Blog #7
Peking - Teil 2

Nach drei Tagen Zwischenseminar am Goethe-Instituts in Peking, nach drei Tagen der Existenz in einer „deutschen Blase“ mitten in China und drei wunderbar gemütlichen Nächten im Hotel, hieß es schließlich für mich: Back to Reality

Einige von uns Praktikanten beschlossen noch weitere Tage in Peking zu bleiben, um etwas mehr von der Hauptstadt Chinas zu sehen. Auch ich entschied mich dafür, freiwillig noch einige Tage länger im doch sehr kalten Teil des Landes zu bleiben, freute mich jedoch auch schon wieder auf den „Sommer“ in Shenzhen  :)

Unsere Truppe auf der Chinesischen Mauer
Unsere Truppe auf der Chinesischen Mauer | © Juhmanah Kabbany
Dabei wurde mir jedoch auch bewusst, dass ich mich so langsam doch mal wieder meinem „Wanzenproblem“ widmen sollte. Schließlich würde ich keine weitere Nacht in diesem „stechenden Bett“ überstehen. Ziemlich direkt und fest entschlossen teilte ich meiner betreuenden Lehrkraft über WeChat mit, dass es für mich so nicht möglich sei, weitere Nächte in der Unterkunft der Schule zu verbringen. Überraschenderweise reagierte sie sehr verständnisvoll und kümmerte sich sofort um das Problem. Während meiner Abwesenheit sollte das Zimmer professionell gereinigt werden. Außerdem bekäme ich ein neues Bett, inklusiver neuer Matratze. Das hatte ich wirklich so schnell nicht erwartet!
 Auch wenn mir etwas unwohl dabei war, dass irgendwelche fremden Menschen alle meine persönlichen Dinge aus dem Zimmer räumten, während ich nicht da war, war ich mehr als dankbar darüber, dass es kein Verständigungsproblem gab und das Problem und meine Lage so ernst behandelt wurden.
Die Wanzen scheinen hier im subtropischen Klima wohl keine Seltenheit zu sein!
 
Das war also erst einmal geklärt, umso mehr freute ich mich nun auf die restliche Zeit in Peking. Mit fünf weiteren SCHULWÄRTS!-Praktikanten wechselte ich vom luxuriösen Hotel, welches vom Goethe-Institut gebucht wurde, ins „Party Youth Hostel“. Umgekehrt wäre glaube ich einfacher gewesen! Eigentlich war das Hostel nicht schlecht, aber es war wirklich nicht das was es versprach zu sein. Der Name passte auf jeden Fall schon einmal nicht. Es war keine Unterkunft, in der man Party machen konnte, geschweige denn, junge Leute zusammentrafen – es gab noch nicht mal einen Gemeinschaftsraum! Außerdem war dies wohl auch eher eine Unterkunft für die Sommermonate. Die Zimmertüren waren nach draußen angebracht, es gab also keinen richtigen Flur, und die Heizung funktionierte auch noch nicht. Zudem gab es in den Duschen nur kühles bis lauwarmes Wasser, aber auch nur, wenn man die Geduld besaß, etwa 15 Minuten zu warten, bis es allmählich wärmer wurde.
In China ist das Einschalten der Heizung übrigens zentral geregelt. Im Süden des Landes gibt es gar keine Heizung und im Norden wird diese erst ab dem 15. November eingeschaltet, unabhängig davon wie die Temperaturen im Vorfeld sind. Wir waren leider vor dem Datum  da, hatten allerdings Tagestemperaturen von maximal 10 Grad und nachts kratzen wir an der 0 Grad Marke.
Für mich als Frostbeule schlechthin war das schon sehr hart! Mit meiner wunderbaren Zimmernachbarin Andrea schaffte ich es dann aber doch das Ganze mit Humor zu nehmen. Schließlich geht es immer noch ein Stückchen schlimmer! :)
Wir machten das Beste aus der Situation, schliefen in warmer Kleidung und ich füllte meine mitgebrachte Wärmflasche mit heißem Wasser.
Besuch des Kaiserpalasts
Besuch des Kaiserpalasts | © Juhmanah Kabbany
Von Montag bis Mittwoch erkundeten wir schließlich verschiedenste Sehenswürdigkeiten, schlängelten uns kilometerweit und fröstelnd durch kleine chinesische Gassen und genossen einfach die gemeinsame Zeit, bevor es für jeden von uns wieder alleine an die jeweilige Schule ging.
  • Besuch des Kaiserpalasts © Juhmanah Kabbany

