Blog #3
Achtung Kulturschock!

China ist anders! Das kann man hören, fühlen und schmecken. Viele Unterschiede gefallen mir, überraschen mich oder machen mich nachdenklich. Einige würde ich gerne mit nach Deutschland nehmen. Wieder andere lassen mich staunen. Und bei manchen bin ich froh, dass ich sie nach China hinter mir lassen kann. Da ich mich anfangs oft gefragt habe, ob es auch anderen so geht oder ob ich in manchen Situationen doch sensibler bin als erwartet, möchte ich im Folgenden die für mich größten (Kultur-)Schocks einmal auflisten:
 
Platz 5: Der Umgang mit Tieren
Eigentlich bin ich nicht direkt über den Umgang mit Tieren selbst schockiert, sondern eher über die Unterschiede, welche sich hier beobachten lassen. Um die beiden extremsten Beispiele zu nennen:
1) Ein Mann läuft mit einem Hund die Straße entlang. Es ist dunkel. Um seinem Vierbeiner eine möglichst gute Sicht zu ermöglichen, leuchtet sein Herrchen ihm den Weg mit einer Taschenlampe voraus. Doch halt, was ist jetzt los? Ahhhhh…er muss mal. Kein Problem. Zum Glück hat sein Besitzer genügend Taschentücher dabei, mit welchen er seinem tierischen Freund nach getanem Geschäft mitten auf der Straße den Hintern mehrmals abwischt. Da soll noch jemand sagen Chinesen benutzen kein Toilettenpapier! Gegenüber läuft übrigens eine ältere Dame mit einem Kinderwagen vorbei. Ihr (Baby) Kaninchen darin schaut gespannt den beiden Freunden auf der Straße zu…
2) Wir befinden uns in einer der großen Shoppingmalls. In der obersten Etage tummeln sich Restaurants Seite an Seite. In der Mitte der Mall gibt es eine kleine Insel mit verschiedenen Spielautomaten: Autorennen, Tanzmaschinen und einem Automaten, an dem man mit einer elektronischen Hand ein süßes Stofftier angeln kann… möchte man denken! In diesem Automat befindet sich kein Stofftier. Und süß ist es auch nicht. Was sich in dieser Vitrine aufhält sind Hummer, lebende Hummer, die von Besuchern der Mall geangelt werden können. Für ein paar Yuan kann man mit dem Greifarm versuchen, einen der Hummer zu erwischen. Vor der Mall sitzt unterdessen ein Mann, der seinen Affen an der Leine ununterbrochen Kunststücke aufführen lässt.
Ich möchte mit diesen beiden Darstellungen nicht behaupten, dass der Umgang mit Tieren in China grundsätzlich schockierend oder falsch ist. Schon gar nicht sage ich, dass es in Deutschland nicht ähnliche Situationen gibt, in denen Tiere genauso oder ähnlich behandelt werden. Dennoch waren für mich alle beschriebenen Begegnungen irritierend und vollkommen neu. Noch nie zuvor hatte ich etwas dergleichen gesehen, weshalb diese Situationen meinen Platz 5 belegen.

  • Ein pink-gelber Pudel mitten auf der Straße © Juhmanah Kabbany

    Ein pink-gelber Pudel mitten auf der Straße

  • Hummer im Spielautomaten © Andrea Jung

    Hummer im Spielautomaten

  • Ganz „normal“ © Laura Manz

    Ganz „normal“


Platz 4: Leere Straßen nach 22.00 Uhr
  • Nanjing Road vor 22.00 Uhr © Laura Manz

    Nanjing Road vor 22.00 Uhr

  • Nanjing Road vor 22.00 Uhr © Laura Manz

    Nanjing Road vor 22.00 Uhr


Darf ich vorstellen: 25 Millionen Einwohner und eine der modernsten und westlichsten Städte Chinas – Shanghai. Läuft man tagsüber auf der berühmten Nanjing Road, über einen der vielen Märkte, durch den People‘s Square oder steht in einer der Metros ist man anfangs überrumpelt von den Menschenmassen und der Geschwindigkeit mit der sich alles bewegt. Hinzu kommen die vielen Leuchtreklamen, die Lichter der beleuchteten Skyline und die Lautstärke, die 25 Millionen Menschen nun einmal produzieren. Shanghai scheint wie eine Stadt, die niemals schläft. Doch halt! All das spielt sich vor 22.00 Uhr ab. Danach gehen am Bund die Lichter aus. Der Sky- und Perltower erlischen und die Skyline verschwindet (fast) in der Nacht. Auf der Nanjing Road schließen die Geschäfte und die Menschen begeben sich auf den Heimweg. Das sollten sie auch, denn die Metros fahren nur bis 23.00 Uhr. Unglaublich, aber wahr! Während ich fest davon ausging, dass die Metros in einer solch großen und modernen Metropole einfach IMMER fahren, wurde ich gleich an einem meiner ersten Abende auswärts eines besseren belehrt. Also stand ich da, vor der Metro um 24.00 Uhr und wunderte mich, warum ich die einzige war. Als ich begriff, dass ich die letzte Bahn schon um eine Stunde verpasst hatte, blieb nur noch das Taxi, was in Shanghai zum Glück immer eine Alternative ist. Trotzdem war ich schockiert, da sogar in Freiburg die Bahnen mindestens bis halb eins und am Wochenende auch nachts durchfahren. Da Chinesen aber insgesamt eher früh dran sind (ich frühstücke hier um 6.00 Uhr, esse um 11.00 Uhr zu Mittag und um 16.30 Uhr zu Abend), befinden sich die meisten Chinesen nach 22.00 Uhr tatsächlich zuhause. Auch das abendliche Ausgehen oder noch ein Bier trinken ist lange nicht so typisch wie in Deutschland. Zwar gibt es Bars, Kneipen und Clubs, welche länger geöffnet haben, trotzdem kam es schon einige Male vor, dass ich mich ein wenig unerwünscht gefühlt habe, als ich um 21.00 Uhr die letzte Person in einem Restaurant war und der Boden bereits geputzt, sowie die Stühle aufgestellt wurden. Anschließend muss man dann in jedem Fall auf ein Taxi zurückgreifen. Unglaublich wie schnell eine ständig in Bewegung scheinende Stadt also doch zur Ruhe kommen kann.
  • Die Skyline um 21.59 Uhr © Laura Manz

