Blog #3
Der Schulalltag 2.0

Wenn man morgens um halb 7 über die unzähligen Lautsprecher mit dem Refrain von Taylor Swifts „Shake it off“ geweckt wird, kann der Tag nur voller Motivation beginnen. Damit aber nicht der bekannte Effekt einsetzt, das Lied nur noch mit dem Aufstehen zu assoziieren, werden alle zwei Wochen die Wecklieder geändert.

Direkt nach dem Frühstück startet der lange Tag der Schüler*innen. Der Schultag ist mit einem vollen Arbeitstag zu vergleichen, wenn er diesen nicht fast übertrifft. Von 6.20 Uhr bis 7.45 Uhr wird aufgestanden, geduscht, gefrühstückt und die erste Lernphase verbracht. Von 7.50 Uhr bis 17.10 Uhr finden die neun Unterrichtsstunden statt, die durch eine Mittagspause unterbrochen werden. Nach dem Abendessen beginnen die abendlichen und nächtlichen Lernphasen, in denen die Schüler*innen selbstorganisiert und selbstverantwortlich lernen, ihre Hausaufgaben machen oder proben. Oder es kommt dazu, dass um 20 Uhr noch eine (Deutsch)Klausur geschrieben wird, weil die Zeit während des ‚normalen‘ Schulalltags nicht ausgereicht hat. Um 20.30 Uhr ist der Schultag für die Schüler*innen, die nicht auf dem Campus wohnen, vorbei, für die anderen geht es noch eine Stunde weiter, bis es um 6.20 Uhr wieder los geht.   

  • Täglicher Lernmodus © Jennifer Nomrowski

    Täglicher Lernmodus

  • Nächtlicher Lernmodus © Jennifer Nomrowski

    Nächtlicher Lernmodus

Auch auf die Frage, was die Schüler*innen am Wochenende machen werden, habe ich oft die Antwort erhalten, dass sie lernen oder Hausaufgaben machen müssten. Manche Schüler*innen besuchen ebenfalls ein Nachhilfeinstitut am Wochenende, sodass die Frage nach Freizeitaktivitäten scheinbar überflüssig wird. Wie soll in einen so vollen Stundenplan noch ein Hobby passen?
Überraschung: Es passt doch rein. Zudem implementiert die Schule schon viele Aktivitäten in den Stundenplan, wie tanzen, fechten, ein Instrument spielen oder Kalligrafie.

Für eine kleine Entspannung sorgt die tägliche Augen-Massage oder Augen-Gymnastik, in der auf Anweisung die Augen für ein paar Minuten massiert, geknetet, gestreichelt werden. Ob die Augen davon wirklich besser werden, kann ich nicht bewerten, aber diese kleine Auszeit tut nicht nur dem Körper, sondern auch dem Geist gut.

Bewertungssystem (u.a. für die Augen-Gymnastik)
Bewertungssystem (u.a. für die Augen-Gymnastik) | © Jennifer Nomrowski
Ich habe wirklich großen Respekt vor der Leistung, der Konzentration und dem Durchhaltevermögen der Schüler*innen.

Zudem habe ich Respekt vor der Flexibilität der Lehrer*innen. Dadurch, dass sich die Schule aus drei Departments zusammensetzt, kommt es oft vor, dass es spontane Änderungen im Stundenplan gibt. Das führt dazu, dass die Planung des Unterrichts dynamisch und die Prüfungsvorbereitungen kurzfristig erfolgen. In den letzten Wochen ist der Deutsch-Unterricht leider oft verschoben worden oder musste ausfallen, weil die Prüfungsvorbereitungen oder Proben für eine der unzähligen Veranstaltungen Priorität haben.  
       
Vor allem für die Neuntklässler ist jede Lernstunde wichtig, da sie bald die Zhong Kao, die Prüfung für die Aufnahme an einer Oberschule, schreiben. Obwohl die Gao Kao, die am 7. und 8.6. in ganz China geschrieben wurde, (noch) nicht an der SSFLS stattfindet, spürt man die Anspannung und den Lernfokus bei vielen Schüler*innen, da sie ebenfalls zum Ende des Schuljahres in allen Fächern Prüfungen schreiben. Da kommt es eben vor, dass das Nebenfach Deutsch als Fremdsprache ausfällt, obwohl auch in diesem Fach mündliche und schriftliche Prüfungen erfolgen, obwohl dafür auch gelernt, wiederholt und geübt werden muss. Ein kleiner Verweis an dieser Stelle: Vor allem die guten und sehr guten Schüler*innen erhalten Förderunterricht, oder besser Forderunterricht.

Was das Arbeiten und Vorbereiten des Unterrichts für mich sehr angenehm macht, sind neben dem eigenen Arbeitsplatz die Möglichkeit, Druckaufträge direkt an das Kopierbüro zu schicken und sich die fertigen Kopien einfach abzuholen. Etwas herausfordernder kann jedoch die Internetrecherche sein. Ein Tipp, wenn ihr in China seid und im Internet etwas suchen wollt (Google funktioniert nicht): Ihr könnt baidu als chinesisches Suchmaschinen-Pendant oder ecosia.org (als Beispiel) benutzen, damit ihr neben chinesischen Einträgen auch englische und deutsche finden könnt. Viele Internetseiten funktionieren, einige funktionieren nicht. Alle E-Mailanbieter funktionieren auch nicht.

Worauf ich ebenfalls kurz eingehen möchte, ist die ständige und für sie selbstverständliche Hilfsbereitschaft meiner Betreuerinnen. Jedes Mal, wenn ich ein Anliegen habe, und sei es noch so klein, wird sofort die Arbeit niedergelegt und sich darum gekümmert. Manchmal warte ich mit meinen Fragen, damit ich nicht störe oder den Flow unterbreche. Denn nichts scheint wichtiger als die Lösung oder die Beantwortung meiner Fragen. Genauso verhält es sich mit Schüler*innenfragen: Zu jeder Unterrichtsstunde oder in den Pausen kommen Schüler*innen in die Büros, um ihre Lehrer*innen zu fragen, wenn etwas nicht verstanden wurde oder etwas wiederholt werden soll. Das Verhältnis zeugt von Hilfsbereitschaft, Vertrauen und Interesse auf beiden Seiten. Sowohl die Tür des Büros, als auch das Ohr der Lehrer*innen stehen den Schüler*innen immer offen.
 

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