Johannes Ebert am 2. Oktober 2015
25 Jahre Goethe-Institut Prag
Rede von Johannes Ebert anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Goethe-Instituts Prag
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin der Stadt Prag Adriana Krnáčová,
Sehr geehrte Frau Ministerin, Kateřina Kalistová,
Sehr geehrter Karel Fürst Schwarzenberg,
Sehr geehrter Regierender Bürgermeister von Berlin, Michael Müller,
Sehr geehrter Botschafter Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven,
Lieber Berthold Franke,
Liebe Gäste, liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Der Kartoffelsalat – den Unterschied macht der Kartoffelsalat. Bei meiner schwäbisch-württembergischen Großmutter, der Mutter meines Vaters, darf außer Fleischbrühe, Essig, Öl, Salz und Pfeffer nichts an die gekochten Kartoffeln dran. Meine Mutter dagegen fügt zu den Kartoffeln kleingeschnittene saure Gurken dazu, Erbsen, manchmal gekochte Karotten oder Wurststückchen, ich glaube sogar Mayonnaise. Meine Mutter ist in Bärringen, tschechisch Pernink, im Landkreis Karlsbad geboren. Und dieser west-östliche Unterschied bedeutet einen unermesslichen Reichtum, der natürlich nicht nur darin besteht, dass man beispielsweise an Weihnachten in den Genuss von zwei ganz unterschiedlichen Arten von Kartoffelsalat kommt. Dieser west-östliche Reichtum ist – wenn ich das so persönlich ausdrücken darf – auch sehr tief in meiner Familiengeschichte verankert.
Mein Großvater Willy Reinelt, 1905 geboren, Drogist und Opernliebhaber, hat Ende der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts für zwei Jahre in Prag bei einer Großhandlung für Drogeriewaren gearbeitet. Sein Bruder Hans war niedergelassener Rechtsanwalt in Prag. Prag war für meinen Großvater die Großstadt, die Kultur, vielleicht das „wilde Leben“? Sein engster Freund jener Zeit war ein tschechischer Kollege, den er erst 40 Jahre später wiedergesehen hat, nach einem Krieg, den Deutschland der Welt angetan hat, und der letztendlich für meinen Großvater auch den Verlust der Heimat bedeutete. Das Wiedersehen der beiden, so hat es mir meine Tante erzählt, war sehr bewegend.
Diese Verständigung herzustellen zwischen den Menschen, die sich in der Geschichte der letzten 100 Jahre viele Wunden zugefügt haben; ein gegenseitiges Verstehen herbeizuführen gerade auf den Feldern der Bildung, der Kultur, des Sprachenlernens – das ist eine zentrale Aufgabe der Goethe-Institute weltweit. Und so bin ich froh und auch etwas gerührt darüber, dass wir hier heute gemeinsam stehen, 25 Jahre nach der Verwirklichung der deutschen Einheit, und gemeinsam das 25 jährige Jubiläum unseres Goethe-Instituts in Prag feiern.
Der Aufbruch des Goethe-Instituts nach Mittelosteuropa und Osteuropa in der Folge des Falls der Berliner Mauer war für uns ein großes und reiches Abenteuer. Allein zwischen 1988 und 1994 wurden dort fünfzehn neue Goethe-Institute gegründet. Wir stießen auf ungeheuer großes Interesse an der deutschen Sprache und Kultur und diese Nähe zeigt sich auch 25 Jahre später noch hier in Prag oder in Warschau, wo wir in der letzten Woche das 25jährige Jubiläum des Instituts ebenfalls mit einem Kulturmarathon gefeiert haben. Ich habe diese Zeit ganz persönlich miterlebt: Meine ersten Stellen beim Goethe-Institut waren in den Neunziger Jahren in Riga, der Hauptstadt Lettlands, und in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Es war ein Aufbruch in eine alte, große kulturelle Verwandtschaft und Nähe, die durch Krieg und kalten Krieg in vieler Hinsicht brutal unterbrochen worden war.
Heute feiern wir das 25jährige Jubiläum des Goethe-Instituts Prag als Regionalinstitut mit Aufgaben in ganz Mittelosteuropa: die Länder des ehemaligen Ostblocks sind heute Kernländer des Goethe-Instituts, wir konnten nun schon für eine Generation lang die großartige Erfolgsgeschichte dieser Länder begleiten und freuen uns darüber. Das gilt insbesondere für Prag und Tschechien mit seiner großen europäischen Tradition, die ja mit ihren deutschen und jüdisch-deutschen Wurzeln eine ganz besondere Nähe zu uns aufweist, ein Faktor, der die Arbeit des Goethe-Instituts in den letzten 25 stark geprägt hat. So ist unsere Arbeit hier auch Lernarbeit für die Deutschen, denen in Prag immer wieder auch der immense Verlust deutlich wird, den sie erlitten haben, als durch eigene Schuld das deutsche bzw. deutschsprachige Prag zu Ende ging – am besten sichtbar im unwiederbringlich verlorenen Erbe der Prager deutschen Literatur.
