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Oh, wie schön ist Antalya – Pandemie Edition

Am Flughafen, am Gate sitzend, stellt sich langsam aber sicher dieses Gefühl ein, dass in ein paar Stunden alles anders sein wird. Was ist, wenn ich mit niemandem sprechen kann? Oder, fast noch schlimmer, was ist, wenn ich monatelang auf Menschen angewiesen bin, die mir alles übersetzen? Vor Abflug, noch bevor ich in Antalya lande, fange ich hektisch an, Wörter zu lernen. Viel zu viele. Niemals kann ich mir die alle jetzt merken. Nervös schreibe ich in mein gelbes Heftchen, das ich ab jetzt immer bei mir tragen werde: Üzgünüm, türkçe hala öğreniyorum. Es tut mir leid, ich bin Türkisch noch am Lernen. In den nächsten Tagen werde ich diesen Satz hunderte, vielleicht sogar tausende Male sagen.
 
Mit sieben Jahren bin ich schon einmal nach Antalya geflogen. Damals war ich überzeugt, dass ich von dort aus, wenn ich nur fest genug die Augen zusammenkneife, Ägypten sehen könnte. Mittlerweile ist mir zumindest klar, dass meine Augen es wohl nicht schaffen werden, 600 Kilometer weit zu sehen. Aber was weiß ich eigentlich sonst noch über den Ort, an dem ich für die nächsten Monate leben würde? Ich kann nur sagen: wirklich, wirklich wenig.

Ich weiß nichts darüber, wie es ist, einer Stadt jeden Tag dabei zuzusehen, wie das Leben aus allen Nähten platzt - einer Stadt, die seit 1990 um das 10-fache gewachsen ist.  Was ich aber sehr wohl schnell lerne, schon aus dem Flugzeug heraus: Antalya ist verrückt schön. Es ist schwer zu glauben, wie ästhetisch die Stadt von oben ist. Unter einem wolkenfreien Himmel und über dicht mit Palmen bepflanzten Straßen landen jeden Tag etwa Hundert Flugzeuge gefährlich dicht hinter dem berühmten Düden-Wasserfall – von unten und von oben sieht das aus wie ein Filmdreh.

Muratpaşa – man munkelt, du bist der schönste Ort der Welt
Umarmungen, Taxis, Hupen, ewig lange Straßen. Als ich endlich in meiner neuen Wohnung ankomme, begrüßt mich mit offenen Armen meine neue Mitbewohnerin. Hatice ist Wanderführerin und hat, seit ihr Sohn ausgezogen ist, viel Platz in ihrer Wohnung. Wir wohnen in Muratpaşa – wenn man ihrem Wort glaubt, dem mit Abstand schönsten Teil Antalyas.

Auf unserer wunderschönen Terrasse warten ein ebenso schönes Frühstück und ein Platz in der Sonne auf mich. Ich weiß schon nach zwei Stunden in Antalya, dass die Gastfreundschaft über alles hinausgeht, das ich kenne. Auf dem Küchentisch liegen frisch geerntete und getrocknete Oliven, nach denen die ganze Wohnung duftet. Hatice hat sich für mich nicht nur komplett kulinarisch verausgabt, sondern mir auch gleich klargemacht, dass sie hohe Erwartungen an mich hat: in den nächsten Wochen will sie mir so viel Türkisch beibringen wie möglich. Und ich verspreche ihr, mein Bestes zu geben.  

  • Meine neue Terrasse inklusive Mitbewohnerin © Lara Shehada

    Meine neue Terrasse inklusive Mitbewohnerin

  • Oliven, frisch getrocknet und aus unserem Garten © Lara Shehada

    Oliven, frisch getrocknet und aus unserem Garten

Hatice erzählt mir beim Frühstück, dass die Schönheit Antalyas auch sie damals einfach umgehauen hat.  Sie kam in den 1990ern aus Anatolien, als Antalya im Vergleich noch ein kleines Städtchen war. Damals schwor sie sich, für immer zu bleiben, sagt sie. Antalya liegt zwischen Gebirgen in einem Felsparadies, zwischen griechischen Ruinen an der „Türkischen Riviera“, am Rande des eisblauen Mittelmeers. Was sollte man mehr wollen?  

Von SIM-Karten, Straßenhunden und kleinen Erfolgen
Nach unserem Frühstück mache ich mich auf den Weg zu meiner ersten Herausforderung – meine eigene türkische SIM-Karte. Ich verstehe einfach sofort, was Hatice meint. In meiner Straße und sogar auf unserem Autostellplatz hinterm Haus wachsen überall Orangen, Zitronen, Oliven und – natürlich – Palmen. Obwohl die Hochhäuser alle in modernem Beige gestrichen sind, ist die Stadt unglaublich bunt.

