Johannes Ebert am 23. Oktober 2013
Kultur und Transformation

Lieber Herr Seidt,
liebe Kolleginnen und Kollegen unserer Partnerinstitutionen,
lieber Michael Thoss,
sehr geehrter Herr MdB Kiesewetter,
liebe Partner, Kultur- und Bildungsakteure aus dem Ausland und aus Deutschland,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,


die Länder des arabischen Frühlings befinden sich im Umbruch – und stehen damit vor außergewöhnlichen Möglichkeiten und Herausforderungen. Mit einer Vielzahl von Projekten und Partnerschaften begleitet das Goethe-Institut die Veränderungsprozesse in Nordafrika und im Nahen Osten durch die Qualifizierung und Vernetzung von Kulturschaffenden und Bildungsakteuren untereinander und mit Deutschland. Das werden Sie alle im Laufe der Konferenz erleben und diskutieren. Zuvor erlauben Sie mir ein paar einführende Anmerkungen.

Warum wenden wir, das Goethe-Institut, uns vor allem an die Kulturschaffenden und die Bildungsakteure, warum legen wir einen so großen Wert auf die Qualifizierung und die Vernetzung dieser Berufsgruppen? Man könnte doch sagen, angesichts so großer wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Herausforderungen müssen die Kunst und die Bildung „ein bisschen warten“, bis die allerwichtigsten Probleme im täglichen Leben der Menschen gelöst sind?

Vor wenigen Tagen habe ich meine Kollegin Christa Meindersma in Amsterdam getroffen, die Leiterin des „Prince-Claus-Fund for Culture and Development“. Wir waren uns einig, dass das Motto des Prince-Claus-Funds gerade auch für die Länder des arabischen Frühlings Geltung hat: „Culture is a basic need“.

Denn Künstlerinnen und Künstler, Kultur- und Medienakteure spielen eine entscheidende Rolle bei der Konstituierung von Gesellschaften und bei der täglichen und konkreten Bewältigung von gesellschaftlichen Herausforderungen. Das gilt auch für Lehrer und Lehrerinnen in Schulen und Hochschulen, die ihre Schüler/innen und Studierenden auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereiten sollen. Ich erzähle Ihnen hier bestimmt nichts Neues, der arabische Frühling hat uns in dieser Auffassung bestärkt! Künstlerinnen, Kulturschaffende, Lehrende und Akteure der Medien sind Seismografen, feine Antennen, Kommentatoren und Kritiker politischer Entwicklungen. Sie sind aber zugleich selbst Mitgestalter und Akteure gesellschaftlicher Veränderungen.

Doch um Gehör zu finden und agieren zu können, bedarf es einer selbstbewussten Stimme, einer professionellen Struktur und eines tragfähigen Netzwerks.
Die Programme, die das Goethe-Institut im Rahmen der Transformations-partnerschaft des Auswärtigen Amts zusammen mit seinen Partnern konzipiert und realisiert, basieren auf dem Vertrauen, das innerhalb der kulturellen Szenen, bei den Bildungsfachleuten und den Institutionen zwischen Deutschland und der arabischen Welt entstanden ist, ein tragfähiges Netzwerk, das professionelle Akteure beider Seiten miteinander verbindet – seit vielen Jahren, über alle politischen Brüche hinweg.

In den Zeiten der Transformation sind nun ganz besonders Förderprogramme gefragt, die die Akteure stärken, qualifizieren, beraten, vernetzen (in der Region und mit Deutschland), die Strukturen fördern und die Rahmenbedingungen für Kunst, Kultur und Bildung verbessern wollen.

Erlauben Sie mir noch eine Einschätzung aus persönlicher Sicht. Ich war von 2002 bis 2007 selbst Leiter der Goethe-Institute der Region Nordafrika/Nahost und habe in diesen letzten Jahren der lähmenden Mubarak-Zeit in Kairo gewohnt und gearbeitet. Schon damals haben wir Jugendinitiativen identifiziert und gefördert, die sich einem gesellschaftlichen Wandel verschrieben hatten. Wir hatten eine vielbeachtete Dialogreihe mit dem Titel „Der Islam und der Westen“, bei der sich Professionelle von beiden Seiten getroffen und miteinander diskutiert haben: ein katholischer Theologe traf auf einen Imam, ein Psychologe aus Deutschland auf einen ägyptischen Kollegen, eine Kommunalpolitikerin, die zugleich Schuldirektorin war, auf eine Lehrerin für Islamunterricht usw. Wie wichtig solche Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Positionen und unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen sind, können wir alle jetzt im Ägypten der Nach-Mursi-Zeit und in Tunesien, aber auch in Deutschland nach den Wahlen, überall beobachten.

Es gibt aber trotz aller Schwierigkeiten einen entscheidenden Unterschied zu den Zeiten der arabischen Potentaten: mehr Leute beteiligen sich und mehr Leute werden beteiligt, auf allen Ebenen. Für mich war es ein Signal für eine grundlegende Veränderung, als sich im letzten Jahr das Kulturministerium Ägyptens an das Goethe-Institut gewandt hat mit der Bitte, das Goethe-Institut und seine Partnerinstitutionen in Deutschland mögen Mitarbeiter aus dem eigenen Ministerium fortbilden. Ebenso empfand ich die Möglichkeit, Leiterinnen und Leiter der staatlichen tunesischen Kulturhäuser in Kulturmanagement und Veranstaltungsorganisation weiterzubilden, als eindrückliches Signal der öffentlichen Stellen für eine Zusammenarbeit auf einer neuen institutionellen Ebene. Die nächste Fortbildung für Kulturmanagement steht nun ausdrücklich staatlich angestellten und freien Kulturmanagerinnen und Kulturmanagern offen.

