Blogeintrag 5
90 Tage China: Woche 5
Postkartenchina
Hangzhou ist eine grüne und verspielte Stadt mit Fußgängerpassagen und süßen Cafés, die zum Verweilen einladen. Hangzhou ist eine Stadt am Wasser und es gibt viele Möglichkeiten Natur zu erleben und zu sehen. Man schlendert durch Parks mit blühenden und duftenden Bäumen, man atmet klare Luft, erblickt sanfte grüne Hügel am Horizont und genießt natürlich den berühmten Westsee. Die Stadt wirkt wie eine malerische Postkarte. Hangzhou ist einfach eine Stadt zum Durchatmen – zumindest, wenn man aus einer der „Betonstädte“ Chinas kommt und bereit ist, die saubere Luft mit vielen anderen Touristen zu teilen. An unserem ersten Tag in Hangzhou begebe ich mich mit Sophie zum Westsee. Dort angekommen, genießen wir den Blick von einer Parkbank aus und kaufen uns ein Wassereis. Es ist Freitagnachmittag und noch ist es verhältnismäßig ruhig am Seeufer. Doch die Wochenendtouristen und Menschenmassen sind bereits auf dem Weg in die Stadt. Alleine ist man in China eigentlich nie.Wir verbringen den Tag am Wasser und genießen die atemberaubende Aussicht von der Spitze der Lei-Feng-Pagode am südlichen Ufer des Sees. Beim Aufstieg der Pagode wundern wir uns einmal wieder darüber, dass man in China lieber 15-20 Minuten für die Rolltreppen und den Aufzug ansteht, anstatt die Treppenstufen zur Spitze der Pagode zu nehmen.
Am Abend zieht es uns auf die Snackstraße Zhongshan Nanlu, südlich des Trommelturms. Es gibt gebratene Dumplings, eine Art herzhafter gebackener und länglich gefalteter Crêpe und frittierte Kartoffelbällchen. An den Ständen mit den frittierten Spinnen, Käfern und anderen Insekten am Spieß sowie an dem höllisch stinkenden Tofu, der im Reiseführer als regionale Spezialität ausgewiesen ist, laufen wir lieber rasch vorbei. Unsere Unterkunft liegt inmitten des Qinghefang, einer Fußgängerzone in der Altstadt. Zwischen den vielen kleinen Restaurants und Essensständen kann man Souvenirs und grünen Tee sowie Kleidung und Schals aus Seide kaufen. Wir schlendern noch eine Weile umher und lassen den Abend ganz gemütlich mit einem kühlen Tsingtao-Bier ausklingen.
Urlaubsstimmung
Der nächste Tag beginnt mit einem „westlichen“ Frühstück im Hostel und einer Bootsfahrt auf dem Westsee. Wir haben uns ein kleines Boot ausgeliehen und tuckern zwischen dem Ufer und der kleinen Insel Xiaoying in der Mitte des Sees hin und her. Es ist ein richtig heißer Tag, trotzdem entschließen wir uns im Anschluss für eine kleine Wanderung im Landschaftsschutzgebiet südlich des Westsees. Auf dem Abstieg des Berges kommen wir am nahe gelegenen Taiziwan-Park vorbei, der im Frühjahr für seine blühenden Tulpen- und Narzissenbeete bekannt ist. Wir schlängeln uns durch ein Meer von Touristen, die im Park Zelte zum Sonnenschutz für ihre Kinder aufgeschlagen haben und sich die Zeit vertreiben.Am Abend landen wir spontan in einem Restaurant, in dem man Hot Pot essen kann. Auf der Karte ist wirklich alles (!) auf Chinesisch, lediglich ein, zwei Bildchen mit Getränken sind zu erkennen. Wir nehmen trotzdem Platz und bitten die Restaurantchefin um Hilfe. Mit unseren Übersetzungs-Apps stellen wir uns eine bunte Auswahl aus Tofu und allerlei Gemüse zusammen, dass uns nach und nach aufgetischt wird. Wieder einmal erlebe ich ein wahres Festmahl und am Ende werden wir sogar noch beschenkt. Auf einem Teller bekommen wir eine echte Hangzhou-Spezialität serviert – süßen Lotus mit Reis und Honig, daran heftet einen liebevolle Notiz auf Englisch. Später am Abend entdecken wir ein Café, das ausschließlich Produkte mit Matcha serviert: Matcha-Eis, Matcha-Latte, Matcha-Kuchen, Matcha-Tee... Als wir den Laden verlassen, haben wir beide ein Eis in der Hand. Es ist ja schließlich Urlaub.
