4. Dezember 2015
50 Jahre Goethe-Institut Porto Alegre

Festrede von Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann

Sehr geehrter Herr Kulturminister des Staates Rio Grande do Sul, Vitor Hugo,
Sehr geehrter Kultursenator der Stadt Porto Alegre, Roque Jacoby,
Sehr geehrter Herr Präsident des Trägervereins, Prof. Gerhard Jacob,
Sehr geehrter Herr Generalkonsul Dr. Stefan Traumann,
liebe Freundinnen und Freunde des Goethe-Institut Porto Alegre,
verehrte Gäste,

Parabéns Goethe-Institut Porto Alegre! Ich gratuliere herzlich zum 50-jährigen Jubiläum des Instituts.

Das Goethe-Institut Porto Alegre wurde am 12. Oktober 1956 als „Instituto Cultural Brasileiro-Alemão“ gegründet und trägt seit dem 24. September 1965 den Namen Goethe-Institut Porto Alegre. Das bundeseigene Gebäude in der Rua 24 de Outubro, 112 wurde am 26. Oktober 1981 bezogen und sogleich zu einem wichtigen Knotenpunkt in unserem weltweiten Netzwerk mit heute 160 Goethe-Instituten in fast hundert Ländern.

Welche Bedeutung hat die Kultur, besonders in Krisenzeiten wie wir sie zur Zeit in Brasilien erleben – und wie bezieht das Goethe-Institut Stellung? Das lokale Goethe-Institut gilt in Porto Alegre seit Diktaturzeiten als Hort der Zivilcourage und der Verteidigung der Menschenrechte, insbesondere des Rechtes auf Rede- und Versammlungsfreiheit. Die hiesigen Bürger, insbesondere die Intellektuellen, haben es dem Goethe-Institut nie vergessen, dass es ihnen in schwierigen Zeiten einen Ort und den Schutz für ihre Versammlungen zur Verfügung gestellt hat.

Porto Alegre, die  Stadt des Weltsozialforums, das explizit als Alternative zu Davos konzipiert worden war, hat immer schon eine politische Vorreiterrolle gespielt.  Porto Alegre war die erste brasilianische Großstadt mit einer PT-Verwaltung (Arbeiterpartei) und hier wurde die Idee eines partizipativen Haushalts umgesetzt, d.h. die Bürger bestimmen mit über die Einnahmen und Ausgaben der Stadt. Der „Bürgerhaushalt“ wurde später teilweise in Deutschland nachgeahmt. Porto Alegre ist auch die erste Hauptstadt, die einen städtischen Plan zu Buch- und Leseförderung im Gesetzesblatt veröffentlicht hat, eine Initiative von unten nach oben, die nach vielen Bürgerversammlungen in allen Stadtteilen entstanden ist.

Dass sich das Goethe-Institut Porto Alegre daher am Kultursymposium „Teilen und Tauschen“ mit einem Runden Tisch im Vorfeld beteiligt, liegt nahe.

Das Goethe-Institut Porto Alegre arbeitet in einem Umfeld, das bis heute in hohem Maße durch die Einwanderung aus europäischen Ländern gekennzeichnet ist: ein gutes Viertel der Bevölkerung hat deutsche Vorfahren, ein weiteres Viertel italienische. Die vielleicht bekannteste Emigrantin aus Deutschland ist Eva Sopher. Sie hat in diesem Jahr die Goethe-Medaille, ein offizielles Ehrenzeichen der Bundesrepublik Deutschland, erhalten. Eva Sopher hat mit ihrem leidenschaftlichen Engagement für das Theater die brasilianische Kulturlandschaft, aber auch den internationalen Kulturaustausch entscheidend geprägt und ist dem Goethe-Institut eng verbunden. Die Tochter einer deutsch-jüdischen Familie musste mit ihren Eltern Ende der 1930er-Jahre nach Brasilien fliehen. Eva Sopher nahm ihre kulturellen Wurzeln mit ins Exil. Dort schuf sie mit dem Theatro São Pedro eine Spielstätte, deren Stiftung sie noch heute im Alter von 91 Jahren vorsitzt.

Vor dem Hintergrund des europäischen Einflusses sieht das Goethe-Institut Porto Alegre seine wichtigste Aufgabe darin, die engen Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien, die in Rio Grande do Sul seit über 190 Jahren gepflegt werden, um den lebendigen Austausch von Künstlern aller Sparten lebendig zu halten.

