Johannes Ebert am 23. Oktober 2018
Gemeinsame Unterbringung des Goethe-Instituts und des Istituto culturale italiano in Lyon
Grußwort von Johannes Ebert anlässlich der Eröffnung der gemeinsamen Unterbringung des Goethe-Instituts und des Istituto culturale italiano in Lyon
(Aufgrund kurzfristiger Abwesenheit des Generalsekretärs verlesen von Susanne Höhn, Leiterin der Region Südwesteuropa)
Das Istituto culturale italiano und das Goethe-Institut betreten mit der Kollokation hier in Lyon außenkulturpolitisches Neuland. Zwar ist schon zu Jahresbeginn die Mitarbeiterin der Außenstelle des Goethe-Institutes in Strasbourg in ein Büro des dortigen italienischen Institutes gezogen, von wo aus sie ein reichhaltiges Kulturprogramm organisiert; In Lyon jedoch haben wir weltweit die erste Kollokation zweier Vollinstitute aus Italien und Deutschland mit Kultur- und Bildungsprogrammen, Sprachkursen und Prüfungen sowie einer gemeinsamen Bibliothek.
Wir freuen uns auch deshalb besonders über diese neue vertiefte Form der Zusammenarbeit, weil sie gerade hier in Lyon stattfindet. Lyon, ein Ort, der als italienischste Stadt Frankreichs gilt und mit beiden Ländern beste Beziehungen unterhält: Auf der einen Seite sind Frankfurt und Leipzig Lyons deutsche Partnerstädte, Mailand ist das italienische Pendant. Zudem hat die intensive Zusammenarbeit des Goethe-Instituts mit der Stadt Lyon eine lange Tradition und zeugt von der hohen Wertschätzung, die die hiesigen Partner uns entgegenbringen. Das Gleiche gilt für die Region Auvergne Rhône-Alpes, die zudem mit Baden-Württemberg, der Lombardei und Katalonien in einen aktiven Verbund zusammengeschlossen ist, der den Namen „4 Motoren für Europa“ trägt und gerade in Stuttgart sein dreißigjähriges Bestehen gefeiert hat.
Die europäische Integration und Kooperation ist dem Goethe-Institut ein zentrales Anliegen: Wir engagieren uns für die Vision der europäischen Integration und für einen auf kultureller Vielfalt basierenden europäischen Kulturraum. Das Goethe-Institut tritt für den fundamentalen Wert der Freiheit als Kern des europäischen Gedankens ein. Wir alle wissen, was für einen Trümmerhaufen der Zweite Weltkrieg in Europa hinterlassen hat. Darauf baute der Gründungsmythos der Europäischen Union mit seinem Versprechen von Frieden und Wohlstand auf. Heute scheint dieses Versprechen in der Wahrnehmung vieler verblasst zu sein. Gleichzeitig hat die europäische Wirtschafts- und Bankenkrise das Vertrauen in die europäischen Institutionen erschüttert, euroskeptische Bewegungen nehmen auch in unseren Ländern immer mehr Raum ein. Dennoch gibt es schlicht keine Alternative zur europäischen Integration.
Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass die Europäische Union auf Kompromisse und tragfähige Zusammenarbeit angewiesen ist, um erfolgreich bestehen zu können. Niemand sagt also, es sei einfach! Aber es ist die Europäische Union, die unserem Europa in einer multipolaren Welt eine eigene Stimme und ein eigenes Gewicht verleiht. Deshalb müssen wir auch die Ängste derjenigen ernst nehmen, die sich von Europa abwenden, die Zweifel und Befürchtungen hinsichtlich einer offenen Gesellschaft in Europa haben. Hier müssen wir mit unserer Arbeit ansetzen und in einen aktiven Dialog treten. Wir müssen mit ihnen eine Diskussion über die Chancen und Vorteile der europäischen Integration führen und sie auch auf emotionaler Ebene wieder für Europa begeistern.
Zu den europäischen Kooperationen, die weit über bilaterale Kontakte hinausgehen, zählt nun auch unsere neue, sehr enge Partnerschaft mit dem italienischen Kulturinstitut. Dabei arbeiten Deutsche und Italiener hier in Lyon natürlich nicht erst seit heute zusammen: Im europäischen Verbund der Kulturinstitute EUNIC, zu dessen Cluster in Lyon auch noch Spanien, Portugal, Frankreich sowie Rumänien und Polen als assoziierte Mitglieder zählen, werden seit Jahren gemeinsame Projekte entwickelt. Hier zeigt sich die nachhaltige Bedeutung kultureller Diversität und Kooperation, die zweifellos eine ganz wesentliche Grundlage des friedlichen Zusammenlebens in Europa bilden.
Angesichts der aktuellen Gefahr, die von populistischen Strömungen in zahlreichen Ländern Europas ausgeht, deren Ziel in einer kulturellen Abschottung und der Errichtung neuer Grenzen liegt, ist es heute wichtiger denn je, dass unsere Institute zusammenarbeiten. Der Beitrag, den wir mit unseren Aktivitäten im Bereich der kulturellen und sprachlichen Vermittlung leisten wollen, richtet sich insbesondere auch an jüngere Menschen. Wir wollen ihnen eine interkulturelle Öffnung anderen Ländern gegenüber sowie eine profunde gesellschaftliche Bildung ermöglichen.
Auf seiner italienischen Reise in „das Land wo die Zitronen blühen“ war Johann Wolfgang von Goethe auch auf der Suche nach der Urpflanze, die ihn bis Sizilien führte. In Italien wurzelt seine Vorliebe für den Ginko Biloba, jenen Baum mit den charakteristischen Zackenblättern, der schon länger als die Dinosaurier existiert haben soll. Und eines der schönsten Gedichte Goethes, das man ganz im Sinne seiner Vorstellung von Weltliteratur als Ausdruck kultureller Offenheit auf das Andere, Fremde lesen kann, ist dem Ginko gewidmet. Einen solchen Baum haben wir bei einer gemeinsamen deutsch-französisch-italienischen Veranstaltung vor einigen Wochen hier in Lyon gepflanzt. Nach einer Diskussionsveranstaltung mit Vertretern aus Rom, Leipzig und Lyon an der Spitze des Confluence-Viertels, das als industrielles Brachland zurzeit eine große urbane Erneuerung erfährt, ging es darum, ein Zeichen für die dringende Notwendigkeit einer Rückbegrünung der Städte zu setzen. Die Baumpflanzung ist in diesem Sinne ein Symbol für unsere gemeinsame Arbeit, die darin besteht, sich in Besinnung auf unser gemeinsames europäisches kulturelles Erbe den Herausforderungen von heute zu stellen, und sich an der Gestaltung der Gegenwart und Zukunft aktiv zu beteiligen.
Den vielen langjährig und vertrauensvoll mit uns zusammenarbeitenden Partnern vor Ort und den Belegschaften der beiden Institute – nun unter einem Dach – wünsche ich viel Erfolg, interessante bilaterale, trilaterale und europäische Projekte und viele neugierige und interessierte Lyoner, die sich die neue „Wohngemeinschaft“ anschauen wollen.
Die Herausforderungen unserer Zeit sind groß – jedoch bin ich davon überzeugt, dass eine Zusammenarbeit wie diese ihren Teil dazu beitragen kann, das europäische Fundament, auf das wir uns stützen, weiter zu stärken. Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort.