Johannes Ebert am 14. Dezember 2023
"Wir müssen uns verändern, um zukunftsfähig zu bleiben"

Interview mit Johannes Ebert im Tagesspiegel (erschienen am 14.12.2023)

Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, blickt auf das Jahr zurück und spricht über Fachkräfteeinwanderung und Stellungnahmen zum Krieg.

Herr Ebert, wenn Sie auf das Jahr zurückschauen, würden Sie 2023 lieber aus dem Kalender streichen?

Es ist ein Jahr, das geprägt ist von Krisen, die auch unsere Arbeit stark bestimmt haben: Unser Institut in Kiew ist nach wie vor geöffnet, wir führen dort viele Projekte durch. Im Sudan ist aufgrund der Bürgerkriegslage unser Institut geschlossen, wahrscheinlich zerstört, Mitarbeiter sind aus Khartum ins Ausland geflüchtet. Und jetzt noch der furchtbare Angriff der Hamas auf Israel, mit allen seinen Folgen für die Zivilbevölkerung auf der israelischen und der palästinensischen Seite. Wir betreiben Institute in Israel und in den palästinensischen Gebieten.

Welcher Moment war für Sie besonders schwierig in diesem Jahr?

Es hat mich sehr berührt, als ich im Mai bei einer Mitarbeiterversammlung 85 Mitarbeitende des Goethe-Instituts Russland entlassen musste. Das Institut kenne ich sehr gut, ich habe es selbst geleitet. Es gab keine Alternative, die russische Regierung hat die Zahl der Mitarbeitenden, die für deutsche Organisationen arbeiten dürfen, massiv reduziert, sodass wir nur noch mit 15 Mitarbeitern im Land präsent sein dürfen.

Im September haben Sie ein neues Zukunftskonzept verabschiedet, das auch Einsparungen mit sich bringt. 24 Millionen Euro sollen es in den nächsten drei Jahren sein. Kann das funktionieren?

Ich sehe das eher als Umschichtung von Geldern für Personal in Liegenschaften zu Gunsten von Programmarbeit. Die weltweite geopolitische Situation hat sich verändert, viele Entwicklungen der vergangenen Jahre haben sich enorm zugespitzt, illiberale Kontexte werden immer stärker, manche nennen das Zeitenwende. 
Damit müssen auch wir uns verändern. Um zukunftsfähig zu bleiben, konzentrieren wir uns auf neue Regionen, die geopolitisch neue Bedeutung gewinnen, wie den Südkaukasus, Osteuropa, wo wir 2024 ein Institut in Armenien eröffnen – und die Mitte der USA. Dafür müssen wir auf der anderen Seite Standorte schließen, in Washington zum Beispiel, Italien und Frankreich. Es bleibt ein schwerer Schritt – der uns aber wieder handlungsfähig macht. Und uns wieder Freiräume für unsere Programmarbeit eröffnet.

Das Goethe-Institut bereitet in Südostasien Tausende Pflegekräfte auf die Arbeitsmigration nach Deutschland vor. Ist das ein neuer Schwerpunkt des Instituts, so wie es früher mal war: Das Goethe-Institut ist 1951 als Sprachvermittlungsinstitut gegründet worden.

Nein, die Förderung des Kulturaustauschs, die Förderung der deutschen Sprache im Ausland und das Vermitteln von Informationen über Deutschland, das sind die drei Arbeitsbereiche des Goethe-Instituts, die nach wie vor erhalten bleiben und eine gleichrangige Bedeutung haben. Natürlich können Sie mit Sprachprojekten andere Zielgruppen erreichen als mit Kulturprojekten.


Die Fachkräfteschulungen nehmen aber einen immer größeren Raum Ihres Angebotes ein. Passt das für das Goethe-Institut auch gut, weil das finanziell vielversprechend ist?

Tatsächlich haben wir im vergangenen Jahr wie in Vorcoronazeiten rund 96 Millionen Euro Umsatz durch Sprachkurse und Prüfungen im Ausland gemacht. Natürlich wäre es schön, wenn unsere Einnahmen durch Fachkräfteschulungen steigen. Durch die Einnahmen können wir unsere Kurse refinanzieren und auch Teile in die Gesamtinstitution stecken. Aber das ist nicht unsere eigentliche Motivation. Unser Auftrag ist die Förderung der deutschen Sprache im Ausland.
Das Thema Fachkräfteeinwanderung ist ein hartes Wirtschaftsthema, das für Deutschland enorm wichtig ist. Ich freue mich, dass das Goethe-Institut in diesem Zusammenhang als wichtiger Akteur wahrgenommen wird. Denn Sprache ist ein entscheidender Faktor bei der Frage, ob wir in Zukunft genug Zuwanderer gewinnen können, die in Deutschland arbeiten und leben wollen.
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht dieselben Fehler machen wie früher. Die Sprache ist die Grundlage für eine erfolgreiche Integration. Nur wer Deutsch spricht, wird sich hier wohlfühlen und länger bleiben. Die Aufgabe, die wir hier im Ausland übernehmen, ist enorm wichtig für das Land.
Schließlich haben wir immer schon Menschen aus dem Ausland für den Arbeitsmarkt in Deutschland vorbereitet. Es gab Programme für die deutschstämmigen Spätaussiedler aus Russland in den 90er Jahren. In den 70er und 80er Jahren hatten wir ein großes Programm „Deutsch für ausländische Arbeitnehmer“. Jetzt sind es aufgrund des politischen und wirtschaftlichen Drucks die Fachkräfte. 

