Blog #6
Eine Reise nach Peking – und meine Gefühle fahren Achterbahn... Teil 1

Okay, mir ist selbst klar, dass die Überschrift vielleicht etwas zu viel ist und sie stark an den Titel eines Nummer 1-Hits aus der Schlagerszene erinnert. Ich weiß nur nicht, wie ich anfangen soll, wie ich die vergangenen Tage beschreiben und bezeichnen kann...
Insgesamt ist in den letzten sieben bis zehn Tagen wieder so unglaublich viel passiert und es ist so viel schiefgegangen, dass ich die Grenzen meiner individuellen Belastbarkeit deutlich gespürt habe. Jetzt gerade ist aber beinahe genug Zeit verstrichen, so dass ich das Ganze fast mit Humor betrachten kann. Mir ist klar, dass ich spätestens zurück in Deutschland, rückblickend über mein Pech oder naja, vielmehr über meine eigene Tollpatschigkeit, einfach nur lachen werde.
Um das Ganze etwas übersichtlicher zu gestalten und eine Struktur in mein persönliches Chaos zu bringen, fange ich einfach mal ganz von vorne an und lassen die letzten Tage Revue passieren.

Vor der Abreise
Eine Auszeit in Peking, eine kleine Flucht aus dem tropischen Shenzhen, hätte nicht besser passen können. Etwa vier Tage vor meiner Abreise wachte ich eines Morgens mit unzähligen Stichen an meinem Beinen auf, die erstaunlicherweise doppelt so stark juckten wie beispielsweise Mückenstiche aus Deutschland. Ich machte mir keine großartigen Gedanken, wusste ja, dass es hier in der Region viele Mücken geben sollte. Das Gift der chinesischen Mücken schien nur einfach etwas intensiver zu sein?! Komischerweise hatte ich am Abend zuvor jedoch keine einzige Mücke in meinem Zimmer sehen oder hören können. Ich kratzte mich also durch den Tag und bereitete mein Zimmer und mich für die nächste Nacht vor – die Mückenstecker für die Steckdose und das Mückenspray kamen zum Einsatz. Außerdem blieb das Fenster geschlossen und ich schlief mit Klimaanlage. In der Nacht fing der Horror dann erst wirklich an. Im Bett hatte ich das Gefühl permanent gestochen zu werden, alles juckte und brannte an meinem Körper, aber von Mücken war keine Spur. Ich versuchte, die Nacht mit kalten Duschen und in Wasser getränkten Handtüchern, die ich um meine Beine wickelte, zu überstehen. Am nächsten Morgen zählte ich etwa 77 neue Stiche und meine Beine waren vom ganzen Kratzen total angeschwollen. Alles brannte und ich konnte mich den restlichen Tag auf nichts anderes mehr konzentrieren. Nach einer weiteren Nacht voller neuer Stiche und einer mittlerweile allergischen Reaktion meiner Haut, beschloss ich die Schulklinik zu besuchen. Ich nutze meine Übersetzungsapp, um mein Problem zu schildern. Insgesamt besuchte ich die Klinik dreimal an dem Tag, da ich jedes Mal eine Art Mentholbalsam für die Lippen bekam. Dieses Zeug machte alles nur noch viel schlimmer!
Ich war verzweifelt und wollte keine weitere Nacht mehr in diesem Zimmer verbringen, wollte einfach nur ein Mittel haben, welches das Jucken und Brennen etwas lindern würde. Wieder einmal fühlte ich mich verloren und total alleine in diesem Land. Dass ich einfach kein Chinesisch kann und hier kaum eine Person Englisch spricht, ist definitiv die größte Herausforderung der gesamten Reise.
Schließlich holte ich mir Hilfe von Zuhause, von meiner Familie. Per Ferndiagnose wurde festgestellt, dass es sich um Stiche von Bettwanzen handeln müsse. Ich besorgte  mir dieses Mal ein Medikament aus der Apotheke im Viertel und es klappte überraschenderweise – meine Übersetzung schien besser gewesen zu sein. :) Trotzdem stand eine komplette Reinigung des Zimmers und meiner gesamten Kleidung an. Da es mal wieder abends und meine betreuende Lehrkraft verreist war und ich bereits am nächsten Tag nach Peking fliegen sollte, musste ich wohl noch eine weitere Nacht überstehen. Das Medikament milderte glücklicherweise etwas das Jucken.  Am nächsten Morgen wachte ich trotzdem, nicht ganz überraschend, mit weiteren Stichen auf. Ganz nach dem Motto „Aus dem Auge, aus dem Sinn“ verlies ich an diesem Tag Shenzhen und die Wanzen in meinem Zimmer, freute mich auf Peking, auf das Zwischenseminar des Goethe-Institutes und auf die anderen Praktikanten von SCHULWÄRTS!.

