Blogeintrag 4
90 Tage China: Woche 4
Gesundheitsgefährdend!
Seit einigen Jahren bin ich begeisterte (Halb-)Marathonläuferin. Meine erste Marathonpremiere habe ich im vergangenen Herbst in Dresden gefeiert. In diesem Jahr steht Frankfurt auf meiner Liste – angemeldet bin ich schon. So ist es vielleicht auch gut nachvollziehbar, dass ich meine Laufschuhe nicht zu Hause lassen konnte. Wer selbst Läufer ist oder passioniert einer anderen Sportart nachgeht, weiß was ich meine. Leider standen meine Laufschuhe in den ersten beiden Wochen hier in China eher traurig in der Ecke herum. Grund dafür ist folgender: die Luftqualität.
Als ich in Xi’an ankam, nahm ich ihn sofort wahr, den Smog, der die Stadt manchmal fast mystisch umgibt – romantisch ausgedrückt. Bei dem Blick auf meine „Airpocalypse“-App (heißt wirklich so!) stellen sich schnell ganz andere Gefühle ein. Ich lerne, dass die Feinstaubbelastung in der Luft das wirklich Schlimme ist, denn dieser Feinstaub dringt über die Atemluft in unsere Lungen und kann gesundheitliche Schäden hervorrufen. Auch meine vorinstallierte Wetter-App auf dem iPhone beunruhigt mich mit Feinstaubwerten über 100, manchmal sogar über 200. „Gesundheitsschädlich für empfindliche Gruppen“ steht da, manchmal lese ich auch einfach nur „sehr ungesunde Luftqualität“. In Europa gibt es eine EU-Feinstaubrichtlinie die besagt, dass der Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an einer Messstation an nur 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf. In China erlebe ich Feinstaubbelastungen, die mehr als das Vierfache betragen.
Ratlos und ein bisschen missmutig lasse ich die Schuhe erst einmal in der Ecke liegen und beobachte einmal wieder. Mit meiner Atemmaske mache ich mich auf den Weg in den nahe gelegenen Daminggong National Heritage Park. Dort entdecke ich eine eigens angelegte Tartanbahn für Läufer*innen und Ausdauersportler*innen, die fast durchgängig den ganzen Park umrundet und sogar alle 500 Meter mit Markierungen versehen ist. Läufer*innen sehe ich nur vereinzelt. Ein paar Einheimische verausgaben sich an den fest installierten Fitnessgeräten im Park. Andere gehen einfach nur spazieren, walken oder fahren mit dem Rad an mir vorbei. Kaum einer trägt eine Maske. Ich schon, zumindest an den wirklich schlimmen Tagen. Ich habe das Gefühl nun noch mehr aufzufallen, als ich es sowieso schon tue. Auch in der Stadt begegnen mir an Tagen mit hoher Feinstaubbelastung nur wenige Chinesen mit Atemmaske. Ist es vielleicht doch nicht so schädlich, wie das Resultat meiner Recherche es vorzugeben scheint?
Oh Sally
Deprimiert erzähle ich Anna, der Spanierin aus dem dritten Stock, von meinem Problem. „Ich gehe ins Fitnessstudio, gleich hier um die Ecke. Du bist verrückt, wenn du hier draußen Sport machst. Das bringt dich um!“, entgegnet sie mir aufgebracht. „Ich nehme dich am Montag mal mit, wenn du magst.“ Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich kurz darauf zum ersten Mal „Sally“ betrete – mein neues Fitnessstudio. Ich mache ein Probetraining und melde mich gleich für die verbleibende Zeit hier in Xi’an an. Auf dem Laufband zu laufen ist besser als gar nicht, denke ich mir.
Bei meinem zweiten Training bekomme ich sogar eine kostenlose Personal-Training-Einheit. Annas Personal Trainer hat sich dafür extra eine App aufs Handy geladen, die mir die Übungen in meiner Sprache erklärt. Ich amüsiere mich prächtig, finde die Situation zwischenzeitlich sehr absurd und komme nebenbei richtig ins Schwitzen.
Gegen echtes Laufen im Park kommt das Laufband dann eben doch nicht an. Sorry, Sally!
Besuch aus Berlin
Am Dienstagnachmittag mache ich mich auf den Weg zum Flughafen, denn ich erwarte Besuch. Meine Freundin Sophie aus Berlin, mit der ich übrigens schon den ein oder anderen Lauf gemeinsam durchgestanden habe, müsste jeden Moment auf dem Xi’an Xianyang International Airport landen. Ich bin aufgeregt und kann es kaum erwarten, sie in die Arme zu schließen. Uns stehen ein paar gemeinsame Tage in Xi’an, Hangzhou und Peking bevor.
