dass wir der Grund dafür waren, wir kamen nämlich zu spät zum vereinbarten Treffpunkt). Völlig normal und ohne Rücksicht auf Verluste wurde der Gegenverkehr einfach weggehupt, um die Bahn frei zu haben. Nach knapp zwei Stunden über Berg und Tal kamen wir in Longsheng an.
Reisterrassen von Longsheng
Reisterrassen von Longsheng | © Charlene Hennecke
Nun mussten wir nur noch die bereits gebuchte Unterkunft inmitten der Reisterrassen des kleinen Dorfes Dazhai finden. Kein Problem, so dachten wir zumindest, denn aus den Bewertungen ging hervor, dass der Weg beschildert sei. Der Weg war aus uns unerklärlichen Gründen natürlich nicht beschildert, auch die Karten-Apps hatten Probleme uns zu orten, kein Wunder, irgendwo im Nirgendwo. So irrten wir bei nasskaltem Wetter durch die Berge, erfolglos auf der Suche nach unserer Unterkunft. Halb so schlimm, der Anblick der sanften, unendlich oft gerundeten, über- und hintereinander geschwungenen Reisterrassen hat uns entschädigt.
Amelie, Laila, Anuschka und ich
Amelie, Laila, Anuschka und ich | © Charlene Hennecke
Durchgefroren und durchnässt kamen wir nach vielen Stunden der Wanderung endlich in unserer Unterkunft an. Wir suchten uns eine für das Gebiet typische, mehrgeschossige Holzbebauung aus (leider – weil wir uns im Süden befinden - unbeheizt). Eigentlich wollten wir noch weitere Aussichtspunkte erklimmen, doch daran wollten und konnten wir nicht mehr denken. Wir machten es uns mit einer heißen Schokolade, reichlich Essen und einem Kartenspiel auf dem Sofa vor einem Heizpilz bequem und schoben eine weitere Wanderung auf den nächsten Tag. Bevor es dann am späten Nachmittag zurück nach Guilin ging, machten wir uns im strömenden Regen auf den Weg zu weiteren Aussichtspunkten. Zu schön war der Blick über die malerischen Reisterrassen. Wir waren nahezu alleine auf den Wegen. Diese uralte Kulturlandschaft versprühte eine Ruhe, die uns trotz Regen zum Bleiben animierte. Der Nebel wurde zwar dichter, je höher wir stiegen, doch dieser verlieh den Reisterrassen einen ganz besonderen Charme. So entschlossen wir uns kurzerhand mit der Seilbahn noch höher zu fahren.
  • Der Ausblick über Longji © Charlene Hennecke

    Der Ausblick über Longji

  • Der Ausblick über Longji © Charlene Hennecke

    Der Ausblick über Longji

Unser Touri-Programm war wie immer straff. Uns zog es als nächstes zu den berühmten Karstkegeln, die auf einer Kreuzfahrt auf dem Li-Fluss zu bestaunen sind. Auf Empfehlung unserer Reiseführer buchten wir über unser Hostel in Guilin eine 4-stündige Bootsfahrt auf dem Li-Fluss. Das Wetter war mehr als bescheiden, trotzdem waren wir nicht die einzigen Touristen. Die Boote reihten sich auf dem Fluss wie Perlen an einer Halskette. Während wir entspannt auf dem Boot schipperten, übertraf sich das chinesische Landschaftsmotiv immer wieder selbst an Schönheit. Die Kulisse wird von unzähligen, in Nebel eingehüllten, grünen Bergkegeln geziert. Das Motiv hat es sogar auf den 20RMB Geldschein geschafft.
  • Bilderbuchlandschaft des Li-Flusses © Charlene Hennecke

    Bilderbuchlandschaft des Li-Flusses

  • Bilderbuchlandschaft des Li-Flusses © Charlene Hennecke

    Bilderbuchlandschaft des Li-Flusses

Die Kreuzfahrt endete schließlich im 80km entfernten Yangshou. Nach einer Stärkung im Café erkundeten wir die Stadt zu Fuß. Die Stadt scheint das touristische Epizentrum zu sein, es reihen sich unzählige Souvenirlädchen, Straßenverkäufer und Bars aneinander. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie voll es bei schönem Wetter sein muss. Von dem hochgelobten Yangshou erhoffte ich mir irgendwie mehr. So ließen wir uns durch die Gassen bis zum Flussufer treiben, wo uns der Bus wieder abholte und zurück nach Guilin brachte.
Touristisches Herz von Yangshou
Touristisches Herz von Yangshou | © Charlene Hennecke
Unser Abendessen nahmen wir in einem hervorragenden indischen Restaurant ein, was der Lonely Planet empfahl. Wir schlenderten durch die Stadt zurück Richtung Unterkunft und schossen ein paar letzte Erinnerungsfotos, denn es war Anuschkas letztes Wochenende in China. Fazit: Guilin, insbesondere die Reisterrassen in Longsheng und der Li-Fluss sind aufgrund der einzigartig malerischen Landschaft auf jeden Fall eine Reise wert. Wettertechnisch hatten wir einfach Pech. Ich würde definitiv wiederkommen, bevorzugt aber im Frühling oder Sommer.
Vor den Zwillingspagoden in Guilin
Vor den Zwillingspagoden in Guilin | © Charlene Hennecke

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