    Besuch des Kaiserpalasts

  • Besuch des Kaiserpalasts © Juhmanah Kabbany

    Besuch des Kaiserpalasts

Obwohl Shenzhen zu einer der modernen Metropolen Chinas gehört, merkte ich einen deutlichen Unterschied zu Peking. Ich war überrascht, so viel „Internationalität“ hier zu erleben. Ich sah viele Menschen aus dem Ausland, sodass mein Aussehen beinahe nichts Besonderes mehr zu sein schien. Zudem waren die typisch chinesischen Verhaltensweisen und Geräusche in der Öffentlichkeit, zum Beispiel das laute Spucken, deutlich seltener zu sehen und zu hören.
Aus persönlicher Sicht würde ich bei einem allerersten Besuch in China, als ersten Stop definitiv Peking empfehlen. Ich denke auch dort sind die kulturellen Unterschiede deutlich und schnell spürbar, ich glaube aber in abgemilderter Form.
Das Allerbeste jedoch ist, dass Peking auch bezüglich der Essensangebote internationaleren Standard besitzt. Es gibt viele westliche Optionen und sogar rein vegetarische chinesische Restaurants. Auch wir aßen an einem Abend in einem dieser für China sehr besonderen Lokale. Aus rein finanzieller Sicht zahlten wir dort natürlich fast den dreifachen Preis im Gegensatz zu einem Gericht in einer kleinen chinesischen Bude. Es hat sich jedoch allein dadurch gelohnt, dass ich endlich mal die bekannten Dumplings und auch viele andere der typischen chinesischen Gerichte probieren konnte. Außerdem war es schön und gleichzeitig interessant, auch einmal Chinesen zu treffen, die sich bewusst für einen vegetarischen Lebensstil entschieden haben. Bei mir in Shenzhen, an meiner Schule,  verstehen die meisten Leute bis heute nicht was „vegetarisch sein“ bedeutet und warum ich freiwillig auf Fleisch und Fisch verzichte.
Unsere Truppe im vegetarischen chinesischen Restaurant
Unsere Truppe im vegetarischen chinesischen Restaurant | © Juhmanah Kabbany
Die vergangenen drei Tage konnte ich also trotz des kalten Wetters sehr genießen. Das Reisen, das Suchen der richtigen Metrostation und die Kommunikation in China waren in einer Gruppe deutlich leichter als alleine. Bisher ist noch kein weiterer Trip mit den Mädels geplant, sodass ich nicht weiß, ob unser nächstes Treffen vielleicht doch erst wieder in Deutschland stattfinden wird.
Nach einem langen Tag wärmten wir uns im „Alley-Cafe“ auf
Nach einem langen Tag wärmten wir uns im „Alley-Cafe“ auf | © Juhmanah Kabbany
Die Rückreise und der Flug zurück nach Shenzhen waren dieses Mal auch sehr entspannt und es gab eigentlich keine erwähnenswerten Vorkommnisse. Ich stieg aus dem Flugzeug und fühlte endlich wieder die warme, tropische Luft auf meiner Haut. Es fühlte sich etwas an wie wieder zurück nach Hause zu kommen. :)
Routiniert fiel ich dieses Mal nicht auf die angeblichen Taxifahrer ein, die mich direkt in der Ankunftshalle dazu überreden wollten, mich auf eine sündhaft teure Fahrt einzulassen. Überzeugt wendete ich mich ab, schnappte mir noch einen Cappuccino to go, wählte ein „blaues“ Taxi und saß einigermaßen entspannt auf dem Weg zurück. Es war mal wieder eine sehr nette Geste der Schule, dass sie mir diese Fahrt  bezahlten.  Das Einzige, was mein Stresslevel wieder etwas ansteigen hat lassen, war der Taxifahrer, der durchgehend aus dem Fenster spuckte, sich immer wieder ungläubig zu mir nach hinten umdrehte und etwas auf Chinesisch sagte. Zunächst versuchte ich mich irgendwie mit ihm zu verständigen, musste jedoch schnell aufgeben, da er kein Wort Englisch verstand.
Also schaute ich aus dem Fenster und ignorierte seine Blicke.
Nach einer knappen Stunde Fahrt war ich endlich an der Schule angekommen, zahlte das Taxi und fragte mit Hilfe meiner App nach einer Quittung. Im meinem Zimmer angekommen, freute ich mich über mein neues Bett. Bevor ich dieses und meine Sachen jedoch auspackte, putze ich erst einmal das gesamte Zimmer, da die Handwerker wohl vergessen hatten die Schuhe auszuziehen. Hochmotiviert schrubbte ich alles und kam bei einem Temperaturunterschied von 25 Grad im Vergleich zu Peking dabei deutlich ins Schwitzen.
Mein neues, noch eingepacktes Bett
Mein neues, noch eingepacktes Bett | © Juhmanah Kabbany
Irgendwann fiel mir auf, dass ich seit Stunden nichts gegessen hatte, da es im Flugzeug mal wieder keine vegetarische Option gab. Total müde und kaputt beschloss ich dann noch zum Supermarkt zu gehen. In diesem Moment startete für mich der Horror.
Ich konnte mein Portemonnaie nicht finden und begann panisch in all meinen Sachen zu kramen. Nach dem ersten Suchdurchlauf atmete ich tief durch, denn ich war mir sicher, dass es bestimmt vor meiner Tür liegen müsse, da ich es mit hundertprozentiger Sicherheit nach dem Bezahlen im Taxi zurück in meinen Rucksack gelegt hatte. Noch einmal durchsuchte ich das ganze Zimmer. Vergebens.
Ich ging hinaus und suchte mithilfe der Taschenlampe meines Handys den gesamten Weg vom Taxi zu meinem Zimmer ab. Wieder nix.
Ich wurde panischer, verzweifelter und schrieb meiner betreuenden Lehrkraft. Als Antwort auf meine Aussage „Ich habe mein Portemonnaie verloren. Ich glaube, ich habe es im Taxi liegenlassen“, kam nur ein „Ok“ zurück. Beim nächsten Versuch ging ich zum Eingang der Schule, wo mich das Taxi herausgelassen hat. Wieder nix.