Weil ich am Mittwochvormittag im Akkord unterrichte und ein paar Stunden vorziehen kann, haben wir ein bisschen mehr gemeinsame Freizeit, die wir zur Erkundung der Stadt nutzen wollen. In Xi’an zieht der Frühling sehr plötzlich mit hochsommerlichen Temperaturen ein. Wir leihen uns Fahrräder und radeln gemütlich die 14 Kilometer auf der historischen Stadtmauer entlang. Die zwölf Meter hohen Mauern wurden bereits im Jahr 1370 während der Ming-Dynastie erbaut und umranden heute als Rechteck den Kern des Zentrums von Xi’an. Vor ungefähr zwei Wochen habe ich mit Hualin bei gefühlten drei Grad hier noch die hell leuchtende Laternenausstellung bei Nacht bestaunt. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor und tatsächlich begreife ich, dass ein Drittel meines großen Abenteuers mit dieser Woche schon vorbei ist. Am Donnerstag machen Sophie und ich uns auf den Weg zu DER Sehenswürdigkeit von Xi’an, die gleichzeitig auch einer der berühmtesten archäologischen Funde der Welt ist: die Terrakotta-Armee. Die Erwartungen sind hoch. Über eine Stunde sitzen wir im Bus, der am Hauptbahnhof von Xi’an startet und sich hupend, ruckelnd und schaukelnd durch den dichten Verkehr quält. Obwohl es um die dreißig Grad warm ist, sind wir die einzigen in kurzen Hosen und T-Shirt. Die Chinesen und besonders die Chinesinnen entscheiden sich auch bei sehr warmen Temperaturen eher für Langarmshirts, UV-undurchlässige Strumpfhosen und Sonnenschirm, weil sie fürchten, zu viel „Farbe“ abzubekommen. Wir freuen uns ein bisschen von der winterlichen Blässe an Beinen und Armen einzubüßen und machen uns auf den Weg zur ersten Grube, die als die spektakulärste der insgesamt drei Gruben gilt und 2000 Soldaten und Pferde beherbergt, die mit kämpferischen Minen gen Osten blicken und bereit zur Schlacht sind.
Was wir erblicken, als wir die Halle betreten, ist in der Tat spektakulär, nur irgendwie anders als erwartet. Hunderte Touristen, die meisten davon Chinesen, tummeln sich auf der Plattform, alle wollen das perfekte Erinnerungsfoto schießen und schubsen und drängeln sich aneinander vorbei. Mit Blitz zu fotografieren, ist eigentlich nicht gestattet, was von den meisten einfach ignoriert wird. Sophie und ich werfen nur einen schnellen Blick auf die Armee und flüchten uns daraufhin in die seitlichen Gänge, wo deutlich weniger Betrieb ist. Ich bin ein bisschen geschockt, dass man zu diesem Ort, der derartig alte Funde ausstellt, augenscheinlich nur eines Fotos wegen pilgert. Informationen auf Englisch gibt es nur wenige, wir besichtigen im Anschluss noch die zweite und dritte Grube und genießen dann unseren selbst mitgebrachten Proviant auf einer Bank im Schatten.
Auf dem Rückweg zum Busparkplatz werden wir erneut von wild durcheinander werbenden Chinesen für „English Guides“, Essen zu verhältnismäßig horrenden Preisen und allerlei Schnick-Schnack belagert. Unser Fazit zu der kaiserlichen Begräbnisstätte fällt etwas ernüchternd aus. Froh sind wir trotzdem, die Kriegerarmee einmal live gesehen zu haben.
No English!
Über Ostern reisen Sophie und ich eher spontan nach Hangzhou, das südlich von Shanghai an der Ostküste Chinas liegt. Hangzhou ist eine Tee- und Seidenstadt, die am malerischen Westsee gelegen ist und von einer grünen idyllischer Hügellandschaft umrandet wird. Wir haben einen sehr günstigen Flug ergattert und nehmen dafür einen Flug zu nächtlicher Stunde in Kauf. Als wir um 01.20 Uhr in Hangzhou landen, sind wir müde und hoffen, dass der bestellte Shuttle zum nahe gelegenen Airport-Hotel bereits auf uns wartet.
Diese Hoffnung erweist sich im Nachhinein als äußerst naiv – solide ausgedrückt. Nach einigem Hin- und Hergerenne sind wir zu erschöpft, um weiter zu suchen. Das Hauptproblem gestaltet sich wie folgt: Uhm, ni hao, do you speak English?“ Fragende Gesichter, auf beiden Seiten. Es folgt eine Aneinanderreihungen von chinesischen Phonemen in atemberaubender Geschwindigkeit, die erst nach einer Weile abebbt und uns nicht wirklich weiter gebracht hat.
Eigentlich ist das für mich nichts Neues. In allen Reise- und Erfahrungsberichten, die ich vor meinem Chinaaufenthalt gelesen habe, steht, dass man in China mit Englisch nicht weit kommt. Und eigentlich weiß ich auch, dass ich diejenige sein sollte, die sich im Chinesisch sprechen üben sollte. Dennoch flammt in manchen Situationen in mir immer wieder eine kleine Hoffnung auf, dass ein bisschen Englisch doch drin sein muss. Zum Beispiel am Fahrkarten- oder Bankautomaten, der zunächst mit ein paar übersetzten englischen Wortfetzen wie „Tickets“, „Cash“ oder „Insert Card“ lockt und wenige Minuten später doch enttäuscht, weil ein Meer von chinesischen Zeichen auf dem Display aufflackert. Oder im Airport-Hotel, wo wir an der Rezeption verzweifelt nach der Uhrzeit für „Breakfast“ und „Check-out“ fragen. Meine Übersetzungs-App hat uns in einigen Situationen schon ein wenig weiter geholfen, so auch in dieser und wir sind froh, als wir am nächsten Tag nach einem sehr guten Frühstück im Taxi ins Zentrum von Hangzhou sitzen.
Für die verbleibenden Nächte haben wir ein Hostel in einer hippen Ecke der Stadt gebucht. Als wir an der Rezeption einchecken nähern wir uns zunächst schüchtern: „English?“, fragen wir beide zugleich, offensichtlich eingeschüchtert von den Erlebnissen der letzten Nacht. „Oh yes, no problem“, entgegnet uns ein junger Chinese mit rundlicher Brille lässig lächelnd. Erleichtert atmen wir auf, das Wochenende kann beginnen.