23. Februar 2015
Einführung zur Konferenz „Dialog und die Erfahrung des Anderen“
Rede von Klaus-Dieter Lehmann zu Beginn der Konferenz „Dialog und die Erfahrung des Anderen“ in Berlin
Es ist nicht überraschend, dass sich das Goethe-Institut mit dem Dialog und den Erfahrungen der Anderen befasst, wobei es hier in erster Linie um den interkulturellen Dialog geht. Wir sprechen bei Goethe-Instituten von Frei- und Dialogräumen, wir sprechen von partizipatorischer Arbeit und Partnerschaft, wir sehen Möglichkeiten des Verstehens und Verständigens durch Begegnungen und Austausch.
Andrerseits stehen wir fassungslos vor Entwicklungen von Gewalt, von Abschottung, von Radikalisierung in Größenordnungen, bei denen es manchmal vermessen wirkt, diesen brutalen Zivilisationsbrüchen mit Dialogformen beikommen zu wollen. Aber Furcht und Hass können nicht die Wegbegleiter sein. Dann gibt es nur noch Eskalation und Intervention. Intervention aber ist nicht Verantwortung.
Der Dialog ist wichtiger denn je. Aber es ist kein Dialog der Unverbindlichkeit, kein Dialog der abstrakten Prinzipien, kein Dialog im Elfenbeinturm und auch kein Dialog des tagesaktuellen Geschehens. Es ist ein Dialog, der wirkliche Antworten geben muss und damit Verantwortung eingeht und übernimmt, es ist ein Dialog des praktischen Handelns, es ist ein Dialog der Offenheit und es ist ein Dialog der Nachhaltigkeit.
Die Grundprinzipien sollten sein:
- Wertschätzung von Vielfalt
- Gleichwertigkeit der Anderen
- Interkulturelle Kompetenz der Akteure
Der Dialogbegriff ist für das Goethe-Institut zentral. Er ist kein Allheilmittel, aber ohne ihn geht es sicher nicht. Die Chancen für einen glaubwürdigen Dialog liegen für die Goethe-Institute in der langjährigen gegenseitigen Kenntnis und dem Vertrauen, das in dieser Zeit gewachsen ist, aber auch in dem Umstand, das er nicht nach einem fertig ausgearbeiteten einseitigen Plan, sondern in einer offenen kreativen Lerngemeinschaft geführt wird. Mit einem solchen Ansatz kann erreicht werden, dass bei Stillstand und Abschottung wieder Prozesse angestoßen werden und dass bei Blockaden über Alternativen nachgedacht wird.
Nur mit gutem Willen und künstlerischen Ansätzen allein lassen sich gesellschaftliche Verwerfungen und fundamentalistische Positionen nicht verändern. Dazu gehören geeignete politische Rahmenbedingungen wie Rechtsstaatlichkeit und Beachtung von Menschenrechten, dazu gehören gemeinsame Überzeugungen für Bildungs- und Entwicklungspolitik und auch die Einbindung der Wirtschaft.
Dialog ist für das Goethe-Institut sowohl inhaltlich zu verstehen als auch sprachlich. Verstehen und Verständigen hängen eng zusammen. Sie sind für den interkultureller Dialog von großer Bedeutung. Untersuchungen zeigen, dass mit dem Grad der kulturellen und besonders der sprachlichen Fragmentierung von Gesellschaften die Wahrscheinlichkeit von innerstaatlichen kulturellen Konflikten sowie die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von zwischenstaatlichen Konflikten steigen. Gleichzeitig ist aber festzuhalten, dass es keinen automatischen Auslöser für kulturelle Konflikte gibt. Vielmehr wird durch all jene Konflikte, in denen Krisen und Gewalt beendet werden konnten, deutlich, dass es Lernprozesse zwischen den Akteuren und Gruppen gibt, Konflikte zu beenden und miteinander zu leben. Menschliches Zusammenleben ist in erster Linie eine kulturelle Leistung.
Das menschliche Zusammenleben ist in der modernen Weltgesellschaft immer komplizierter geworden, durch die Zunahme von Gewalt und Fundamentalismus, durch das Auslösen von weltweiten Migrationsströmen, durch die Ungleichzeitigkeit von Entwicklungen, durch die Kommunikationsmöglichkeiten, die eine zeitlich unmittelbare und wechselseitige Sichtbarkeit kultureller Räume schafft. Es gibt kein Außen und Innen mehr, Zentren und Peripherien verändern sich, Anteile von "erster Welt" gibt es in der "dritten Welt" und umgekehrt.
Aufgrund dieser Situation führt das Goethe-Institut den Dialog nicht nur zwischenstaatlich, sondern auf drei Ebenen: in Deutschland, in Europa und weltweit.
In Deutschland ist Dialog ein zentrales Thema für eine wirkungsvolle Integration. In der letzten Zeit sind nicht nur Asylsuchende und Arbeitsmigranten nach Deutschland gekommen sondern eine wachsende Zahl von Flüchtlingen, vor allem aus den Kriegs- und Krisengebieten Syrien, Irak und Libyen.
