Blogeintrag 3
90 Tage China: Woche 3

Home Sweet Home

Ich wohne in einem Apartmentkomplex direkt neben der Schule. Mit nur drei Minuten Fußweg zum Klassenzimmer wird das wohl der kürzeste Arbeitsweg sein, den ich jemals haben werde. In den Apartments, die sich in drei Wohnblöcke gliedern, sind vor allem Lehrer*innen untergebracht, die an der Fremdsprachenschule unterrichten. Ich wohne im dritten Block in der vierten Etage, direkt neben einem Kindergarten.

  • Apartmenthaus in Xi'an © Theresa Metzler

    Home Sweet Home

  • Kindergarten in Xi'an © Theresa Metzler

    Blick aus dem Fenster auf den Kindergarten

​Unter mir wohnt Anita, eine quirlige, liebenswürdige Spanischlehrerin, die fließend Chinesisch und Englisch spricht und von allen eigentlich nur Anna genannt wird. Anna ist fünfunddreißig Jahre alt, unheimlich gutaussehend und nicht auf den Mund gefallen. So hat sie es als einzige Fremdsprachenlehrerin geschafft, sich aus unseren doch sehr einfach und spärlich eingerichteten Wohnungen ein kleines gemütliches Zuhause zu zaubern. Bei einem gemeinsamen Filmeabend auf ihrer Couch erzählt sie mir von dem heruntergekommenen Zustand, den ihre Wohnung bei ihrer Ankunft im vergangenen Herbst hatte und davon, wie sie es mit viel Hartnäckigkeit und Bestimmtheit geschafft hat, ein neues Bett, eine angenehm-weiche Matratze und eine echte Küche zu bekommen. Dazu muss man wissen, dass die Wohnungen in China meist keine Einbauküche haben. Gekocht wird auf einfachen Herdplatten, die auf dem mit Glasscheiben eingefassten Balkon stehen. Geschlafen wird auf verhältnismäßig harten Matratzen – warum das so ist, habe ich bisher noch nicht herausgefunden.
Die spärliche Einrichtung meiner Wohnung macht mir im Übrigen nicht viel aus – ich lerne, mit weniger zurecht zu kommen und das fühlt sich wirklich gut an.

 
English Corner
 
Es ist Dienstagabend, 18.30 Uhr, und ich sitze noch beim Abendessen in der Mensa der Schule. Anna sendet mir eine Sprachnachricht auf WeChat und fragt mich, ob ich heute mit ihr ausgehen möchte. Wohlwissend, dass ich noch nicht alle Stunden für den Folgetag vorbereitet habe, schmeiße ich meinen Perfektionismus in die Ecke, schnappe mir meine Lederjacke und Handtasche und klopfe keine dreißig Minuten später an Annas Tür, um sie abzuholen. Während wir ölsardinenartig in der Metro aneinander kleben, fragt sie mich, ob ich das Café „Sculpting in Time“ kenne. Anna ist überrascht, als ich ihre Frage bejahe. Wir sind auf dem Weg zum „English Corner“, eine Veranstaltung, die jeden Dienstag im Café stattfindet. Es gibt kostenlose Kaffeespezialitäten für alle und die Möglichkeit, sich mit englischsprechenden Menschen aus aller Welt auszutauschen. Als wir ankommen, ist das Café bereits voll und wir kommen mit verschiedenen Leuten ins Gespräch, deren Geschichten spannender nicht sein könnten.  
 