    Die Skyline um 21.59 Uhr

  • Die Skyline um 22.01 Uhr © Laura Manz

    Die Skyline um 22.01 Uhr


Platz 3: Angestarrt werden
Nach wie vor verblüffend und auch immer noch ungewohnt: Das Angestarrt werden. An diesem Punkt muss ich sagen, dass ich bereits im Vorfeld meines Aufenthalts davon gehört habe. Da ich aber in Shanghai wohne, ging ich davon aus, dass sich die Menschen zumindest hier langsam an „anders Aussehende“ gewöhnt haben. Mag es an meinem Viertel liegen oder nicht – ich bin nach wie vor etwas Besonderes. Gerade auf meinem Weg zur Metro und in den kleinen Supermärkten rund um die Schule werde ich selbst nach zwei Monaten noch immer gründlich gemustert. Aber auch an den besonders touristischen Plätzen wird ab und an noch nach einem Foto gefragt, was mich anfangs sehr verwundert hat. Manchmal wird dann noch eine Stufe weiter gegangen und ein: „Can I scan you?“ angehängt (die chinesische Form von WhatsApp verwendet Scancodes, um schneller IDs austauschen zu können). Anfangs irritierend und ungewohnt, inzwischen fast normal und fester Bestandteil meiner Chinaerfahrung. Anbei eine kleine Auswahl an Bildern von all jenen Personen, die sich einen Schnappschuss mit einer (oder mehreren) Deutschen nicht entgehen lassen wollten.  
  • Unsere Kellnerin in Peking © Laura Manz

    Unsere Kellnerin in Peking

  • „Can I take a picture, please?“ © Laura Manz

    „Can I take a picture, please?“

  • „Can I take a picture, please?“ © Laura Manz

    „Can I take a picture, please?“

  • Beim Language-Mix © Laura Manz

    Beim Language-Mix

  • „Chinesische Pizza“ von einem Straßenstand © Laura Manz

    „Chinesische Pizza“ von einem Straßenstand

Platz 2: Die Rinne (auf ein Foto verzichte ich an dieser Stelle)
Wenn ich nicht selbst in dem Wohnheim wohnen würde, hätte ich niemals geglaubt, dass es sie in Shanghai tatsächlich noch gibt: die Rinne. Ein Überbleibsel aus der Zeit, in der viele private Häuser keine eigene Toilette hatten und somit eine öffentliche Toilette für möglichst viele Leute benötigt wurde. Als mir an meinem Ankunftstag die Unterkunft gezeigt wurde, wunderte ich mich darüber, wo die Toilette sei. Ich wurde anschließend in ein Badezimmer geführt, welches sich eigentlich nicht von einem deutschen unterscheidet. Da in diesem Zimmer abends jedoch Lehrkräfte übernachten, kann ich dieses nur zwischen 6.00 – 22.00 Uhr benutzen. „Aber was, wenn ich nachts mal auf Toilette muss?“, dachte ich mir. Und dann lernte ich sie kennen, die Rinne. Ich hatte wirklich keine hohen Erwartungen, aber im ersten Moment war ich geschockt: Die Schülertoilette ist eine Art Plumpsklo, welche sich jedoch durch mehrere Kabinen zieht und schließlich nach der letzten Kabine abläuft. Sprich 1. Kabine: Kann unangenehm werden, vergleichsweise aber die beste Wahl. Letzte Kabine: Lieber meiden, denn hier kann so einiges an einem vorbei fließen... Ein weiteres Manko ist, dass in manchen Kabinen kein Mülleimer für das Toilettenpapier vorhanden ist. Dann muss auf den Eimer im Flur ausgewichen werden. Außerdem ist die Rinne aus Metall und dadurch sehr laut, wodurch man nie unbemerkt bleibt. Anfangs war dies wie gesagt ganz schön gewöhnungsbedürftig. Ich schaute mich drei Mal um, bevor ich mit meinem Toilettenpapier in der Hand auf den Flur trat. Ich versuchte, das Klo nachts so gut es ging zu meiden. Da das mit dem ganzen Tee allerdings etwas schwierig ist, kenne ich die Toilette inzwischen relativ gut. Ich hätte tatsächlich nicht für möglich gehalten, dass sogar das für mich zur Gewohnheit wird. Aber wie so oft wurde ich eines Besseren belehrt: Abendliche Toilettengänge sind für mich inzwischen genauso normal wie für die Schüler. Diese nutzen übrigens ausschließlich die Rinne. In bin zwar nach wie vor froh, wenn ich in Deutschland wieder ein normales Badezimmer habe, allerdings finde ich gerade in der Öffentlichkeit die Plumpsklo Variante oft sogar hygienischer. Und um einen klaren Vorteil Chinas gegenüber Deutschland hervorzuheben: Während ich in Deutschland in irgendwelche Cafés ausweichen, die Uni nutzen oder etliche Minuten suchen muss, gibt es in China an fast jeder Ecke eine öffentlich zugängliche Toilette.
 
