Johannes Ebert am 26. Mai 2023
Vertrauen - Das Fundament der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
Beitrag von Johannes Ebert in der Zeitschrift "Politik & Kultur" des Deutschen Kulturrates
Im Austausch mit der Welt. Für Vielfalt, Verständigung und Vertrauen.« Gemeinsam mit dem Slogan »Sprache, Kultur, Deutschland« definiert dieser Wahlspruch das Koordinatensystem des Goethe-Instituts. Vertrauen zwischen Menschen und Gesellschaften weltweit, zu Deutschland und seinen Bürgerinnen und Bürgern herzustellen, das ist die Vision unserer weltweiten Arbeit. Unter dem Titel »Eine Frage des Vertrauens« diskutierten Mitte Mai 400 Menschen aus über 50 Ländern beim Kultursymposium Weimar des Goethe-Instituts über die Bedeutung von Vertrauen in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen. Gerade in Deutschlands Verhältnis nach außen ist Vertrauen von hoher Bedeutung: »Das Vertrauen unserer Partnerinnen und Partner in unser Land ist eine, vielleicht sogar die wichtigste Währung deutscher Außenpolitik«, sagte Außenministerin Annalena Baerbock jüngst bei der Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung.
Der Soziologe Niklas Luhmann sieht die Komplexität der Welt als ständige Überforderung für den Menschen. Vertrauen sei ein zentraler Mechanismus, um soziale Komplexität zu reduzieren und damit das Zusammenleben handhabbar zu machen. In Bezug auf Kooperationen »erschließt Vertrauen durch Reduktion von Komplexität Handlungsmöglichkeiten, die ohne Vertrauen unwahrscheinlich und unattraktiv geblieben, also nicht zum Zuge gekommen wären«. Das gilt auch für die internationalen Beziehungen. Denn gerade hier hat die Komplexität in den vergangenen Jahren enorm zugenommen: Die Konkurrenz neuer globaler Akteure auf der Weltbühne mit eigenen Interessen und Werten wächst. Die Klimakrise wird immer bedrohlicher. Demokratische Systeme und Akteure geraten unter Druck.
Desinformation tritt an die Stelle seriöser Berichterstattung. Gewaltsame Konflikte, wie jüngst im Sudan, nehmen zu und rücken näher. Gerade der Angriff Russlands auf die Ukraine wird als Zeitenwende erfahren, die Verunsicherung schafft und auch die internationale Zusammenarbeit wesentlich beeinflusst.
In dieser Weltlage ist es wichtig, dass Verteidigungsbereitschaft und Energiesicherheit hergestellt werden. Die zunehmende Komplexität in den internationalen Beziehungen erfordert jedoch auch ein verstärktes Engagement, das Vertrauen zu Deutschland in der Welt zu stärken. Es geht darum, das Beziehungsgeflecht zwischen Menschen und Gesellschaften, das auch auf die Ebene der politischen Entscheiderinnen und Entscheider zurückwirkt, zu festigen. Gerade hier sind die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und ihre Mittlerorganisationen gefragt. »Ihr Engagement ist gefordert wie nie zuvor, weil Kulturpolitik auch ganz klar Sicherheitspolitik ist. Wenn wir die Freiheit von Kultur, Wissenschaft und Medien fördern, dann stärken wir damit auch die Freiheit und Sicherheit der Menschen«, sagte Annalena Baerbock vor dem Deutschen Bundestag im Januar dieses Jahres. Der Koalitionsvertrag, der noch vor der Russlandkrise unterzeichnet wurde, schreibt eine Stärkung der Akteure der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik fest. Das ist jetzt noch wichtiger geworden, wenn auch angesichts engerer finanzieller Spielräume die Frage nach Prioritäten neu gestellt wird.
Vertrauen schaffen, aber wie? »Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit schaffen sich nicht von selbst, wenn sie benötigt werden. So freundlich sind sie nicht, wir müssen sie schon selbst durch unsere Praktiken ins Leben rufen«, schreibt der Philosoph Martin Hartmann. Das hat jedoch auf internationaler Ebene nichts mit »Nation Branding« oder anderen Marketingtechniken zu tun. Denn Vertrauen in den internationalen gesellschaftlichen Beziehungen baut sich langsam auf und wird immer wieder hinterfragt. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit müssen dauerhaft gegeben sein und sich immer wieder neu beweisen.