Schließlich versuchte ich den Sicherheitsmännern am Eingang mitzuteilen, was mein Problem war. Aber sie schienen mir auch nicht helfen zu können.
Mit keinem einzigen Cent mehr in der Tasche, aber knurrendem Magen und unglaublichem Durst stand ich völlig verzweifelt auf dem Campus. In diesem Moment schien mir nur meine vertrautesten Personen aus Deutschland helfen zu können. Ich rief meinen Freund und meinen Bruder an und versuchte zu erklären, was mir passiert war – ich weinte hemmungslos, saß dabei auf der Straße mitten auf dem Campus. Um mich herum liefen Lehrkräfte der Schule und schienen mich und meine Tränen überhaupt nicht wahrzunehmen. Erneut glaubte ich, völlig alleine zu sein. Total erschöpft und ohne Plan ging ich zurück in mein Zimmer, um erst einmal zu duschen und zu klareren Gedanken zu kommen.
Das was ich schreibe, liest sich jetzt wahrscheinlich so, als handelte ich total rational und überlegt, aber eigentlich war ich total verzweifelt und kurz davor, mir einen Flug von meiner Familie nach Hause buchen zu lassen.
Unter der Dusche hörte ich plötzlich lautes Klopfen und viele chinesische Stimmen. Halb angezogen und mit noch etwas Shampoo im Haar öffnete ich die Tür – es standen mehrere Fremdsprachenlehrer von meiner Tür, die mit mir Englisch sprechen konnten. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass einer von ihnen mich weinend auf dem Boden des Sportplatzes sah. Statt mich anzusprechen, kontaktierte er lieber meine betreuende Lehrkraft. Daraufhin rief sie die Lehrkräfte zusammen, um mir bei meiner Suche und meinem Problem weiterzuhelfen, da sie selbst nicht auf dem Campus lebt. Gleichzeitig wurde auch schon die Polizei gerufen. Ich war völlig überfordert und wusste überhaupt nicht was als Nächstes geschehen sollte.
Es war mittlerweile 22:30 Uhr!
Mit der Polizei schauten wir uns gemeinsam die Bänder der Überwachungskamera in dem riesigen Sicherheitsraum der Schule an. Erst dort wurde mir bewusst, dass auch in der Schule, an jeder Ecke, Kameras angebracht sind, die 24 Stunden alles und jeden filmen. Auf dem Band, genau um 19:08 Uhr, konnte ich sehen, was geschehen war und wie mein Portemonnaie verloren ging. Ich stieg aus dem Taxi und steckte es zurück in meinen Rucksack, der leider noch leicht geöffnet war. Als ich meinen Koffer aus dem Kofferraum hob, fiel das Portemonnaie zu Boden. Ich bemerkte es nicht und ging durch die Sicherheitsschleuse auf das Schulgelände. Nur zwei Minuten später kam ein Mann, ich konnte sein Gesicht sehen, hob es auf, drehte sich verdächtig um, schaute hinein und lief davon zu seinem Auto. Leider war das Nummernschild nicht mit aufgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass ich mein Geld, meine Kreditkarte und alle anderen Ausweise und Dokumente nie wieder sehen würde. Die Sicherheitsmänner versuchten mir noch etwas Hoffnung zu schenken, indem sie mir versicherten, den Mann wieder zu erkennen, falls er nochmal in der Gegend sein sollte. Bis heute schien er das aber nicht mehr gewesen zu sein.
Nach einer weiteren Stunde durfte ich dann noch mit dem riesigen Polizeiauto, ich würde sagen es war vielmehr ein Bus, mit auf das Revier fahren. Die Französischlehrerin begleitete mich und streichelte immer wieder meinen Arm. Das war wirklich das Einfühlsamste was ich hier, bis jetzt und von einer chinesischen Person erlebte!
Meine Personalien wurde aufgenommen. Das Merkwürdigste war jedoch, dass wir anschließend zurück zur Schule fuhren und mit einer Gruppe von Polizisten, die große Taschenlampen dabei hatten, mein Portemonnaie in allen Gebüschen in der Umgebung suchten. Ich war zwar immer erschöpfter und wusste nicht, wie mein weiterer Aufenthalt in China aussehen sollte, aber irgendwie musste ich diesem Moment schon fast ein bisschen lachen. Das Ganze war für mich völlig übertrieben, denn es war absolut ungewohnt, so einen Aufwand für einen verlorenen Gegenstand zu betreiben. Schließlich war es nur Geld, welches ich vermisste. In Deutschland hätte es sich ganz anders abgespielt.
Zusammengefasst bin ich nach wie vor einfach dankbar darüber, dass sich mein Gefühl des scheinbares „Alleinseins“ nicht bestätigte. Die Chinesen an meiner Schulen scheinen einfach nur eine andere Art und Abfolge von Hilfe anzubieten.
Ein Happy End gibt es bei der Geschichte leider nicht. Am Abend saß ich immer noch ohne Geld in meinem Zimmer und trank abgekochtes, lauwarmes Wasser, um meinen Durst etwas zu stillen. Der Appetit war mir da bereits schon lange vergangen.
Bis heute habe ich mein geliebtes Portemonnaie nicht zurück, welches ich seit etlichen Jahren besaß und worin eine Menge Erinnerungen aufbewahrt waren. Trotzdem habe ich mittlerweile eine Möglichkeit gefunden, an Bargeld zu kommen und das Wichtigste, was mir noch geblieben ist… mein Reisepass! Auf den achte ich jetzt doppelt so gut.
Auch wenn ich es an diesem Abend niemals geglaubt hätte, am nächsten Morgen sah die Welt schon ganz anders aus.
Ich schöpfte neue Kraft und Mut und dachte wieder „Es gibt noch viel Schlimmeres!“ :)
 
