Blog #3
Guilin - „Die Perle von China“
Wie eigentlich jede Woche auch, verlasse ich genau wie die Schülerinnen und Schüler am Wochenende den Schulcampus und gönne mir zwei freie Tage. Ich möchte China, Shenzhen, allgemein das Land und insbesondere die Städte mit den milden Temperaturen in Südchina genauer erkunden. Außerdem will ich mich von der vielversprochenen Diversität des Landes überzeugen lassen. Bisher habe ich die Städte nämlich nur als laut, sehr weitläufig, aber mit einer unglaublichen Bevölkerungsdichte und übersäht von Shoppings Malls wahrgenommen. Wie ihr vielleicht hört, sind meine Beschreibungen nicht ganz objektiv und vorurteilsfrei. Eine Reise nach China kam für mich bisher eigentlich nie in Frage. Orte mit tropischem Wetter, malerischen Stränden, einer spannenden Landschaft und vor allen Dingen surfbaren Wellen gehören eigentlich zu meinen favorisierten Urlaubszielen – China fiel da völlig aus dem Raster. Als die Entscheidung schließlich auf China fiel, versuchte ich mich mit dem Gedanken anzufreunden und sah es als Wink des Schicksals an in diese Kultur einzutauchen, um einen großen Schritt aus meiner Reisekomfortzone zu wagen.
Für das dritte Wochenende in China, an dem ich auch Geburtstag hatte, habe ich Guilin als Reiseziel ausgewählt, auf die Empfehlung meiner betreuenden Lehrkraft hin. Guilin liegt in der nordöstlichen Region Guangxi in Südchina und ist bekannt für seine malerische Natur. Der Li River, der Elefantenrüsselberg, die Reisterrassen von Longsheng oder die „Reed Flute Cave“ sollen Guilin zu einem der beliebtesten Reiseziele für nationale, aber auch internationale Touristen machen. Auch von meinen chinesischen Schülerinnen und Schülern habe ich nur Gutes gehört, sodass die Erwartungen meinerseits sehr groß waren. Das Wetter sollte ähnlich gut, wohl noch besser, als in Shenzhen sein und ich freute mich darauf, der Lautstärke, der Größe und der weiten Wege in der Metropole Shenzhen mal kurz entfliehen zu können. Und es sollte noch besser werden: Meine Freundin und Mitpraktikantin Andrea (ebenfalls SCHULWÄRTS!) buchte sich extra einen Flug aus Hangzhou, um mit mir das Wochenende zu verbringen.
Angekommen an der „Guilin North Train Station“ war mir vor allen Dingen eines: kalt! Ich schleppte mich mit meinem Gepäck und in meiner Winterjacke, die ich zum Glück dabei hatte, durch den starken Regen. Mit mehr Glück als beispielsweise guter vorheriger Recherche schaffte ich es, mich mit Händen und Füßen so zu verständigen, dass ich schlussendlich in den richtigen zwei Bussen zum Hostel saß. Mein Tipp Nummer eins für jede Reise innerhalb Chinas ist definitiv stets jede Adresse in chinesischer Schrift dabei zu haben. Mit Angaben auf Englisch kann hier niemand etwas anfangen. Das Problem ist dann nur, dass die Erklärung des Weges anschließend auf Chinesisch erfolgt – irgendwie nimmt der Kreislauf an Missverständnissen hier immer wieder seinen Anfang ;-)
Den Weg auf einer Offline-Karte mit zu verfolgen, um ungefähr erahnen zu können, wo das gesuchte Ziel ist oder sich von irgendjemanden zum richtigen Zeitpunkt aus dem Bus schmeißen zu lassen, sind zwei weitere gute Optionen. Klappt beides immer irgendwie, mit ausreichend Geduld und Gelassenheit! Nach dieser Reise werde ich ganz sicher die beiden Kompetenzen verbessert haben und auch die Gestik und Mimik von Menschen deutlich besser lesen und interpretieren können!
Aus irgendeinem Grund stand uns nach kurzer Zeit für den restlichen Abend freies Bier zu Verfügung und jeder Partygast zeigte uns auf die eigene Art und Weise den Club. Wir waren nicht mehr alleine, keine Außenseiter mehr, die angestarrt wurden, sondern wir waren ein Teil des Ganzen. Vielleicht war es auch viel mehr als das. Ich hatte das Gefühl, jeder wollte in unserer Nähe sein, mit uns tanzen oder uns einfach berühren. Schon merkwürdig, als so besonders eingestuft zu werden. Aber es tat gut, dass das starrende Schweigen der Chinesen auch mal durch Interaktionen und Kommunikation gebrochen werden konnte. Meinen Geburtstag in dieser Location und auf solch eine Art zu feiern, war auf jeden Fall etwas ganz Neues und Unvergessliches!
