13. Februar 2018
Europa als Kontinent der Solidarität
Der Koalitionsvertrag stärkt die Rolle der Kultur im Innern wie Außen. Das ist für eine weltoffene Gesellschaft unerlässlich. Ein Gastbeitrag des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann
Was für ein Kontrastprogramm: ernsthaftes und zielorientiertes Ringen um den Vertrag, Hauen und Stechen um die Posten. Auf dieses politische Geschacher hätten wir gern verzichtet. Man hätte sich an den Formulierungen des Koalitionsvertrages im Kulturkapitel orientieren können, wo es heißt: „Die Bereitschaft, Widersprüche auszuhalten, sind Voraussetzungen für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander.“
Der Kultur wird im Koalitionsvertrag eine aktive gesellschaftliche Rolle zugewiesen. Sie wird nicht auf die Spielwiese der Künstler und Intellektuellen reduziert – nice to have –, sondern als ein essentieller Teil unseres Zusammenlebens in Deutschland und in der Welt dargestellt. Damit verbunden ist ein Perspektivwechsel, mit dem Innen- und Außenkulturpolitik verschränkt werden. Es heißt: „Nach innen und außen fördern wir Dialog, Austausch, Verständigung und Kooperation.“ Dies beschreibt praktisches Handeln. Andreas Görgen, Abteilungsleiter für Kultur und Medien im Auswärtigen Amt, spricht von einem Gestaltungsauftrag für die nächsten Jahre. Wie kann das konkret aussehen?
In Krisengebieten weiter präsent sein
Das Goethe-Institut als Auslandsinstitut durfte bislang keine öffentlichen Mittel im Inland für Integrationskurse erhalten. Dabei verfügt es über wirkungsvolle Sprachstrukturen und durch die Kontakte zu den Herkunftsländern der Migranten über eine zusätzliche Expertise zur erfolgreichen Integration. Nur durch das Einwerben von privaten Spendenmitteln konnte das Institut bisher überhaupt wirksam werden. Jetzt aber lässt sich aus dem Koalitionsvertrag ein Mandat für Deutschland ableiten.
Zu begrüßen ist die erweiterte Definition von Mitteln für humanitäre Hilfe in den großen Flüchtlingslagern in Jordanien und dem Libanon. Sie sollen auch für das Aufarbeiten der Fluchterlebnisse, insbesondere traumatisierter Jugendlicher, bereit gestellt werden. Die kulturellen Programme können damit vom Goethe-Institut gemeinsam mit Flüchtlingsorganisationen organisiert werden. In Krisengebieten wird Deutschland weiter präsent sein, verstärkt mit Kulturarbeit.
Einen internationalen Denk- und Debattenraum schaffen
Für eine weltoffene Gesellschaft ist von Bedeutung, dass die globalen Themen im eigenen Land bekannt sind und diskutiert werden. Deutschland hat dank seiner Diskursfähigkeit ein positives Ansehen. Um dies in einer immer komplexeren Welt für
eine nicht manipulierte Meinungsbildung nutzen zu können, bedarf es eines engen internationalen Netzwerkes von Partnern – von Künstlern, Wissenschaftlern, Kuratoren.
Das Goethe-Institut mit seinem Netz von 160 Instituten in knapp 100 Ländern kann dieses Außennetz sein. Es fehlt aber ein Ankerpunkt in Deutschland selbst, der das Innen und Außen spiegelt und aus der Einbahnstraße eine Zweibahnstraße macht. Gemeinsam mit der Deutschen Welle würde ein Denk- und Debattenraum entstehen, der die Vorstellungen des Koalitionsvertrages nach einer Debattenkultur auf internationaler Ebene erfüllen kann.
Dieser Vorschlag hat zusätzlichen Charme, wenn man an das Humboldt Forum denkt. Es sind im Koalitionspapier Koproduktionen von in- und ausländischen Partnern angesprochen. Hier könnten die Erfahrungen des Goethe-Instituts, auch gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes, zu interessanten Anwendungen führen.
Besondere Aufmerksamkeit wird der deutschen Sprache im Koalitionsvertrag geschenkt, nicht nur als Schlüssel zur Integration, sondern auch für dauerhafte Partnerschaften in der Welt, zur attraktiven Wahlmöglichkeit des Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturstandorts. Derzeit lernen 15,4 Millionen Menschen weltweit die deutsche Sprache. Allein bei den ausländischen Goethe-Instituten haben die Sprachkursteilnehmer in den letzten fünf Jahren um zwanzig Prozent zugenommen, Tendenz steigend. Herausragend ist die Partnerschulinitiative, die jetzt zehnjähriges Bestehen feiert, initiiert vom Auswärtigen Amt. Sie vernetzt weltweit mehr als 1800 Schulen, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert hat.