Zunächst ist sicher die deutsche Sprache ein Schlüssel zur Integration. Hierzu bildet das Goethe-Institut Lehrer und Erzieher aus, um wirkungsvoll Sprachkursstrukturen aufzubauen, erteilt selbst Sprachunterricht, bildet ehrenamtliche Helfer für Sprachkurse von Flüchtlingen aus usw. Der enge Kontakt der Goethe-Institute zu den Herkunftsländern bedeutet eine spezifische Expertise für die Integration im Inland. Sie wird mit großer Akzeptanz nachgefragt, um die Erfahrung von Fremdheit zu verarbeiten und in Verhaltensformen umzusetzen. So hat das Goethe-Institut Programme für in Deutschland tätige Imame mit der Robert-Bosch-Stiftung erarbeitet, die deren Position in den Gemeinden im Sinn von Vermittlern zwischen den eigenen kulturellen Vorstellungen und den deutschen Denkweisen und Strukturen verständlich machen und Hilfe im täglichen Leben anbieten. Bei einem weiteren Projekt werden muslimische Vertreter so fortgebildet, dass sie kommunale Verantwortung übernehmen können und in kommunalen Einrichtungen zum Bindeglied zwischen den Gruppen werden. Der Dialog beginnt also in der Nachbarschaft – Tür an Tür.
Es gibt aber auch bereits auf dem Weg nach Deutschland Initiativen für einen pragmatischen Dialog in den Ländern mit Flüchtlingen, die teilweise nach Deutschland ausreisen, in der Türkei, in Jordanien und im Libanon. Zielgruppen sind Kinder, junge Erwachsene und Frauen. Neben dem Sprachunterricht geht es um das Aufarbeiten von traumatischen Erlebnissen durch kulturelle und künstlerische Prozesse wie Theater, Film, Tanz und Musik, aber auch um Perspektiven. Kultur ist Zukunft und Hoffnung im Elend der Lager. Durch die Aktivierung von Multiplikatoren aus den betroffenen Gruppen wird trotz der beschränkten Mittel und der großen Zahl von Flüchtlingen durch das Weitertragen des Dialogs ein merkbares Ergebnis erzielt.
Die zweite Ebene betrifft Europa. In einer Situation, in der das bevorzugt auf Ökonomie und marktwirtschaftliche Prinzipien basierende Verständnis Europas Gefahr läuft, eine Zerreißprobe zu erleben, wird die Relevanz des "kulturellen Projekts" Europa und seiner Dialogfähigkeit augenfällig. Die Verantwortung für einen gemeinsamen europäischen Kulturraum ist gefordert, nicht als Einheitlichkeit sondern als gewollte Koexistenz, die sich mitteilt und zugänglich ist. Das ist aktiver Dialog!
Für Deutschland als Mittelland ist ein solcher Prozess existentiell. Aber auch er gelingt nicht aufgrund von Prinzipien sondern durch praktisches Handeln. Deshalb stärken wir die Mobilität von Künstlern und Autoren, fördern Übersetzungen, investieren in Film und Medien, setzen auf Mehrsprachigkeit, engagieren uns für Fragen von Umwelt- und Klimaschutz, arbeiten zusammen mit Bürgerinitiativen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und stärken grenzüberschreitende kulturelle Infrastrukturen. Kultur ist eben nicht der private Spielplatz für Künstler und Intellektuelle, sie ist die Grundlage unserer Gesellschaft, um offen zu sein und Neues zu denken.
Europa ist unsere Basis, aber nicht als eurozentrischer Standpunkt sondern im Sinn eines Verständigungs- und Regelwerks für einen offenen Dialog. Dazu bedarf es auch eines eigenen Profils, um erkennbar zu sein. Das darf sich nicht in "Selbstgenügsamkeit" erschöpfen, sondern muss ein Element von Weltneugier haben und die notwendige Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Dialog und Verantwortung sind ein entscheidendes Begriffspaar: Wer sich dem prüfenden Blick des Anderen stellt, wer dem Anderen Rede und Antwort steht, wer sich bemüht, ehrliche Antworten auf echte Fragen zu geben, übernimmt Verantwortung für den Anderen – eine Verantwortung, die nachhaltig ist, derer man sich nicht ohne weiteres wieder entledigen kann, denn sonst wäre sie keine Verantwortung, und eine Verantwortung, die, wenn sie ernst gemeint ist, einen selbst ebenso verändern kann wie den Anderen.
Das Goethe-Institut hat mit seinen 160 Instituten in der Welt nicht nur eine technisch und logistisch einzigartige Netzstruktur. Durch seine dezentral organisierte Verantwortung ist es nahe am lokalen Geschehen und kann glaubwürdig den Dialog führen und wiederum Kulturnetzwerke initiieren, die Gesellschaften zukunftsfähig machen. Einige Beispiele sollen das illustrieren.