Diese Angebote sind aber nicht die einzigen Projekte. 2012 und 2013 hat das Goethe-Institut insgesamt 18 Projekte in Kairo, Alexandria, Tunis, Ramallah und Deutschland zusammen mit den Partnern konzipiert und realisiert. Sie betreffen nicht nur die Kulturschaffenden, sondern wenden sich an Journalisten, Verlegerinnen, Lehrer, Leiterinnen von Initiativen und Institutionen, aber auch an das „große Publikum“: Besucher der Tahrir-Lounge und der Veranstaltungen des Goethe-Instituts, Schüler/innen, Leser/innen der Angebote unseres Bücherbusses. Die Projekte stoßen auf ein überwältigend positives und anhaltendes Echo, für das ich Ihnen, den Partnern der Projekte in Nordafrika/Nahost, auch an dieser Stelle, hier in Berlin, herzlich danken möchte.

Denn die eigentlichen Ressourcen, davon bin ich überzeugt, sind nicht finanzieller Art und die grundlegenden Verbindungen zwischen den Ländern sind nicht die der Wirtschaftsströme. Es sind die geistigen Beziehungen, die die Voraussetzung für einen tiefgreifenden Dialog zwischen den Kulturen bilden. Und weil Kulturen, ebenso wie Religionen nur über Personen miteinander ins Gespräch kommen können, ist die Basis unserer Programme immer die einzelne Person, das Individuum. Ein einziger Künstler, eine einzige Aktivistin, können den entscheidenden Anstoß für eine Revolution auslösen, ein Gedicht oder ein Lied den Zukunftserwartungen vieler Menschen Ausdruck verleihen, ein Film, ein Theaterstück zum Schlüsselerlebnis für Jugendliche auf ihrem Weg zum Erwachsensein werden.

Wir wissen von den Aktivisten und Aktivistinnen auf dem Tahrir-Platz oder auch vom Taksim-Platz in Istanbul, wie solche spontanen Kulturproduktionen entstehen und wirken, wie Ideen entstehen, aber auch, wie mühsam es ist, eine Initiative weiterzuentwickeln zu einer tragfähigen Institution. Es geht bei den Beiträgen des Goethe-Instituts zur Transformationspartnerschaft deshalb darum, die professionellen Akteure aus Kultur und Bildung zu stärken, aber auch Initiativen zu unterstützen, die noch kein großes Renommee in den kulturellen Szenen und noch kein politisches Gewicht haben, aber die vor Ideen sprühen, wie man die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben kann. Deshalb hat das Goethe-Institut das „Cultural Innovators Network“ in Leben gerufen, das junge Akteure aus Kultur, Medien, Zivilgesellschaft zusammenbringt, die gemeinsam Ideen entwickeln und sich an der Zukunftsgestaltung ihrer Länder beteiligen wollen – wohlgemerkt nicht nur Leute aus Ägypten oder Tunesien, sondern aus Ländern vom Sudan bis nach Schweden.

Weiterhin ist der Wunsch nach Modernisierung der Bildung in Ägypten und Tunesien aktuell ein großes Desiderat. Das Goethe-Institut unterstützt seine Partner bei der Fortbildung von Schulleitungen und Lehrkräften für Deutsch, aber auch für Geschichte – denn lebendiger Geschichtsunterricht will nicht nur Fakten vermitteln, sondern auch lehren, Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven zu beurteilen.

Die aktuelle Geschichte ist noch nicht abgeschlossen und die aktuellen und zukünftigen Entwicklungen in der Region, die uns heute und morgen auf der Konferenz „Kultur und Transformation“ beschäftigen, sind nicht absehbar. Von allen Programmen des Goethe-Instituts sind Vertreterinnen und Vertreter gekommen, weitere engagierte und interessierte Fachleute aus Programmen anderer Organisationen der Transformationspartnerschaft und der Kultur- und Bildungsinstitutionen aus Deutschland sind ebenfalls anwesend.

Wir wollen gemeinsam die Zukunftsmöglichkeiten, die Bedürfnisse und die Chancen und Risiken abwägen, diskutieren und „Stimuli for the Future – Impulse für die Zukunft“ entdecken und entwickeln: eine wichtige, spannende und herausfordernde Aufgabe !

Ich möchte Ihnen, unseren Partnern aus der Region, ebenso den Partnerinstitutionen, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, der Deutschen Welle, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, dem Institut für Auslandsbeziehungen und vor allem unserem Partner und Mitveranstalter, dem Auswärtigen Amt, herzlich dafür danken, dass Sie dieses Risiko, in solchen bewegten Zeiten zu einer solchen Konferenz einzuladen und zu ihr zu kommen, auf sich genommen haben. Lassen Sie uns die Chance nutzen!

Das Goethe-Institut ist gespannt auf die Ergebnisse und Empfehlungen und wird sie in seinen zukünftigen Projekten zur Transformationspartnerschaft zu nutzen wissen!

Vielen Dank!

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