Massive Investitionen in die digitale Zukunft
„Europa ist auch ein kulturelles Projekt.“ Dieses Zitat aus dem Koalitionsvertrag ist für das Goethe-Institut lebendige Wirklichkeit. Europa ist unsere kreative Basis, wir setzen uns für eine gemeinsame Verantwortung für den europäischen Kulturraum ein. Wir wollen bis 2020, dem Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU, zehn deutsch-französische Institute gründen, und wir starten mit zwei deutsch-italienischen Instituten in Frankreich. Europa muss wieder ein Kontinent der Anerkennung, des Respekts und der Solidarität werden. Kein Europäer soll sich in einem europäischen Land als Fremder fühlen.
Generell soll die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nach der Auffassung der Koalitionäre ausgebaut und besser vernetzt werden, mit massiven Investitionen in die digitale Zukunft. Schon jetzt hat das Goethe-Institut 35 Millionen Visits pro Jahr, die Follower in den sozialen Medien haben sich seit 2013 vervierfacht. Begründet wird das Programm mit dem härter werdenden globalen Wettbewerb um Köpfe, Ideen und Werte. Deutschland soll im „Wettbewerb der Narrative und Werte“ bestehen.
Das Goethe-Institut ist nach dem Zweiten Weltkrieg und mit den Erfahrungen der Nazi-Diktatur, die Kultur als Propaganda instrumentalisiert hat, als eigenständige unabhängige Kultureinrichtung gegründet worden, mit dem Auswärtigen Amt verknüpft durch eine Rahmenvereinbarung. Diese Unabhängigkeit sichert ihm seine Glaubwürdigkeit. Das Gründungsprinzip ist seitdem von allen Außenministern und vom Parlament hoch gehalten worden. Kultur ist weder geeignet für den Wettbewerb der Systeme noch ein Instrument der Hegemonie.
Gegen eine Instrumentalisierung ist das Goethe-Institut immun. Das heißt aber nicht, dass wir keine Interessen hätten oder vertreten. Es ist das Engagement für eine offene, freiheitliche Gesellschaft. Wir führen einen Dialog der Verantwortung, ohne missionarischen Eifer, aber mit einem erkennbaren Profil. Wilhelm von Humboldt hat es so formuliert: „Des Menschen Wesen ist es, sich zu erkennen in einem anderen.“ Deshalb bin ich überzeugt, dass die deutsche Außenkulturpolitik trotz neuer Aufgabengebiete und deutlicher finanzieller Verstärkung keinen Kulturimperialismus vertreten wird.
Wichtige politische Vorhaben und Programme, die zum Teil bereits in Einzelinitiativen existieren, sind jetzt im Koalitionsvertrag dauerhaft verankert. Dazu gehört das „Deutschlandjahr“ in den USA, das durch Außenminister Sigmar Gabriel gefördert wurde und mit dem das transatlantische Verhältnis neu belebt werden soll. Es wird organisiert vom Auswärtigen Amt, dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Goethe-Institut.
Einen deutlichen Schwerpunkt setzt der Koalitionsvertrag in der kulturellen Zusammenarbeit mit Afrika. Das war bereits Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein Anliegen, jetzt ist es wieder ganz oben auf der Agenda, auch mit schwierigen Themen wie der Aufarbeitung des Kolonialismus und der notwendigen Provenienzforschung. Das Goethe-Institut bezieht hier in ersten Projekten die afrikanische Perspektive durch Kuratoren aus den ehemaligen Kolonialgebieten Deutschlands ein. Dabei spielen die Zukunftsprogramme für Bildung eine große Rolle. Zielgruppe sind die Frauen, die einen ungenügenden Zugang zu Wissen und Bildung haben, die aber eine prägende gesellschaftliche Rolle übernehmen können. Außerdem gibt es digitale Plattformen für Musik, Film und Fotografie. „Music in Africa“, eine Plattform, die das Goethe-Institut gemeinsam mit der Siemens-Stiftung geschaffen hat, macht zeitgenössische afrikanische Musik zugänglich und vermittelt die Biografien der Musiker. Bis 2019 werden sich alle afrikanischen Länder daran beteiligen.
Freiheit von Kunst und Wissenschaft muss uneingeschränkt gelten
Die im Koalitionsvertrag formulierten Projekte, mit denen das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium bereits begonnen haben, zeigen, dass diese Initiativen gewürdigt werden. Der Koalitionsvertrag ist in den kulturellen Kapiteln kein grundstürzender Neuanfang. Er trägt den Realitäten mit neuen Blickwinkeln Rechnung. Aber genau dieser Realitätsbezug macht ihn so offensiv. Er bezieht sich auf unsere durch Zuwanderung veränderten Stadtgesellschaften, er thematisiert die
Krisen und Konflikte in der Welt. Er zeigt, dass Innen und Außen keine getrennten Welten sind, dass die digitale Modernisierung der Sprach-, Bildungs- und Kulturarbeit dringlich ist. Dass die Freiheit von Kunst und Wissenschaft uneingeschränkt gelten muss.