Der Tag der Abreise
Pünktlich nach meiner letzten Unterrichtsstunde wurde ich mit dem schuleigenen Bus zum Flughafen gefahren. Unglaublich entspannt und mit enormer Vorfreude, aber nach wie vor juckenden Beinen, ging ich zum Schalter der Airline, um mein Gepäck einzuchecken. Dass ich zunächst erst einmal wieder nur ungläubig und fragend angeschaut wurde, überraschte und verunsicherte mich mittlerweile nicht mehr. Ich holte mein chinesisches Flugticket heraus und wartete auf weitere Anweisungen. Doch die nächste Information, die ich erhielt, war, dass mein Flug gecancelt wurde. Hinter mir drängelten bereits andere Passagiere. So stand ich nun da, wusste mal wieder nicht, wie es weiter ging, da mir von selbst kein Alternativflug angeboten wurde. Da ich sowieso von den vergangenen Tagen erst recht nervlich belastet war, musste ich mich extrem zusammenreißen, so einigermaßen die Ruhe zu bewahren. Ich atmete tief durch, machte mich auf die Suche nach einem englischsprachigen Mitarbeiter, der mich dann glücklicherweise auf einen anderen, späteren Flug umbuchen konnte. Schließlich sah ich dann alles doch relativ gelassen, freute mich auf die zusätzliche Zeit am Flughafen und auf die Möglichkeit, in Ruhe den einen oder anderen Kaffee trinken zu können. Das Einzige, was meine Entspannung etwas hemmte, war meine spätere Ankunftszeit. Ich wusste, dass der Flughafen in Peking weit entfernt von unserer Unterkunft lag. Normalerweise könnte man problemlos und günstig den öffentlichen Bus oder den „Fast Train“ nehmen. Laut meiner Information und die des Goethe-Instituts fuhren diese jedoch nur bis 23 Uhr – ich landete jedoch erst um 23:23 Uhr. Ich stellte mich also schon einmal auf eine Fahrt mit dem Taxi ein, wofür ich etwa den zehnfachen Preis bezahlen musste – egal, es war ja sowieso nicht zu ändern!
So verbrachte ich also seelenruhig die Zeit am Flughafen und ging rechtzeitig nach einigen Stunden Wartezeit zum Boarding. Zuvor checkte ich nur einmal die Anzeigetafel, sah einen Flug in Richtung Peking. Das musste mein Flug sein! Wie immer wartete ich, bis alle Passagiere bereits im Flugzeug waren und stellte mich erst dann in die Reihe – es waren noch etwa zehn Minuten Zeit bis zum Abflug. „Perfekt getimed“, dachte ich, bis mich der Mitarbeiter beim Eingang darauf hinwies, dass dies gar nicht mein Flug sei. In mir stieg Panik auf, er hingegen checkte seelenruhig sein Handy, um mir das richtige Gate nennen zu können – was auf jeden Fall nett war, nur für mich zählte in diesem Moment jede Sekunde. Eine gefühlte Ewigkeit später und ohne neue Informationen, rannte ich einfach los zur nächsten Anzeigetafel. Ich befand mich zu dem Zeitpunkt am Gate 16 und stellte fest, dass der richtige Flug vom Gate 33 startete.
Ich rannte und rannte, konnte meine Verzweiflung und Tränen nicht mehr kontrollieren und war mir eigentlich schon sicher, nicht mehr rechtzeitig anzukommen. Wieder einmal war mein Auftreten und Verhalten mehr als auffällig und es war wahrscheinlich auch unangebracht meine Gefühle so offen zu zeigen – wieder mal sprach mich jedoch niemand auf mein Verhalten an.
Zehn Minuten nach der geplanten Abflugzeit stand ich nun am bereits geschlossenen Gate. Die Mitarbeiterinnen wussten scheinbar genau was geschehen war und wer ich bin, ließen mich aber zunächst einige Minuten im Ungewissen stehen. Überraschenderweise durfte ich kurze Zeit später doch noch in das Flugzeug steigen, welches zu meinem Glück eine deutliche Verspätung hatte. Das war Schicksal und das Glück war dieses Mal auf meiner Seite, würde ich sagen! 