Die gute Nachricht ist, dass die Bundesrepublik Deutschland gute Voraussetzungen hat, Vertrauen zu gewinnen. Wenn auch den Deutschen einige negative Eigenschaften wie mangelnde Flexibilität oder Zögerlichkeit zugeschrieben werden und im Zusammenhang mit Russlands Angriff auf die Ukraine gerade bei unseren östlichen Nachbarn Kritik laut wurde – insgesamt genießt das Land weltweit weiterhin eine gute Reputation: Eine funktionierende Demokratie, ein gutes Bildungssystem, soziale Sicherheit, ein verlässlicher Bündnispartner, eine Ökonomie mit Chancen für Arbeitskräfte aus dem Ausland; die Freiheit von Wissenschaft und Kultur steht hoch im Kurs. Auch wenn man sich das angesichts anscheinend wachsender Unzufriedenheit hierzulande kaum vorstellen kann: Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein Land, das funktioniert und Sicherheit bietet. Das heißt nicht, dass man sich auf Lorbeeren ausruhen darf. Vielmehr sollte es Ansporn sein, sich mit diesen gesellschaftlichen Errungenschaften auch international einzubringen.
Zudem beginnen wir in der internationalen Vertrauensbildung nicht bei null. Im Gegenteil: Gerade durch ihre Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die deutsche Gesellschaft seit vielen Jahren mit Menschen auf der ganzen Welt verbunden. Ihre Mittlerorganisationen haben in Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten weitreichende Netzwerke des Vertrauens aufgebaut. Sie sind weltweit angesehen und genießen durch ihre im Rahmen der deutschen Außenpolitik eigenständige Arbeit eine hohe Glaubwürdigkeit. Auf sie kann Deutschland gerade auch in Zeiten der Krise setzen.
Ihre Netzwerke, wie z. B. das Goethe-Institut mit 158 Häusern in fast 100 Ländern, sind für Kultur- und Bildungsinstitutionen vor Ort seit Jahrzehnten verlässliche Partner – in guten wie in schlechten Zeiten. Das Goethe-Institut Athen feierte im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag; das Goethe-Institut Lissabon wurde 60 Jahr alt. In beiden Ländern erinnert man sich noch heute an die Rolle des Goethe-Instituts als Freiraum in den diktatorischen Phasen der 1960er und 1970er Jahre. Solche Beispiele gibt es viele. Wenn die Räume für offene Meinungsäußerung und Kreativität enger werden, wächst die Rolle der Goethe-Institute als Ort, an dem die freie Diskussion und die Erweiterung von Perspektiven möglich sind. Das ist heute aktueller denn je und für Menschen, die weltweit für freiheitliche Werte stehen, ein wichtiger Vertrauensfaktor. Gerade die globale Präsenz dieses Netzwerks ist angesichts der Zunahme von Krisen, die an unvorhergesehenen Orten entstehen, eine große Stärke für die Reaktionsfähigkeit der deutschen Außenpolitik.
Ebenso wichtig ist, sich in lebensbedrohlichen Situationen als verlässlicher Partner zu beweisen: Der Corona-Hilfsfonds, mit dem das Auswärtige Amt und das Goethe-Institut gemeinsam mit anderen Organisationen während der Pandemie Hunderten von zivilgesellschaftlichen Akteuren in Kultur und Bildung die Weiterarbeit ermöglichten, ist ein gutes Beispiel dafür. Ebenso die Hilfe für ukrainische Flüchtlinge mit Sprachkursen und die Unterstützung der ukrainischen Kultur- und Bildungsszene nach dem russischen Angriff. Es ist jetzt sehr wichtig, diese Programme fortzusetzen und für einen kommenden Wiederaufbau auszuweiten. Die ukrainischen Partner setzen großes Vertrauen in Deutschland.