Platz 1: Die Ausgangssperre
Auch Platz 1 betrifft das Wohnheim, machte mir aber tatsächlich noch mehr zu schaffen. Was ich anfangs nicht wusste oder zumindest nicht für mich selbst geltend sah, ist die Ausgangssperre nach 22.00 Uhr. Das bedeutet, alle Schülerinnen und Schüler, die im Wohnheim leben, müssen nach 22.00 Uhr im Bett sein. Da auch ich dort wohne, gilt für mich die gleiche Regel, auch wenn mein Status ein anderer ist. Während ich mich auf alle anderen Sachen einlassen und diese akzeptieren kann, fällt es mir nach wie vor schwer, mich mit dieser Regel abzufinden. Ich fühlte mich besonders anfangs in meiner Freiheit sehr eingeschränkt und war es auch nicht gewohnt, Bescheid zu sagen, falls es einmal tatsächlich 22.00 Uhr werden sollte. Zusätzlich gestaltet es sich teils schwierig, neue Menschen kennenzulernen, wenn ich spätestens um 21.00 Uhr den Weg nach Hause antreten muss. Mir ist bewusst, dass ich die Wohnsituation nicht mit jener in Deutschland vergleichen kann. Denn wer nicht bei der Schule oder der Uni wohnt, kann natürlich auch nach 22.00 Uhr noch draußen sein. Auch ist es in Deutschland untypisch, auf einem Campus oder bei der Schule zu leben. Die Schulen in China tragen somit auch nachts die Verantwortung für die Schüler. Daher leuchtet es ein, dass sich die Regeln von denen in Deutschland unterscheiden. Anscheinend gibt es diese Regel nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern auch für Studenten und an manchen Schulen tatsächlich auch für Lehrer. Ich bin nun für eine Zeit lang ein Teil der Schule, wodurch für mich dieselben Regeln gelten. Es ist auch sicherlich einfacher, keine Ausnahmen zu erlauben. Dann stellt sich nicht die Frage, wieso, wann und für wen diese gelten. Dennoch sehne ich mich nach der Unabhängigkeit, welche ich von zuhause gewohnt bin. Ich weiß, dass diese Regel für jeden gilt, der im Wohnheim wohnt und sogar, wenn es nur für eine bestimmte Zeit ist. Trotzdem habe ich festgestellt, dass die Einschränkung meiner Freiheit (sei es auch nur die Uhrzeit des Heimkehrens betreffend) diejenige ist, welche ich am schwierigsten akzeptieren kann und gegen die ich mich am meisten sträube.

Ich habe viel mit den anderen Praktikantinnen und Praktikanten, mit Deutschen und anderen Internationalen in China geredet. Vielen ging es ähnlich wie mir, manche hatten Probleme in anderen Situationen. Es ist ganz normal, dass einem manche Situationen, Menschen oder Dinge suspekt vorkommen, verängstigen oder ein Gefühl von Unwohlsein hervorrufen. Ich glaube, es ging uns hier fast allen einmal so. Wichtig ist, sich auch auf diese Dinge einzulassen oder es zumindest zu versuchen. Für mich kann ich sagen, dass ich mich heute so gut es geht mit allen der genannten Punkte arrangiert habe und sie auf den zweiten Blick meistens nicht so schrecklich sind, wie anfangs vermutet.
Kürzlich bin ich auf einen Artikel über die Schauspielerin Sophia Loren gestoßen, der letzte Satz hat mich nachdenklich gemacht. Auch in einigen der oben genannten Situationen habe ich wieder an ihn zurückgedacht, nämlich immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, meine persönliche Toleranzgrenze erreicht zu haben. Aus diesem Grund möchte ich auch meinen Blogeintrag mit diesem Zitat von Sophia Loren beschließen: „Relax Sweetheart! It’s just a bend, not the end…!“
 

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