Überraschung von den SCHULWÄRTS!–Mädels nach einer langen, anstrengenden Reise
Überraschung von den SCHULWÄRTS!–Mädels nach einer langen, anstrengenden Reise | © Juhmanah Kabbany
Nach dieser spannenden Anreise, mehreren Umwegen und einem Spaziergang über chinesischen Baustellen, mitten in der Nacht auf der Suche nach dem richtigen Hotel, freute ich mich so sehr auf das Ankommen und eine „wanzenfreie“  Nacht in Peking. Jeglicher Stress des vergangenen Tages war spätestens dann vergessen, als ich noch die süße Botschaft und die Snacks vor meiner Zimmertür entdeckte, womit mich meine Freundinnen von SCHULWÄRTS!  überraschten!

Zwei Tage Zwischenseminar des Goethe-Instituts
Die nächsten zwei Tage verliefen dann zum Glück deutlich unproblematischer, aber nicht weniger spannend. Das Goethe-Institut Peking organisierte ein Zwischenseminar für alle SCHULWÄRTS!-Praktikanten in China. Wir waren eine bunt gemischte Truppe, wovon einige, so wie ich, bereits einige Zeit an der Schule waren, andere wiederum sollten erst in ein paar Tagen den ersten Tag an ihrer Schule haben. Ich glaube, für jeden von uns war dieses Treffen enorm wichtig und hilfreich. Allein aus persönlicher Sicht taten die privaten Gespräche und der Austausch über die Schulen, die bisherigen Erfahrungen und die vielen Herausforderungen hier in China extrem gut. Außerdem fühlte ich mich im Goethe-Institut seit Wochen das erste Mal wieder völlig normal. Ich würde sagen, wir befanden uns in einer Art  „deutschen Blase“ mitten in China. Einfach mal Deutsch zu sprechen, ohne darauf zu achten, einen vereinfachten Wortschatz und eine simple Satzstruktur zu verwenden, sodass man von jedem verstanden werden konnte, war auch mal ganz schön!
Vorbildlich schützten wir uns auch während des Seminars vor dem starken Smog in Peking
Vorbildlich schützten wir uns auch während des Seminars vor dem starken Smog in Peking | © Juhmanah Kabbany