Todds Geschichte beginnt in Houston, Texas, wo er in den letzten Jahren gelebt und gearbeitet hat. Erst seit kurzem ist er wieder zurück in seiner Heimatstadt Xi’an und sucht nun einen neuen Job. Für allzu lange will er nicht hier bleiben, auch wenn seine Eltern ihn hier gut zur Unterstützung der Familie brauchen könnten. In China fühlen sich die Kinder ihren Eltern gegenüber stärker zur Unterstützung verpflichtet, als das bei uns in Deutschland vielleicht der Fall ist. Doch der 29-Jährige will lieber nach Kanada, das ist sein eigentlicher Traum. Dort möchte er sich ein Boot kaufen, angeln gehen und dem Trubel der chinesischen Großstädte entfliehen.
Gegenüber von mir sitzt Joy. Sie ist US-Amerikanerin und arbeitet als Englischlehrerin an der Uni. Sie wohnt mit einer alten britischen Dame zusammen, die sensibel auf „Strahlung“ jeglicher Art reagiert, weshalb sie in ihrer Wohnung kein WLAN haben können. „Ich bin jeden Tag hier im Café“, erzählt sie mir. „Irgendwo muss ich ja meinen Unterricht vorbereiten.“ Auf dem Tisch liegt ihre Bibel, die sie stets bei sich trägt. In der Mitte unseres Gesprächs erzählt sie mir mit großem Entsetzen, dass sie hier furchtbar oft nach „Dates“ gefragt wird, wegen ihren blonden lockigen Haaren. Offenbar hofft sie darauf, dass ich ihr als „Leidensgenossin“ beistehen kann. Ich erzähle ihr, dass im Englischunterricht einer meiner Schüler plötzlich aufstand und fragte, ob ich einen festen Freund hätte. Aus dem Lachen kommen wir so schnell nicht heraus und es wird ein herrlich bunter Abend.
Viel zu spät machen Anna und ich uns auf den Nachhauseweg.
 
Unser Apartmentkomplex wird von einem Chinesen bewacht, der, wie Anna mir erzählt, seinen Job sehr ernst nimmt. Jeden Abend um 23.00 Uhr schließt er das Tor ab und öffnet es nicht vor 5.00 Uhr morgens. Ich begreife, dass wir eine nächtliche Ausgangssperre haben, die wir gerade imstande sind, zu überschreiten. „Ähm, wie kommen wir dann heute noch rein?“, frage ich sie, während leichte Panik in mir aufsteigt. „Ach, wir wecken ihn einfach! Ich lasse mir doch mit fünfunddreißig Jahren nicht mehr vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe“, entgegnet sie mir aufgebracht in ihrem starkem spanischen Akzent auf Englisch. Ich schmunzele in mich hinein und trotzdem fühle ich mich ein bisschen schuldig, als wir an dem Tor rütteln und kurz darauf an dem müde schimpfenden Mann vorbei schleichen.
Im Hausflur fängt Anna plötzlich laut an, auf dem Fußboden herum zu stampfen. Ich zucke zusammen und wundere mich kurz, dann begreife ich. Das Licht im Flur geht an – und mir geht ein Licht auf. In den vergangenen Wochen habe ich im Hausflur vergeblich nach Lichtschaltern gesucht. Nun weiß ich, dass Geräuschsensoren für Licht im Dunkeln sorgen und dass ich von Anna noch so einiges lernen kann.
 
 
Echo
 
In meiner dritten Woche habe ich zum ersten mal das Gefühl, dass Xi’an mein zeitweiliges Zuhause ist. Meine Freundin Echo, die ich seit unserem ersten Zusammentreffen im Buchladen wirklich sehr lieb gewonnen habe, trägt viel dazu bei.
Nudelessen im Restaurant „Liu Xiang Mian“
Nudelessen im Restaurant „Liu Xiang Mian“ | © Theresa Metzler
Ihre Pläne, ein paar Kilos für den bevorstehenden Sommer zu verlieren, wirft sie für mich gerne über Bord. Im muslimischen Viertel, in dem man eine der ältesten und größten Moscheen Chinas bestaunen kann, gibt es überall Leckereien am Straßenrand zu kaufen. Wir starten im ältesten Nudelrestaurant der Stadt – im „Liu Xiang Mian“. Der Laden platzt zur Mittagszeit aus allen Nähten und es geht her, wie auf einem türkischen Basar. Während die Chinesen Schlange stehen, sichere ich für Echo und mich zwei Plätze. Neben mir schlürfen zwei junge Asiaten ihre Nudeln mit den Essstäbchen aus der Schüssel – das Gesicht hängt dabei so dicht wie nur möglich über den Schüsseln. Als eine ältere Chinesin unsere Nummer aufruft (mehr brüllend als rufend), mache ich es den jungen Chinesen nach. Nudeln essen in China – so geht das eben!
 