Um noch einmal auf die Wanzen zurückzukommen, möchte ich noch erzählen, wie es damit weiterging. Nach der Reinigung und der ersten scheinbar wanzenfreien Nacht im neuen Bett folgten leider in den nächsten zwei Nächten neue Stiche, obwohl die alten noch nicht einmal wieder ganz verheilt waren. Ich konnte mir absolut nicht erklären, wo die noch herkommen sollten! Jeden Tag reinigte ich alles in meinem Zimmer, die Bettdecken und meine gesamte Kleidung und ich kaufte selbst noch einmal ein hoch chemisches Reinigungsmittel. Die Stiche blieben, bis ich eines Abends endlich glaubte, die Ursache erkannt zu haben! Ich saß mal wieder in kurzer Hose an meinem Schreibtisch auf meinem Stuhl, der aus Kunstleder bestand. Dieser war so alt, dass sich das Material jedes Mal ein Stückchen mehr ablöste, wenn ich mich auf ihm bewegte. An diesen Abend saß ich etwas länger darauf als üblich und spürte wie ich immer mehr Stiche an meinen Beinen bekam. Die Wanzen waren also nicht im Bett, sondern hausten im Stuhl!
Sofort schmiss ich den Stuhl aus meinem Zimmer und startete nochmals eine Grundreinigung. Endlich sollte Schluss sein mit dem Gekratze. Seitdem achte ich immer noch darauf mein Zimmer täglich zu reinigen. An einigen Tagen habe ich das Gefühl die „Dinger“ besiegt zu haben, an manchen Tagen wiederum, genau wie heute, habe ich mal wieder kaum ein Auge zugemacht und wache erneut mit zahlreichen neuen Stichen auf.
Tja, was soll ich sagen? Ich kämpfe weiter, lebe immer noch in demselben Zimmer und recherchiere weiterhin nach neuen Methoden, um die restlichen Zeit hier wanzenfrei genießen zu können!

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