Für den zweiten Tag entschieden wir uns trotz des Dauerregens und der wenigen Stunden Schlaf für eine Bootstour auf dem Li River in Yangshuo. Schließlich sei dies ein „Must See“ bei einem Kurztrip in Guilin. Wir fuhren mit dem Touristenbus circa zwei Stunden bis zum Startpunkt an einem Fluss. Als Wiedererkennungsmerkmal unserer Gruppe bekam jeder von uns einen Pandasticker auf die Jacke geklebt. Entschuldigung an dieser Stelle, aber das war für mich mal wieder „typisch für die Chinesen“ ;-)
Während der gesamten Fahrt sprach der namenslose Tourguide ohne Punkt und Komma in einer rasanten Geschwindigkeit. Dabei wechselte er zwischen Chinesisch und Englisch. Ich jedenfalls habe die Sprachwechsel trotz großer Mühe einfach nicht wahrnehmen können. Eine winzige Information blieb dann doch hängen: Es sei unglaublich wichtig, dass wir uns nicht verlieren. Hierfür sollten wir immer in Begleitung von chinesischen Mitgliedern der Gruppe sein, die uns stets an den nächsten Treffpunkt bringen sollten. Na, da war ich ja mal gespannt, was auf so einer durchgeplanten Tour noch schiefgehen sollte!
Auf der Suche nach einem verspäteten Mittagessen (es war bereits 16:30 Uhr) wurden unsere Nerven erneut geprüft. Jeder Laden, der scheinbar irgendetwas Essbares verkaufte, entsprach nicht unseren Vorstellungen. Entweder war es zu dreckig, super ungemütlich und kalt oder es gab mal wieder einfach nichts Vegetarisches für mich. Nach weiteren 45 Minuten des Herumwanderns, gab es dann mal wieder Reisnudeln in irgendeiner Brühe, getoppt mit Pakchoi. Ich will mich nicht beschweren, denn es wärmte uns zumindest etwas auf!
Die Suche nach dem richtigen Bus gestaltete sich dann doch schwieriger als gedacht. Niemand konnte uns verständlich mitteilen, wo wir hin mussten. Also liefen wir hin und her und hofften auf irgendjemanden, der uns auf Englisch weiterhelfen konnte. Genervt und völlig erschöpft saßen wir irgendwann im Expressbus nach Guilin – es dauerte zwei Stunden, aber wir waren ja noch nicht am Hostel ...
Eine weitere Beschreibung der Suche nach dem richtigen Weg erspare ich euch an dieser Stelle. Schließlich sind wir ja doch im Hostel angekommen. An diesem Punkt spürten wir aber erst so richtig, wie erschöpft wir waren und dass China und Guilin diesmal einfach zu viel für uns waren. Wir entschlossen uns, keine weitere Nacht im Hostel zu verbringen und buchten uns schließlich für eine Nacht ein luxuriöseres Hotel, um neue Kraft zu tanken. Wer glaubt, es sei sündhaft teuer gewesen, irrt sich. Im „Ease Hostel“ (übrigens sehr zu empfehlen) bezahlten wir pro Nacht 18 Euro für ein Doppelzimmer mit eigenem Bad. Im Fünf-Sterne Hotel waren es 27 pro Person inklusive Frühstück, einem Pool und einem Fitnessraum. Für gemütliche Betten mit warmen Decken und einem westlich angehauchtes Frühstück, fanden wir das schon in Ordnung.
![Hotel Krafttanken im Hotel © © Juhmanah Kabbany Hotel](/resources/files/jpg763/ll7ljilet9soh6iklydqq_thumb_362c-formatkey-jpeg-w320m.jpeg)
Schließlich war das Wochenende vorbei und wir beide reisten wieder an unsere Schule. Auf dem Weg zurück spürte ich das allererste Mal so etwas wie Heimweh. Es war nicht so, dass ich unbedingt zurück nach Deutschland wollte, aber ich fühlte mich hier in China einfach fehl am Platz. Ständig angeschaut zu werden, stets aufzufallen, aber trotzdem so alleine zu sein, war einfach nicht immer so leicht. Das Ankommen an der Schule in Shenzhen fühlt sich zum Glück immer vertrauter an und eigentlich ist mir auch bewusst, dass ich meistens nur eine Nacht über meine trüben Gedanken schlafen muss. Ich denke Zweifel, Heimweh und Einsamkeit gehören auf so einer Reise einfach genauso dazu wie die positiven Dinge, die ich hier ebenfalls erlebe. Es liegt nur wohl leider in der Natur des Menschen, in mir, dass schlechte Dinge oder Erlebnisse schneller wahrgenommen werden und ihnen eine höhere Wertigkeit zugeschrieben wird. Ich lerne hier jeden Tag unglaublich viele Dinge dazu und hoffe, dass ich auch weiterhin die Fähigkeit besitze, offen, glücklich, und hoffnungsvoll die kulturellen Herausforderungen zu meistern. Eine gute Freundin erklärte mir den englischen Begriff hierfür: „resilient“. Das bedeutet, dass man, auch wenn einem Negatives widerfährt, man die Fähigkeit besitzt, seine Situation jederzeit ändern zu können, um wieder das Positive zu fokussieren.
Zusammenfassend mag ich an dieser Stelle auch kein schlechtes Urteil über Guilin fällen. Es war aufregend, spannend, aber auch nass, anstrengend und lehrreich. Zumindest war ich froh diese Reise nicht alleine gemacht zu haben, sondern mit Andrea meiner SCHULWÄRTS!-Kumpanin und mittlerweile guten Freundin.