Meine Angst vor der Sprache verfliegt ein bisschen, weil ich mich in den Geräuschen der Straße, den Cafés, den lauten Gesprächen, dem Hupen der Autos, sofort wohl fühle.  Noch etwas wird mir klar: in der nächsten Zeit werden mir in allen Ecken der Stadt Straßenhunde begegnen. An manchen Ecken sieht man sogar, dass Familien nachts extra für Straßentiere ihre Essensreste rausgestellt haben. Das gehört im Stadtbild einfach dazu.

Mit einem seltsam nervösen Gefühl, das jeder kennt, der schon einmal in einer ähnlichen Situation war, betrete ich den Telefonladen und erkläre mit Hand und Fuß, dass ich eine neue SIM-Karte kaufen möchte. Erleichtert und vielleicht nicht ganz mit der SIM-Karte, die ich eigentlich kaufen wollte, verlasse ich den Laden und habe mein erstes Ziel erreicht. Die Menschen, die ich bisher getroffen habe, sind alle so hilfsbereit, dass ich mich kaum mehr schäme, wenn ich nach dem Weg frage oder etwas nicht verstehe. Umso stärker ist mein Wunsch, mehr als nur einen türkischen Satz sagen zu können, aber hey: türkçe hala öğreniyorum.
 
  • Mısır – Frischer Mais in Butter © Lara Shehada

    Mısır – Frischer Mais in Butter

  • Antalya und seine wilden Pflanzen… © Lara Shehada

    Antalya und seine wilden Pflanzen…

  • Marktzeit ist Melonenzeit © Lara Shehada

    Marktzeit ist Melonenzeit

Mittlerweile ist es mittags und es duftet an jeder Straßenecke nach Fett, gebratenem Gemüse und selbstgemachtem Joghurt, nach frischem Tee und Ayran. Es versteht sich von selbst, dass es über das Essen in Antalya einen eigenen Blogeintrag geben wird, das muss einfach sein. Am ersten Tag aber begnüge ich mich mit einer Portion frisch gekochtem Buttermais und schlendere damit durch die kleinen Gassen der Altstadt und an der Promenade entlang.

Zwischen zahlreichen antiken Buchläden und Moscheen blühen selbst in der Stadt Bäume und wilde Sträucher. An jeder Ecke kann man Melonen, Minze und Mandarinen kaufen. Ich liebe seit dem ersten Moment die Gerüche der Märkte, die in der Luft liegen. Direkt bei mir um die Ecke kann man außerdem rund um die Uhr frisches Brot und Simit kaufen.

Kolay gelsin – möge dir dein Leben leichtfallen
Inmitten dessen würde allerdings auch jeder merken, dass die Pandemie in Antalya ihre Spuren hinterlassen hat. Es war ein schwieriges Jahr, erst vor ein paar Monaten wurde nach Monaten der ziemlich spontan begonnene, harte Lockdown beendet. Und die Antalyaner nutzen jede freie Minute, um die verlorene Zeit aufzuholen: mit Picknickstühlen im Park oder in Bars und Cafés, überall wird Tee getrunken.

Überhaupt steht vor jedem Geschäft, jedem Friseur, jeder Boutique und jedem Lebensmittelladen ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, an dem man jederzeit einen türkischen Kaffee trinken kann. Die Stadt ist lebendig, hektisch und wirklich chaotisch. Nach jeder Begegnung, nach jedem Einkauf hört man aus den Geschäften: Kolay gelsin. Möge deine Arbeit heute möglichst leicht sein.

Es liegt die Unsicherheit darüber in der Luft, was in den Wintermonaten passieren wird. Passenderweise entdecke ich auf dem Rückweg, gleich um die Ecke von meinem Balkon, ein Graffiti in Ehren an den Vater der Türk*innen – Mustafa Kemal Atatürk – mit einem seiner berühmtesten Zitate:  Istikbal Göklerdedir. Die Zukunft steht im Himmel. Atatürk wollte damals auf die rasante Entwicklung von neuen Flugzeugen hinaus, aber ich habe es in dem Moment ganz anders verstanden: meine Zeit hier und die Zukunft Antalyas stehen noch in den Sternen. Aber ich kann es kaum erwarten, die Stadt kennen zu lernen!
 
  • Die Zukunft steht im Himmel - Istikbal Göklerdedir © Lara Shehada

    Die Zukunft steht im Himmel - Istikbal Göklerdedir

  • Antalyas Stadtkern am frühen Abend… © Lara Shehada

    Antalyas Stadtkern am frühen Abend…

  • Antike Buchläden – noch ein perfekter Ort, um Tee zu trinken © Lara Shehada

    Antike Buchläden – noch ein perfekter Ort, um Tee zu trinken

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