Longjing
An unserem Abreisetag machen wir einen Ausflug zum Drachenbrunnendorf „Longjing“, ein Teedorf südwestlich der Stadt gelegen. Der hippe Rezeptionist rät uns ein Taxi für ungefähr 30 Yuan zu nehmen, das uns direkt in das nahe gelegene Teedorf bringen soll. Wir bitten ihn, uns den Namen des Dorfes auf Chinesisch auf eine Karte zu schreiben und auch den üblichen Preis pro Strecke. In dem Glauben, dass so nichts schief laufen kann, steigen wir in das erste Taxi, das wir am Trommelturm um die Ecke erspähen. Den Betrag von 30 Yuan nickt unser Taxifahrer zunächst ab, dann fährt er los, greift nach seinem Handy und wählt eine Nummer. Nach ein paar Sätzen, die er mit dem Telefonpartner gewechselt hat, reicht er mir den Hörer auf die Rückbank. Etwas verwirrt blicke ich Sophie an und halte mir das Handy ans Ohr. „Hello?“, frage ich unsicher. Es meldet sich eine männliche Stimme, die mich auf Englisch erneut fragt, wo wir hinfahren möchten. Ich mache deutlich, dass der Fahrer bereits wisse, wo wir hinwollen, da ja alles auf der Karte stehe. Unentwegt redet die Stimme auf mich ein, versucht mir ein Sonderangebot für den doppelten Preis anzudrehen, bei dem uns der Fahrer noch zu einem ausgewählten Teerestaurant fahren könnte. Ich lehne dankend ab, der Hörer wird noch ein paar mal hin und her gereicht und ich frage mich, was jetzt eigentlich das Problem ist. Kurz darauf beginnt das Auto zu ruckeln. Sophie und ich tauschen skeptische Blicke aus und ehe wir uns versehen, wirft uns der Fahrer mitten auf der Straße aus dem Taxi. Der Mann am Telefon sagt uns, dass der Fahrer ein Problem mit dem Auto habe, wir müssten jetzt leider sofort aussteigen – sorry!Wir sind total baff und fühlen uns irgendwie abgezockt. „Was war das denn bitte?“, fragt Sophie mich fassungslos. Ich habe keine Antwort auf ihre Frage, doch bin mir relativ sicher beobachtet zu haben, wie der Taxifahrer den Wagen absichtlich abgewürgt hat. Ich blicke mich um und erkenne ein Krankenhaus für Krebspatienten auf der anderen Straßenseite. „Na super“, denke ich noch, doch kurze Zeit später kommt bereits ein weiteres Taxi. Wir strecken unseren Arm in die Luft und das Taxi hält an. Uns bleibt nichts anderes übrig, als erneut unseren Zettel zu zeigen und es noch einmal zu probieren. Mit Fahrer Nummer zwei läuft dann alles reibungslos. Kein unnötiges Feilschen, keine Mätzchen, keine Umwege. Zehn Minuten später erreichen wir das Teedorf Longjing.
Zwar haben wir den Tipp aus dem Reiseführer, doch das Dorf wirkt nicht allzu touristisch. Geführte Touren gibt es hier (noch) nicht. Wir wandern durch die Teeplantagen und beobachten die Arbeiterinnen, die in Handarbeit Teeblätter pflücken, um sie anschließend die steilen Hänge hinunter ins Dorf zu tragen. Sie grüßen uns freundlich und winken uns zu, wenn sie uns bemerken. Oben angekommen bestaunen wir die Teelandschaft. Es ist unheimlich still und friedlich hier, entfernt hört man die quasselnden Teepflückerinnen.
Im Dorf selbst stehen überall Körbe mit Teeblättern zum Trocknen in der Sonne. Wir laufen noch ein Weilchen durch das Dorf, bis es sanft zu regnen beginnt und wir uns (mit dem Bus!) auf den Rückweg machen.
Schwarz und Weiß. Und ganz viel Grau.
Zurück in Xi’an erwartet mich eine kurze Woche. Weil das Totengedenkfest „Qingming“ bevorsteht, ist am Donnerstag und Freitag unterrichtsfrei. So muss ich lediglich am Dienstag und Mittwoch unterrichten. In der Schule hat sich langsam der Alltag eingeschlichen und ich freue mich schon auf den bevorstehenden Austausch am kommenden Wochenende mit den anderen Schulwärts!-Stipendiaten in Peking. Wir werden drei gemeinsame Tage in der Hauptstadt verbringen und uns über bisher gesammelte Erfahrungen im chinesischen Schulsystem austauschen.Während ich das schreibe, sitze ich in einem der Hochgeschwindigkeitszüge von Xi’an in Richtung Peking. Mit 300km/h rasen wir durchs Land – 1100 Kilometer in viereinhalb Stunden. Ich habe Zeit die vergangenen Wochen ein bisschen Revue passieren zu lassen. Ich bin begeistert von dem hohen technologischen Anspruch Chinas. In China besitzt wirklich jeder Mensch ein Smartphone, vieles wirkt so fortschrittlich und futuristisch wie diese Zugfahrt. Für alles gibt es in China Regeln. Reinigungskräfte sorgen für penible Sauberkeit auf den Straßen, überall kann man per WeChat oder AliPay bezahlen, selbst der Straßenmusiker hat einen QR-Code am Koffer kleben.
Gleichzeitig leben viele Chinesen in ärmlichen Behausungen, gekocht, geschlachtet und gegessen wird ganz unkompliziert auf der Straße, nebenan repariert jemand Mopeds und ein anderer verkauft illegal Obst, Socken und Handyhüllen auf der Straße. Regelbrüche sind keine Seltenheit. Der Smog vernebelt die Städte und aus regulären Bankautomaten kommt manchmal sogar Falschgeld raus.
Die Menschen in China sind viel bunter, als ich es erwartet habe und versuchen sich wie überall auf der Welt, von der Masse abzuheben. Ich treffe freundliche, hilfsbereite Menschen und einen Taxifahrer, der uns erst mitnimmt und dann einfach wieder rausschmeißt, weil wir uns nicht abzocken lassen wollen. Wie in jedem Land der Welt gibt es hier ambivalente Widersprüche. Diese zu erfahren und versuchen zu begreifen, macht für mich den Reiz fremder Kulturen aus.