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Irgendwo zwischen Europa und Asien
Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben. - Alexander Freiherr von Humboldt
In diesem Sinne habe ich mich für 2 ½ Monate auf den Weg gemacht in das mir völlig unbekannte kleine Land am Kaukasus: nach Georgien. Schon bei meiner Ankunft am Flughafen konnte ich meine ersten Erfahrungen mit der Gastfreundschaft machen, die den Georgiern nachgesagt wird. So teilte mir meine Mentorin Dali und Deutschlehrerin am Gymnazium Shavnabada schon kurz nach unserer Begrüßung am Flughafen mit: „Der Gast ist in Georgien ein Geschenk und deshalb werden wir uns immer darum kümmern, dass es dir gut geht.“ Dieses Versprechen wird hier tatsächlich sehr ernst genommen, sodass mir durch Dali und ihre Kollegin als 24h-Betreuung für Probleme, Sorgen und Bedürfnisse zur Seite stehen.
In manchen Situationen war diese Betreuung schon äußerst hilfreich, so beispielsweise in Bezug auf das für mich nach wie vor undurchschaubare System der öffentlichen Verkehrsmittel in Georgiens Hauptstadt Tbilisi. Zu den Hauptverkehrszeiten werden die Straßen Tbilisis zu einem gelben, hupenden Meer aus Minibusse mit dem charmanten Namen Marschrutkas. Die Marschrutkas befördern ihre Passagiere im Grunde an jeden Ort der Stadt, doch für mich folgen sie dabei nach wie vor einer eigenen Logik, die ich noch nicht durchschaut habe. Ich bin immer wieder beeindruckt wie mir Dali eine Nummer und den Satz nennen kann, den ich zum Fahrer sagen muss, um durch Zauberhand am richtigen Ort zu landen. Zumeist sind die Marschrutka-Fahrer trotz ihrer Aufgabe, die mir den letzten Nerv rauben würde, erstaunlich hilfsbereit und mancher gar fürsorglich. So kam ich bei der Fahrt zum Höhlenkloster Vardzia in den Genuss einer Panorama-Marschrutka-Fahrt, bei der der Fahrer an jedem guten Aussichtspunkt eine Pause für Fotos machte. Ebenso erinnerte dieser Fahrer alle daran noch einmal auf die Toilette zu gehen und die Wasserflaschen an der guten Bergquelle aufzufüllen. Gerade in den Bergen verfügt Georgien über ein reichhaltiges Angebot an tollen Mineralquellen.
Es gibt im Straßenverkehr zudem noch einige Dinge, die für mich bisher wahrhafte Mysterien darstellen, dazu gehört zum Beispiel, dass hier mindestens so viele Autos das Steuer links wie rechts haben und ich somit regelmäßig vor Geisterfahrern oder kleinen Kindern am Steuer zurückschrecke, sowie die Tatsache, dass Fußgänger und Fahrradfahrer zu sein hier ebenso merkwürdig ist wie Plastiktüten an der Supermarkt-Kasse abzulehnen. Ebenso unerklärlich ist mir die Annahme, dass das Bekreuzigen an jeder Kirche der Stadt (auch durch den Fahrer!) auf irgendeine Weise zur Verkehrssicherheit beiträgt.
Die Tatsache, dass ich mich recht viel mit dem Verkehrssystem auseinandersetze, ist wohl nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass meine Schule am südwestlichen Stadtrand liegt. Auf dem Weg von der Metro überquere ich einen der vielen Märkte in Tbilisi, auf dem gerade morgens reger Betrieb herrscht. Hier kann man an jeder Ecke frisches Obst und Gemüse, Fisch und frisch gebackene Holzofenbrote für einen Lari (also ca. 30 Cent) kaufen. Mit Blick auf die in Tbilisi ständig präsenten Berge, die sich hier wie die Haut einer Dogge falten, sammle ich gerne jeden Tag die Eindrücke auf meinem Weg zur Schule.
Ein Cha-cha für die Sinne - Die ersten Tage in der Schule
Das Gymnazium Shavnabada ist eine Privatschule unter kirchlicher Trägerschaft und liegt somit mit seinen Räumlichkeiten und seiner Ausstattung über dem Standard der staatlichen Schulen in Georgien. Die Klassengrößen von 16-20 Schüler*innen sind für die trotzdem nicht allzu großen Klassenräume sehr angenehm. Da an der Shavnabada alle Schüler*innen bereits ab Klasse 1 Englisch und ab Klasse 7 Deutsch lernen, wurde ich von einem guten Sprachniveau überrascht, was das Unterrichten sehr erleichtert. Die Schüler*innen sind hier (das mag damit zusammenhängen, dass ihnen das Privileg einer Ausbildung an der Privatschule bewusst ist) sehr fleißig und strebsam. Die größte Herausforderung mit diesen leistungswilligen Lernenden ist für mich bisher ihre Angst vor dem Sprechen und den Fehlern. Viele sind keinen Kontakt mit deutschen oder englischen Muttersprachlern gewöhnt und scheuen sich davor mit mir zu sprechen. Ich hoffe, dass ich diese Hemmungen im Laufe der Zeit abbauen kann.
Bereits in meiner ersten Woche an der Schule durfte ich am alljährlichen Lehrerausflug teilnehmen, der nach einer kurvigen Fahrt durch die Berge mit Chacha-Pausen (der georgischen Schnaps) durch ein traditionelles Festmahl gekrönt wurde. Dieses Festmahl folgt einem festgelegten Schema, wobei der sogenannte Tamada (in diesem Fall der Schulleiter) mit Toasts auf Gott und die Welt heiter durch den Abend führt. Da hier bei einem langen Abend wirklich viele Toasts ausgesprochen werden, wird hier tatsächlich fast alles gelobt: das Kollegium, die Schüler*innen, die Vorfahren, die Eltern, die Gestorbenen, das Essen, der Wein, die Freundschaft und in meinem Fall auch ich als erste Lehrerin aus einem anderen Land an der Shavnabada.
Auf diese Toasts folgte natürlich zunächst das Trinken (des berühmten georgischen Weins) und wundervolle, jeweils inhaltlich auf den Toast abgestimmte polyphone Gesänge. Alles in allem ist ein solches Festessen ein Erlebnis der besonderen Art, das ich nicht vergessen werde.