Johannes Ebert am 20. Oktober 2016
„Goethe-Institut | Damaskus im Exil“
Grußwort von Johannes Ebert anlässlich der Eröffnung des temporären Projektraums „Goethe-Institut | Damaskus im Exil“ in Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
ich möchte Ihnen sehr danken, dass Sie heute Abend zur Eröffnung unseres Projektraums „Goethe-Institut Damaskus im Exil“ gekommen sind. Er wird von 20. Oktober bis zum 5. November 2016 geöffnet sein. Hier werden sich Künstlerinnen und Künstler aus Syrien – aus der arabischen Welt – und Deutschland mit Menschen aus Berlin treffen. Wir werden Musik hören, Filme sehen. Wir werden über Themen wie Flucht, arabisches Verlagswesen, kulturelle Perspektiven für Syrien, das Leben von Künstlerinnen und Künstlern im Exil diskutieren. Wir werden aber auch darüber sprechen, welche Möglichkeiten wir als Goethe-Institut im Rahmen unserer Arbeit im Nahen Osten haben, die Menschen dort mit Kultur- und Bildungsprojekten zu unterstützen.
Ich möchte aber zunächst zur Stadt Damaskus einen ganz persönlichen Zugang nehmen. Und ich werde versuchen, das in der Sprache dieser wunderbaren Stadt zu tun. In vielen Diskussionen über die gesellschaftliche Teilhabe von syrischen Flüchtlingen in Deutschland wird der Wunsch geäußert, dass auch wir Deutschen uns den Ankommenden stärker zuwenden, dass wir uns auf ihre Kultur und Sprache einlassen. Ich denke, das ist wichtig. Und da ich vom September 1985 bis Juli 1986 als Student in dieser Stadt am Barada-Fluss gelebt habe und als Regionalleiter des Goethe-Instituts von Kairo immer wieder zurückgekommen bin, möchte ich das gerne tun. Während ich auf Arabisch spreche, wird Rania Mleihi auf Deutsch sprechen. Deutsch, das sie am Goethe-Institut Damaskus gelernt hat. Darauf sind wir stolz, denn das Erlernen der Sprache ist die Grundlage für die Teilhabe in dem Land, das Fremde aufnimmt. Und wir freuen uns, dass wir dazu weltweit einen Beitrag leisten.
Vor einigen Tagen erhielt ich ein kleines Paket. Es kam von einer guten Freundin meiner Familie, die ich 1985 in Kairo bei einem Sprachkurs kennengelernt habe. Sie befand sich mitten im Umzug und hatte ihr Bücherregal aufgeräumt. Ich war sehr neugierig, was in dem Paket war. Als ich es öffnete, kam ein Kalender von 1987 mit Fotos aus meiner Zeit in Syrien zum Vorschein. Schon das erste Bild, das mich mit einem syrischen Beduinenkostüm zeigt, hat mich daran erinnert, dass ich damals ein wenig in diese Freundin verliebt war. Ich wollte einen guten Eindruck machen. Als ich den Kalender durchblätterte, war ich sehr berührt. Ein Bild von der Umayyadenmoschee, eine Aussicht auf das Stadtviertel Muhajirin, wo ich eine kurze Zeit lebte, Bilder von meinen Reisen nach Palmyra, nach Aleppo. Ich war damals viel in Syrien unterwegs bis nach Ressafa oder Deir ez-Zor, wo heute die Terroristen des IS wüten.
Alle diese Erinnerungen blitzten in diesen Momenten auf. Und beim zweiten oder dritten Durchblättern auch die Fernsehbilder von heute: ein barbarisch zerstörtes Palmyra, Aleppo in Ruinen. Es ist schrecklich, dass in dem Moment, in dem ich durch meinen Kalender blättere, Angriffe geflogen werden, die Männer, Frauen und Kinder, die im Alter meiner eigenen Kinder sind, das Leben kosten. Wir sind machtlos da bei und sehen in Fernsehsendungen, wie strategische Fragen zu Syrien diskutiert werden…
Beim Blättern in meinem Kalender musste ich an mein Zimmer in der Studentenstadt in Mezze denken. Ich habe dort 7 Monate gelebt. Das Zimmer hatte drei Betten, aber wir lebten zu fünft darin, denn die Freunde meiner Mitbewohner hatten in Damaskus kein Zimmer gefunden. Salah und Muhammad stammten aus dem Hauran, einem kleinen Dorf in der Nähe von Bosra, Munir und Bashar stammten aus einem kleinen Ort in den Bergen oberhalb der Stadt Tartus. Ich habe sie alle besucht, habe mit Salah und Muhammad hausgemachtes Tschenglisch gegessen und mit Munir und Bashar die Aussicht auf die Berge im Westen Syriens genossen. Ich wusste aber auch, dass es da einen Stachel gab, dass sich meine Freunde manchmal aus dem Weg gingen.
Ich habe in Damaskus auch zum ersten Mal das Goethe-Institut kennengelernt. Wir haben dort die Bibliothek besucht, Bücher ausgeliehen. Das Goethe-Institut war ein guter Treffpunkt für deutsche und syrische Studenten. Meine erste Idee, für das Goethe-Institut zu arbeiten, wurde in Damaskus geboren. Viele Erinnerungen, viele Orte, die für mich von Bedeutung waren: Der Suq al Hamidiyye, über den ich meinen ersten Zeitungsartikel schrieb, die Umajjadenmoschee mit ihrer Ruhe, das Hamam Nur ed-Din, wo wir uns in den kalten Wintertagen aufwärmten, das französische Institut für arabische Studien, wo ich Literatur für meine Magisterarbeit suchte, das italienische Krankenhaus, wo ich vom Typhus geheilt wurde, und vieles andere.