Ich bin froh, dass Echo und ich uns eine Portion geteilt haben, denn während wir durch die Seitenstraßen des muslimischen Viertels schlendern, nehme ich an jeder Ecke neue Gerüche wahr. Es ist ein kulinarisches Paradies! An der einen Ecke kaufen wir uns „Lao zao“, jungen Reiswein. An einer anderen Ecke probieren wir „Lu dou bing“, frittierte Teilchen gefüllt mit süßer Bohnenpaste. Überall gibt es frisch gepressten Granatapfelsaft, getrocknete Datteln, süßen Reis, exotische Früchte, Nüsse, Gewürze sowie gebratene Fleisch- und Fischsorten am Stiel zu kaufen. Bevor wir zum Abschluss ein Eis in dem besten Eisladen der Stadt essen, muss ich noch Chilis nach alter Tradition mahlen – zum Vergnügen der restlichen Touristen.
  • Huiminjie – Das muslimische Viertel © Theresa Metzler

    Huiminjie – Das muslimische Viertel

  • Exotische Früchte und frisch gepresster Saft am Straßenrand © Theresa Metzler

    Exotische Früchte und frisch gepresster Saft am Straßenrand

  • Chilis als Grundnahrungsmittel © Theresa Metzler

    Chilis als Grundnahrungsmittel

  • Theresa isst Eis im Shaanxi Thirteen © Theresa Metzler

    Das beste Eis der Stadt gibt’s im Shaanxi Thirteen

Chinesisches Fondue – Hot Pot
 
Am Samstag ist es endlich soweit. Mein erstes Hot-Pot-Essen in China steht an. Der chinesische Feuertopf erinnert an das, was wir als Fondue kennen und gilt als ein kulinarisches Highlight in allen Reiseberichten. Echo und John, ein Arbeitskollege und Freund von Echo, begleiten mich. Die beiden entpuppen sich als die perfekten kulinarischen Guides und obwohl John nur wenig Englisch spricht, verstehen wir drei uns prächtig.
Das Restaurant, in dem wir essen wollen, liegt in der obersten Etage eines Einkaufszentrums und ist bereits sehr gut besucht, als wir dort eintreffen. „Dieser Ort ist bei jungen Menschen total angesagt“, erklärt Echo mir. „Es kann sein, dass wir etwas warten müssen.“ Die vierzig Minuten Wartezeit vertrödeln wir schlendernd und mit einem heißen „Milk Tea“ in der Hand durch die Mall. Ich entdecke noch ein Restaurant, in dem man sich seinen Fisch in einem großen Glasbecken selbst aussucht, bevor er vor den Augen der Gäste frisch zubereitet und gebraten wird und nehme mir vor, auf jeden Fall hierher zurück zu kommen.
  • Theresa mit Begleitung im Restaurant © Theresa Metzler

    Gan bei! Prost!

  • Chinesischer Hot Pot © Theresa Metzler

    Hot Pot – Feuertopf

  • Theresa mit Begleitung im Restaurant © Theresa Metzler

    Liao za lie!

Als wir endlich an der Reihe sind und unsere Wartenummer aufgerufen wird, knurrt mein Magen unüberhörbar laut. Wir bestellen uns zunächst verschiedene Fleischauswahlen, schwarzen Tofu, Pilzvariationen, Salat und anderes Gemüse. Danach wählen wir zwei verschiedene Brühen aus – eine feurige Brühe mit frischen Chilis und eine weniger scharfe Gemüsebrühe. Während wir uns individuell verschiedene Soßen mit Gewürzen, Nüssen und Kräutern zu einem Dipp zusammenstellen, wird unser Feuertopf schon auf dem Tisch eingelassen. In dem ganzen Restaurant dampft es an allen Tischen, es ist ein beeindruckendes Bild. Sobald alle Zutaten bereit stehen, beginnt das große Festmahl. Wir kochen das Fleisch und das Gemüse in unserem heißen Topf. Zwischendrin stoßen wir mit chinesischem „Bier“ an, das ein bisschen wie Becks Green Lemon schmeckt und mit dem Bier, das ich kenne und schätze wenig gemeinsam hat. Gan bei!
Es ist schon ein bisschen herausfordernd das gewünschte Stück Fleisch oder Tofu in der brodelnden Brühe mit den Stäbchen wieder herauszufischen. Gleichzeitig macht es mir großen Spaß und an „aufhören“ ist lange nicht zu denken.
„Willst du noch etwas neues auf Chinesisch lernen?“, fragt Echo mich grinsend, als wir wirklich nicht mehr weiteressen können. Sie reibt sich den Bauch und sagt „Liao za lie“. „Das heißt so viel wie Yum, Yum Yum.“

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