Was kann das Goethe-Institut tun, damit Auswanderer sich für Deutschland und nicht für englischsprachige Länder oder wohlhabendere Nachbarstaaten entscheiden?

Das Wichtigste ist das Thema „Faire Migration“. Das heißt, dass es Abkommen mit den Ländern gibt, aus denen die Arbeitsmigranten kommen, dass es in Deutschland faire Arbeitsbedingungen und faire Gehälter gibt. Was wir können: über Deutschland informieren, sprachlich auf das Leben und Arbeiten in Deutschland vorbereiten, mit breitangelegten speziellen Programmen, ausgerichtet auf die jeweiligen Länder und Berufe.
Und zur Sprache: Ich halte es für ein Vorurteil, dass Deutsch schwer zu lernen ist. Man kann es gut lernen durch modernen, kommunikativen, lernzentrierten Deutschunterricht.

Hat sich das Selbstverständnis des Goethe-Instituts durch das neue Zukunftskonzept geändert?

Vor zwei Jahren haben wir ein Visionsstatement erarbeitet: „Im Austausch mit der Welt. Für Vielfalt, Verständigung und Vertrauen“. Dieses ist in dieser unruhigen Zeit, in der unterschiedliche Wertehaltungen, Interessen und Visionen von der Welt hart aufeinandertreffen, aktueller denn je. Dieser Anspruch treibt uns an. Wir wollen Ort des Austausches und der Auseinandersetzung sein, um das gegenseitige Verständnis zu generieren.

In Bezug auf den Krieg in Gaza scheint das nicht immer gut zu klappen. Von Partnerorganisationen werden Sie für Ihre Stellungnahme auf Ihrer Webseite kritisiert.

Partner in den arabischen Ländern und auch anderen Ländern wie Südafrika spiegeln uns wider, dass sie von Deutschland eine stärkere Reaktion auf die Angriffe Israels auf den Gazastreifen erwartet hätten. Daraus erfolgt eine Kritik an der deutschen Position, auf die wir reagieren müssen.
In der derzeitigen angespannten Situation versuchen wir in Einzelgesprächen mit ihnen zu diskutieren, verdeutlichen ihnen die historischen Kontexte, in denen wir uns bewegen. Wir versuchen dazu beizutragen, dass sich die Fronten nicht verhärten.

Wie weit geht das?

Es gibt Kultureinrichtungen und Stiftungen vor Ort, die aufgrund ihrer kritischen Haltung zur deutschen Position ihre Arbeit mit dem Goethe-Institut nicht fortsetzen wollen. Zurzeit sind das noch Einzelfälle. Wir müssen aber beobachten, wie sich die Lage weiterentwickelt.

Auch in Deutschland ist die Lage derzeit schwierig, Veranstalter sagen Ausstellungen mit palästinensischen Künstlern ab, um sich in kein Konfliktfeld zu begeben. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, es ist wichtig, palästinensische Kultur und palästinensische Stimmen sichtbar zu machen. Die rote Linie sind Antisemitismus und die Tendenz, Israel das Existenzrecht abzuerkennen durch Slogans wie „From the River to the Sea“.
Wir selbst haben das auch so beschlossen, wir arbeiten mit Organisationen oder Künstlern, die diese Linie überschreiten, nicht zusammen, geben ihnen keine Plattform. Andererseits dürfen wir die palästinensischen Organisationen, die an einem echten Austausch interessiert sind, nicht ausgrenzen.

Welchen Einfluss nimmt das Auswärtige Amt auf Ihre Haltung? Gibt es ausgesprochene oder unausgesprochene Vorgaben?

Das Goethe-Institut, das 1951 gegründet wurde, ist ein eingetragener Verein, eine zivilgesellschaftliche Organisation. Damals war es dem Gesetzgeber wichtig, die auswärtige Kulturarbeit sogenannten Mittlerorganisationen wie dem Goethe-Institut oder dem DAAD anzuvertrauen.
Der gewisse Abstand zur Regierung war und ist auch heute politisch gewollt, um die Freiheit von Kunst, Kultur und Wissenschaft zu garantieren. So können wir wiederum authentische und glaubwürdige Kulturarbeit leisten. Als unabhängiger Verein erhalten wir also auch keine Weisungen. Wir haben vielmehr einen Rahmenvertrag mit dem AA und wir vereinbaren gemeinsam strategische Ziele, auf dieser Basis pflegen wir natürlich auch einen intensiven Austausch zu politischen Fragen und Herausforderungen.

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