Zudem musste ich feststellen, dass wirklich kaum jemand von uns den Start hier in China als einfach empfand und dass jede und jeder mit den kulturellen Unterschieden zu kämpfen hatte oder noch immer hat. Der Spruch „Geteiltes Leid ist halbes Leid!“ passt in diesem Zusammenhang ganz gut! Wir konnten feststellen, dass unsere Schulen, die Betreuung durch die chinesischen Lehrkräfte und unsere Unterbringung kaum unterschiedlicher hätten sein können. Viele beklagten sich über eine von der Schule festgesetzte nächtliche Ausgangssperre, andere wiederum durften sich nicht ausreichend genug am Deutschunterricht beteiligen und waren hauptsächlich zum Hospitieren da. Ich konnte mich eigentlich nur über die Wanzen in meinem Zimmer beklagen und die Tatsache, dass mich die weite Entfernung vom Schulzentrum schon sehr vom Leben in der Stadt isolierte. Außerdem berichtete ich davon, dass ich die Zusammenarbeit mit meiner betreuenden Lehrkraft als kühl und distanziert empfand. Diese bezieht sich allein auf schulische Dinge und Organisatorisches. Bis heute wurde ich nicht gefragt, wer ich eigentlich bin, was ich in Deutschland mache und wie mein Leben dort so aussieht. Ich wiederum habe ihr bereits schon viele Fragen gestellt und kenne einige private Informationen aus ihrem Leben. Ich werde einfach nicht schlau daraus, wie ihr Verzicht auf das Stellen von Gegenfragen, ihr scheinbares Desinteresse und kühle Art einzuschätzen sind. Ist es etwas Persönliches oder kann dies mit kulturellen Eigenschaften begründet werden?
Insgesamt habe ich für mich vom Austausch mit den anderen Praktikanten geschlossen, dass es besser ist, sich nicht untereinander zu vergleichen. Es sollte nicht darum gehen, wer an einer besseren Schule ist oder wer es am schlechtesten hat. Schließlich berichten wir alle über Negatives, aber auch über viele positive Dinge an unserer Schule. Diese Aspekte sind sowieso niemals objektiv, sondern von der individuellen Wahrnehmung jedes Einzelnen abhängig.
Ich denke, das Wichtigste hier in China ist für jeden von uns, sich so gut es geht, anzupassen und das Beste aus seiner doch auch sehr begrenzten Zeit zu machen und nicht so viel nach rechts und links zu schauen. Aus dem Seminar habe ich aber auch gelernt, dass es in Ordnung auch einfach mal nachzufragen, um der Schule und den teils unverständlichen Regeln, Ritualen und Verhaltensweisen auf dem Grund zu gehen!
Hot Pot Essen mit der gesamten Gruppe
Hot Pot Essen mit der gesamten Gruppe | © Juhmanah Kabbany
Auch die Vermittlung fachlicher Inhalte kam beim Seminar nicht zu kurz. Innerhalb der zwei Tage konnte ich vieles Neues über das chinesische Schulsystem lernen, sodass ich das Verhalten meiner chinesischen Schülerinnen und Schüler und deren vollen Tagesablauf jetzt noch besser einschätzen kann. Außerdem hat sich mein Pool an Ideen für den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache enorm erweitert. Individuelle Probleme aus dem Unterricht wurden besprochen und lösungsorientiert mithilfe aller Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars besprochen.
Zusammenfassend würde ich das gesamte Seminar mehr als positiv bewerten. Die Inhalte, die Organisation, die Verpflegung und die persönliche Betreuung waren super!
Das Wichtigste für mich aber war, dass ich aus den Tagen neue Energie für das restliche Praktikum schöpfen konnte. Ich habe neue Ideen für den Unterricht und will mich noch mehr in das Leben an meiner chinesischen Schule integrieren! Zudem merke ich, dass mein Interesse zukünftig im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ tätig sein zu wollen, weiter gestiegen ist.
  • Unsere Gruppe im Goethe-Institut Peking © Juhmanah Kabbany

    Unsere Gruppe im Goethe-Institut Peking

  • Unsere Gruppe im Goethe-Institut Peking © Juhmanah Kabbany

    Unsere Gruppe im Goethe-Institut Peking

Nach dem Seminar blieb ich mit einigen Mädels noch drei weitere Tage in Peking. Was ich dort alles erlebte und vor allen Dingen, was mir auf meiner Rückreise passierte, folgt im nächsten Beitrag!

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