Wenn Vertrauen entstehen soll, geht es nicht darum, auf Biegen und Brechen eigene Interessen durchzusetzen, sondern gemeinsam Lösungen zu finden und gegenseitige Unterstützung zu leisten. Die Grundlage dafür, die das Goethe-Institut in seiner dialogischen Arbeit anstrebt, sind Respekt für das Gegenüber und aktives Zuhören. Es geht darum zu erfassen, was Kultur- und Bildungspartner von Deutschland in ihrer jeweiligen Situation benötigen, welche Themen für sie relevant sind, und welchen Beitrag die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik dazu leisten kann. Unzählige bilaterale und multilaterale Kultur-Kooperationen mit deutscher Beteiligung zeugen vom Erfolg dieses dialogischen Ansatzes. Bisweilen tritt der deutsche Anteil bewusst in den Hintergrund. Eine afrikaweite Plattform, wie das von der Siemens-Stiftung und dem Goethe-Institut vor zehn Jahren initiierte »Music in Africa« zur Vernetzung der afrikanischen Musikszene, stärkt angesichts ihres Nutzens für die Kultur- und Kreativwirtschaft in Afrika auch das Vertrauen in die, die diese Kooperation möglich gemacht haben.
Vertrauen entsteht zwischen Menschen und strahlt in Gesellschaften aus. Deshalb geht es nicht nur um die Qualität von Beziehungen, sondern auch um deren Quantität. Je mehr Menschen mit unserem Land in Kontakt treten, desto eher besteht die Chance, eine – hoffentlich vertrauensvolle – Beziehung zu entwickeln. 15 Millionen Menschen, die weltweit Deutsch lernen, 170.000 Deutschlehrerinnen und -lehrer, 250.000 Menschen, die jährlich die Deutschkurse des Goethe-Instituts absolvieren oder die über 5 Millionen Besucherinnen und Besucher bei unseren Kulturveranstaltungen sind in diesem Zusammenhang wichtige Zielgruppen. Deshalb muss es auch darum gehen, die Zahl dieser Kontakte in Zukunft weiter zu erhöhen.
Gerade die großen Themen unserer Zeit eignen sich für Kooperationen und Projekte mit hoher Reichweite: Schülerinnen und Schüler, die sich im Deutschunterricht mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, ein Fonds des niederländischen Prince-Claus-Funds und des Goethe-Instituts, der Kulturprojekte zum Thema Klima fördert, die Konferenz »Frequenzen – Feminismen global«, die im vergangenen Jahr Akteurinnen aus weltweiten Initiativen zum Thema Gleichberechtigung in Berlin zusammenbrachte – wir erleben vor Ort, dass gerade bei diesen Themen ein großer Wunsch nach Zusammenarbeit mit Deutschland besteht. Sie stehen im Einklang mit der Klimaaußenpolitik und der feministischen Außenpolitik der aktuellen Bundesregierung. Hier ist ein großes Potenzial, Kooperationen und den internationalen Austausch deutlich auszuweiten.
Unabhängig von der Behandlung solch zentraler Herausforderungen ist es für Kunst und Wissenschaft wichtig, im internationalen Austausch eine große Offenheit der Themen, Formate und Ansätze zu bewahren. Das erleichtert das Lernen von anderen, berücksichtigt deren Perspektiven und schafft so Glaubwürdigkeit. Die »sanfte Kraft« von Kultur, Bildung und Wissenschaft entfaltet sich auch im Experiment, im Ungewissen und bisweilen auch im Konfliktiven. Dann entstehen neue Perspektiven und Lösungen, die bei Krisen stabilisieren und in die Zukunft weisen können.
Die Vertrauensbeziehungen, die die Mittlerorganisationen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in der ganzen Welt aufgebaut haben, sind ein wichtiges Fundament der deutschen Außenpolitik. Auch bei der Kooperation mit Partnern, die für Deutschland schwierig und doch im globalen Gefüge unverzichtbar sind, sind sie tragfähig und resilient. Unzählige Begegnungen und intensiver Austausch haben diese filigranen Vertrauensnetze über Jahrzehnte gewebt und gefestigt. Um ihre Wirksamkeit voll zu entfalten, brauchen sie gerade in Krisenzeiten Pflege, großes Engagement und ausreichende Ressourcen. Denn, so Bundesaußenministerin Baerbock: »Dieses Vertrauen ist eben nicht selbstverständlich. Wir müssen es uns immer wieder neu erarbeiten.«