Im Mai 2012 musste ich eine Entscheidung treffen, die mir sehr schwer fiel. Ich war gerade 3 Monate Generalsekretär des Goethe-Instituts. Aufgrund der Sicherheitslage in Syrien waren wir gezwungen, das Goethe-Institut in Damaskus zu schließen. Wir haben dabei versucht, den treuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine möglichst lange, finanziell abgesicherte Zeitspanne zu geben. Wir hofften damals, dass der Konflikt bald enden würde, und alle wieder zur Arbeit und Normalität zurückkehren können. Wir wissen, dass dies nicht so war. Aber ich freue mich besonders, dass wir bei unserem kleinen Projektraum „Goethe-Institut Damaskus im Exil“ mit Pelican Mourad und Mey Seifan zwei ehemalige Mitarbeiterinnen des Goethe-Instituts Damaskus bei uns haben.
Auf der einen Seite sind wir ohnmächtig, auf der anderen Seite sehen wir heute als Goethe-Institut in unserer Arbeit eine große Verantwortung für die Situation. Erstens haben wir eine Verantwortung für die, die in die Nachbarländer Syriens und nach Deutschland geflohen sind. Zweitens haben wir eine Verantwortung in Europa, wo die Ablehnung des Fremden immer mehr um sich greift.
In den Nachbarländern Syriens, im Libanon, im Irak, in Jordanien und in der Türkei wollen wir mit Projekten in Kultur und Bildung einen zumindest bescheidenen Beitrag dazu leisten.
Unser Kulturproduktionsfonds in Kooperation mit Ettijahat unterstützt geflohene syrische Künstlerinnen und Künstler dabei, ihre Arbeit weiterzuführen. Wenn sie – hoffentlich – einmal zurückkehren, werden sie eine große Verantwortung für den Wiederaufbau ihrer Gesellschaft haben.
Der Auftrag des Goethe-Instituts liegt vor allem im Ausland. Deshalb können wir in Deutschland vielleicht nicht alle unsere interkulturellen Fähigkeiten und Programme anbieten. Wir danken an dieser Stelle besonders den vielen privaten Stiftungen und Unternehmen, dass wir hier Sprachkurse, Bücher und Filme, Kurse für ehrenamtliche Lernbegleiter anbieten können.
Und auch das Goethe-Institut Damaskus im Exil. Das ist nicht so groß und schön, wie das Haus in der Adnan Al Malki-Straße 8 in Damaskus, aber wir hoffen, dass in den nächsten zwei Wochen hier ein Treffpunkt entsteht, der uns Raum für Austausch, für künstlerische Darbietungen aus Syrien und Deutschland und auch eine Perspektive für die Zukunft geben wird.
Ich war am Wochenende des 3. Oktober mit meiner Frau und meinen drei Kindern unterwegs. Wir haben in Tschechien den Ort Pernink besucht. Mein Großvater, damals 40 Jahre alt, musste mit seiner Frau und seinen drei kleinen Töchtern seinen Heimatort Bärringen verlassen. Er musste fliehen. In seiner neuen Heimat in Schwaben war er nicht immer willkommen, aber meine Familie hat sich trotzdem dort eine neue Existenz aufgebaut. Meine Mutter, hat uns in Bärringen ihre Geschichten erzählt. Sie zeigte uns, wer in welchem Haus gewohnt hat. Sie erzählte uns, wer sich hinter den Namen auf den verwitterten Grabsteinen verbarg. Es gibt so viele Fluchtgeschichten in deutschen Familien und die dürfen wir nicht vergessen, wenn wir Geflüchteten eine vorübergehende oder dauerhafte Heimat geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde,
Bitte erlauben Sie mir am Ende noch einige Worte zur arabischen Sprache zu sagen. Ich liebe diese Sprache sehr. Leider spreche ich sie nicht mehr so gut wie damals. Ich habe viel verlernt. Ich liebe diese Sprache auch, weil sie so vielfältig ist. Weil sich die Vielfalt der arabischen Kultur in ihr widerspiegelt. Wenn in den Medien und Diskursen in Deutschland diese Kultur manchmal in negativem Sinne über einen Kamm geschoren wird, so zeigt uns gerade die arabische Sprache ihre Vielfalt. Die Sprache des Islam, die Weltsprache, die Sprache der Philosophie, die Sprache des Konflikts und des Friedens, die Sprache der Liebe und der Poesie.
Als ich 1985 die Freundin kennenlernte, der ich später den Kalender von 1987 schickte, hatten wir im Sprachkurs einen alten Professor. Er unterrichtete Poesie. Er kam immer zu spät und manchmal gar nicht. Aber er war sehr beeindruckend. Die Poesie, das ist Musik, sagte er immer. Wir mussten in die Hände klatschen, wenn wir die Gedichte vortrugen. Ich kann auf deutsch nur sehr wenige Gedichte auswendig, auf arabisch noch weniger. Erlauben Sie mir aber, dass ich Sie wegführe von Damaskus, vom Exil, vom Goethe-Institut hin zur Kultur und zur arabischen Sprache. Hier schließe ich meinen Kalender von 1987 und zitiere ein Liebesgedicht aus den Zeiten der Jahiliyya als meine persönliche Hommage an die arabische Sprache.
(Mündliche Rezitation des Gedichts)
Es gilt das gesprochene Wort!