Ein spannendes und erfolgreiches Beispiel ist "Moving Africa". Das Goethe-Institut entwickelte in den letzten fünf Jahren Plattformen für Künstler und Kulturakteure, startete zunächst in einem lokalen Umfeld mit der Identifizierung von Talenten, organisierte in der Region Workshops, ging über die Ländergrenzen hinaus, organisierte schließlich Festivals und konnte am Ende die Internationalisierung einleiten. Aus dem erstmaligen Kennenlernen untereinander ist ein einzigartiges Potential entstanden. Heute arbeiten aus diesem Pool Künstler in Europa und Amerika, Museen engagieren Kuratoren für europäische Sammlungen mit einem neuen Blick, z.B. für Deutschland in Dresden und Düsseldorf.
Oder das Projekt, gemeinsam mit der Siemensstiftung, "Music in Africa", bei dem die zeitgenössische afrikanische Musik auf einer digitalen Plattform dokumentiert, vertrieben und genutzt werden kann. Bis 2017 wird die Musikplattform in allen afrikanischen Ländern verfügbar sein. Aus der Initiative ist inzwischen eine Stiftung geworden. Eine solche kulturelle Infrastruktur schafft nicht nur Perspektiven, sie schafft Realitäten für ein neues Selbstbewusstsein.
Ebenso spannend sind die Entwicklungen des Goethe-Instituts für Mittelamerika. Mit einer großen Initiative von Schriftstellern und Verlegern wurde im Projekt Centroamerica Cuenta eine alle acht Länder übergreifende Struktur geschaffen, mit der Literatur länderübergreifend produziert und verlegt wird und ein Bewusstsein für eine gemeinsame Zivilgesellschaft geschaffen, die dem Egoismus der korrupten Politik und Gewalt etwas Kreatives entgegensetzt. Sergio Ramirez ist dafür die große Identifikationsfigur, der mit uns dieses Ziel verfolgt. Inzwischen gibt es nach dem gleichen Muster ein Jugendorchester (OJCA) und ein Tanzensemble Mittelamerika und Karibik (CODACA). Die Intellektuellen und Künstler engagieren sich wieder für die Zivilgesellschaft und eine gemeinsame Verantwortung für Mittelamerika. Das Goethe-Institut ist im Dialog der Ermöglicher und begeistert deutsche Partner dafür.
Ein weiteres Beispiel für ein erfolgreiches Kultur- und Bildungsnetzwerk ist schließlich das Science Film Festival. Es startete in Südostasien und verbreitet sich derzeit in den arabischen Ländern und ist auch für Afrika geplant. Dabei geht es um die unterhaltsame Vermittlung von Bildung für Kinder und Jugendliche mit Hilfe von Fernsehserien. Das entscheidende Merkmal ist, dass die Goethe-Institute nur logistisch und als Coach tätig sind. Idee, Realisierung und schauspielerische Besetzung sind immer aus den jeweiligen Ländern, in Zusammenarbeit mit den regionalen Fernsehstationen. Damit wirken wir der Gleichmacherei entgegen, die sich durch Disney Channel oder Nickelodeon ergeben und die jeweiligen kulturellen Wurzeln und Identitäten verdrängen. Inzwischen ist es in Südostasien das größte Filmfestival mit 500.000 Besuchern, ergänzt durch Begleitveranstaltungen in Schulen und Bildungseinrichtungen. Im Februar 2015 hat es ein Rückspiel nach Deutschland im Deutschen Museum in München gegeben.
Die Beispiele lassen sich für Südamerika, für Zentralasien oder Indien fortsetzen. Es sind Beispiele für einen aktiven Austausch durch das Netzwerk der Goethe-Institute. Sie zeigen, dass mit Kulturnetzwerken die Zivilgesellschaft gestärkt werden kann und durch die positiven Erfahrungen Eigenverantwortung und Selbstvertrauen gefestigt werden. Aber dazu benötigen wir mehr denn je personale Netze, reale Orte der Begegnung und persönliche Beziehungen. Und wir benötigen noch mehr Wissen über Grundlagen und Bedingungen des interkulturellen Dialogs, um die Praxis durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu reflektieren, um mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Kulturräumen und unterschiedlichen kulturellen Traditionen neue Impulse zu gewinnen und um dem interkulturellen Dialog damit eine reale politische Chance für eine Kulturen übergreifende Verständigung zu geben.
Der interkulturelle Dialog braucht Freiräume, um Freiraum überhaupt herstellen zu können. Er braucht das Vertrauen der Politik, auch in das Risiko seiner Ergebnisoffenheit. Ohne ihr Instrument zu werden, kann er den Begriff der Verantwortung um Aspekte von Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit ergänzen – häufig auch dort, wo die klassische Diplomatie an ihre Grenzen stößt.
Es gilt das gesprochene Wort.