Dennoch ist unsere Arbeit nach vorne gerichtet. Wo haben wir sonst noch so gute Möglichkeiten: Zwei Drittel der jungen Tschechinnen und Tschechen haben in ihrer Schullaufbahn Deutschunterricht, in allen Sparten des kulturellen Lebens werden unsere Programme nachgefragt. Welches Goethe-Institut hat noch außer Prag ein deutschsprachiges Theaterfestival mit den besten Produktionen von Wien bis Hamburg, das sogar ein Berliner Publikum hierher führt? Und wo sonst haben wir so ein schönes, ja großartiges Haus, das selbst für unsere in städtischer Schönheit so verwöhnten Prager Gäste ein Anziehungspunkt sui generis ist?
Alles gut? Also alles gut? Wir können sagen: für das Goethe-Institut in Prag das Allermeiste: ein professionelles, motiviertes Kollegium – und hier möchte ich ganz ausdrücklich meinen Prager Kolleginnen und Kollegen für ihre hervorragende Arbeit danken –, Partner und Freunde, die uns schätzen und inspirieren, Ideen für die Zukunft, darunter das kommende ambitionierte Projekt des Bibliotheksumbaus mit dem Ziel, die Angebote, Themen, Medien und Programme des Hauses auf eine völlig neue Weise zu bündeln und zu präsentieren. Und dank des Deutschen Bundestags und des Auswärtigen Amts sogar etwas Geld, um die großen Pläne mit Aussicht auf Erfolg anzugehen.
Wir sind also vorbereitet, auch auf eine sich rasch verändernde Welt, in der nicht alles gut ist, und die sich nicht nur nach dem Takt der immer besser funktionierenden deutsch-tschechischen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenarbeit richtet.
Ein Thema, von dem aus sich die kommenden Aufgaben brennpunktartig zusammengefasst abzeichnen, wurde heute Abend schon mehrmals angesprochen: das Flüchtlingsthema – ein Thema, das uns auf völlig neue Weise fordert, für das es aber auch bedeutende historische Referenzen gibt. Ich denke dabei an die Zeit vor 26 Jahren, an die Flüchtlinge in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland hier in Prag und Genschers erlösende Rede vom Balkon. Ich denke an das Jahr 1968, als Flüchtlinge aus Prag nach Deutschland kamen und uns dort bereichert haben. Ich denke an das Jahr 1945/46 – die vielen Flüchtlinge und „displaced persons“ in ganz Europa, auch an die Deutschen, die die damalige Tschechoslowakei verlassen mussten – ich habe von meinem Großvater und meiner Familie erzählt. Die Flüchtlingswelle aus Ostasien, die in den 70er und 80er Jahren viele Menschen aus Vietnam und den angrenzenden Ländern in den Westen brachte.
„(Europa) besteht (...) aus geronnenen Flüchtlingsströmen“, hat der Historiker Karl Schlögel einmal geschrieben. Und deshalb haben die Schicksale von Flüchtlingen mit uns allen zu tun. Heute begegnen wir in Europa der herausfordernden Situation durch den aktuellen Flüchtlingsstrom, die uns nicht trennen darf, sondern solidarisch verbinden sollte. Dies ist eine neue europäische Erfahrung, der man nicht naiv, aber auch nicht ohne Optimismus entgegentreten sollte und die vor allem auch kulturelle Ressourcen braucht: Verständigung, Sprache, Werte, Humanität… Dazu braucht es mehr als nur Tschechen und Deutsche, sondern alle, die guten Willens sind. Und dazu braucht es eine Kultur, die die besten Eigenschaften Europas neu belebt, die Kultur, für die wir gemeinsam mit Ihnen eintreten wollen und die an wenigen Orten so sehr spürbar ist wie in der wunderbaren Stadt an der Moldau.
Zum Abschluss geht mein Dank an die Stadt Prag, das Kulturministerium, das Bildungsministerium, das Außenministerium, die Deutsche Botschaft und die deutschen Institutionen in Tschechien – wie gesagt – allen heutigen und ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Goethe-Institut Prag – und vor allem geht mein Dank an unsere tschechischen Partner in allen Arbeitsbereichen, an Museen, Galerien, Schulen, Theater, Kinos, Festivals und vielen andere: Nur in der Zusammenarbeit mit Ihnen allen kann unsere Arbeit für den Kulturaustausch zwischen Tschechien und Deutschland erfolgreich sein.
Vielen Dank!
(es gilt das gesprochene Wort)
Gehalten am 2. Oktober 2015 in Prag