Zum Beispiel im Bereich Druckgraphik. Die Druckgraphik ist eines der wichtigsten und lebendigsten künstlerischen Ausdrucksmittel in Rio Grande do Sul. Von hier ging mit der Gründung der Künstlergruppe “Clube de Gravura“ ein entscheidender Impuls mit landesweiter  Strahlkraft aus. Diese Tradition mit neueren internationalen Tendenzen zu konfrontieren und so frischen Wind in die Ateliers und Museen zu bringen, ist das Ziel des Austauschprojektes des Goethe-Instituts im Bereich Druckgraphik.
 
Oder im Bereich Medienkunst. Porto Alegre, die südlichste Bundeshauptstadt Brasiliens, ist aufgrund seiner geopolitischen und kulturellen Nähe zu den anderen Gründungsstaaten des MERCOSUL ein geeigneter Standort dafür. Um langfristig international wettbewerbsfähig zu sein, muss Südamerika regionale Wirtschaftskreisläufe etablieren. Auch in der Kultur – und besonders in der Medienkunst - ist der innerregionale und der internationale Austausch überlebenswichtig. Porto Alegre bietet mit einem der besten universitären Informatik-Institute und mit einer Ansammlung von Software-Firmen in der näheren Umgebung ideale Voraussetzungen für die Entwicklung eines Medienkunstlabors.
 
Oder auch im Bereich Theater. Seit vielen Jahren fördert das GI POA die Inszenierung aktueller deutscher Dramatik durch lokale Regisseure. Im Rahmen eines Regie-Wettbewerbs, den das Goethe-Institut gemeinsam mit dem Theaterreferat der Stadt Porto Alegre realisiert, wurden ganz aktuelle Stücke von Autoren wie Schimmelpfennig, von Mayenburg, Kricheldorf und Salzmann inszeniert. Es ist also kein Wunder, dass die Gründung einer brasilienweiten Online-Plattform für Theaterkritik von Porto Alegre ausging. Die Plattform erfreut sich wachsender Zugriffszahlen und gilt als Modell auch in anderen Ländern wie Mexiko und Chile.
 
In Porto Alegre entwickelt sich gerade eine lebendige junge Filmszene. 2014 und 2015 waren jeweils Filme aus Rio Grande do Sul auf der Berlinale zu sehen. Das Goethe-Institut hilft dieser jungen Szene mit Kontakten nach Deutschland durch Koproduktionstreffen und Festivalkooperationen, durch Einladungen von deutschen Filmemachern nach Porto Alegre und Stipendienaufenthalten brasilianischer Filmemacher in Berlin.
 
Die Buchmesse von Porto Alegre, die größte Freiluftmesse dieser Art in Südamerika, wird seit 61 Jahren immer im brasilianischen Frühjahr auf dem schönsten Platz Porto Alegres von ca. 1,4 Millionen Menschen besucht. Das Goethe-Institut ist immer mit deutschen Autoren und innovativen Veranstaltungen präsent, letztes Jahr z.B. mit einem Workshop für Übersetzer dramatischer Literatur, dieses Jahr mit Lesungen und Diskussionen mit Uwe Timm.
 
Die Bibliothek des Goethe-Instituts Porto Alegre leistet für die kulturelle Verbindungsarbeit in der Stadt und für die Vernetzung mit den Partnern in der Stadt enorm viel. Sie hat dafür bereits diverse Preise erhalten, letztes Jahr z.B. einen Preis vom Bibliotheksrat  für ihre beständige Mitarbeit im „Forum Gaucho“. Dieses Forum hat sich in Rio Grande do Sul zur Verbesserung von Schulbibliotheken gebildet. Das Goethe-Institut Porto Alegre arbeitet dort seit der Gründung aktiv mit.

Doch was wäre die Kultur ohne die Sprache. Die Sprachabteilung des Goethe-Instituts Porto Alegre betreut das größte BKD-Netz in Brasilien mit über 26.000 Deutschlernern, drei deutsch-brasilianischen Kulturgesellschaften, 6 PASCH-Schulen (je 3 in Rio Grande do Sul und Santa Catarina) und 151 Schulen sowie 6 Institutionen mit Prüfungsauftrag. Die Sprachkursteilnehmer des Goethe-Instituts Porto Alegre sind in den letzten 5 Jahren um fast 30% gestiegen, die Prüfungsteilnehmerzahlen um sage und schreibe 90 %.

Mein großer Dank und meine hohe Wertschätzung gilt der Institutsleiterin Marina Ludemann und allen Kolleginnen und Kollegen in Porto Alegre, die das Institut mit ihrem Einsatz so lebendig gestalten. Herzlichen Glückwunsch!

Es gilt das gesprochene Wort.
 

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