1. Oktober 2018
Beitrag für das Deutsch Spanische Forum
Online-Beitrag des Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann für das Deutsch-Spanische Forum
Die spanische Kultur ist geprägt durch eine regionale Vielfalt. Darin ist sie nicht unähnlich der deutschen Situation, die sich ebenfalls über die Regionen definiert, wenngleich die Ursachen auf historisch unterschiedlichen Prozessen beruhen.
Sprache und Kultur waren für Deutschland der Kern der Gemeinsamkeit, bevor es im 19.Jahrhundert eine politische Nation wurde. Die Kultur sollte jenes einigende Band zwischen den Deutschen stiften, das die in ungezählte politische Territorien zersplitterte Politik nicht zu knüpfen willens oder in der Lage war. Das hat Deutschlands Entwicklung geprägt. Der geistige wie geographische Bezugsraum für den Umgang mit der Kultur ist auch noch heute weniger die Nation als vielmehr die Region oder die Stadt. Das macht durchaus den kulturellen Reichtum aus mit Theatern, Konzerthäusern, Museen, Bibliotheken und Festivals.
Spanien hat einen anderen Weg zur Staatenbildung genommen, gekennzeichnet durch frühe Einigungsprozesse durch Kastilien und Leon, durch Vereinigung mit Aragon, durch das Bestreben aus einem Vielvölkerstaat ein einheitliches katholisches Reich zu begründen, später geprägt durch die Herrschaft der Habsburger und der Bourbonen. Im 20. Jahrhundert nach der Gründung der Republik erlebte Spanien einen Bürgerkrieg, bei dem sich die Nationalisten unter Franco durchsetzten. Die jahrzehntelange Unterdrückung des Regionalismus und der Sprachen unter dem Franco-Regime wurde erst mit der Rückkehr der Demokratie aufgebrochen. Es durfte wieder offiziell Galicisch, Baskisch und Katalanisch gesprochen und gelehrt werden. Manche betrachten deshalb den Nationalstaat als Franco-Erbe, der den regionalen Identitäten entgegensteht.
Der starke regionale Bezug spiegelt sich – wie auch in Deutschland – in der Kulturfinanzierung wider. Der spanische Staat trägt 15% zur Förderung bei, dagegen 55% die Kommunen und 30% die Regionen. Die Finanzierungsverfahren sind eher geeignet einen partikulären als einen kooperativen Föderalismus zu befördern, d.h. die jeweiligen regionalen Träger müssen sich untereinander und gegenüber dem Zentralstaat durchsetzen. Trotz oder wegen dieses Konkurrenzverhaltens verfügt Spanien über ein vielfältiges kulturelles Erscheinungsbild, das die heterogenen Identitäten abbildet.
Die regionalen Identitäten sind in der Regel nicht gleichzusetzen mit Provinzialismus. Die spanischen Kulturakteure haben die Rückkehr der Demokratie sehr konsequent genutzt, auf die internationale Bühne zurückzukehren. Der Bezug zu Europa ist positiv besetzt. Der Bezug zu Deutschland spielt eine maßgebliche Rolle. Die deutschen Kulturmetropolen wie Berlin, Hamburg, München, Stuttgart und Frankfurt werden mit ihren Produktionen regelmäßig von den kulturellen Institutionen und den Festivals eingeladen. Die Kultur gilt in Spanien als ein Grundrecht.
Empfindlich getroffen hat die aufstrebende und kreative Kulturszene die Folgen der Wirtschaftskrisen, besonders die von 2012, die in Spanien insgesamt zu erheblichen Einbrüchen und zu hoher Arbeitslosigkeit führten und denen die Regierung mit einem harten Sparkurs begegnete. Der reduzierte Steuersatz für Kultur wurde von 8% auf 21% angehoben, was zu deutlichen Einbußen bei den Besucherzahlen führte. Gleichzeitig wurden öffentliche Zuwendungen drastisch gekürzt, sowohl beim nationalen Bildungs- und Kulturministerium als auch bei den Bildungs- und Kulturbehörden der Autonomien. Auch die Bibliotheken in Spanien sind in den letzten Jahren von den Kürzungen deutlich getroffen worden, teilweise wurden Bibliotheken geschlossen. Internationale Bestände sind eher selten anzutreffen. Der Informationsstand ist nur dort zufriedenstellend, wo er von deutscher Seite ständig ergänzt wird. Die privatwirtschaftliche Kulturförderung ist aufgrund eines fehlenden rechtlichen Rahmens nur mäßig tätig.
Unter der neuen Regierung von Pedro Sanchez sieht man Anzeichen einer gewandelten innenpolitischen als auch kulturpolitischen Sichtweise. Der zugenommenen Entfremdung von Zentralstaat und Regionen wird durch eine aktive Gesprächs- und Moderationskultur begegnet, die Migrationspolitik setzt neue Akzente für eine offenere und international vernetzte Vorgehensweise gemeinsam mit den großen Städten. Mit der Ernennung des neuen Kultusministers José Guirao, früher Leiter des Museums Reina Sofia, wird ein hoffnungsvoller Akzent gesetzt. Ihm wird nicht nur fachlich sondern auch strategisch eine aktive Rolle zugetraut. Er sieht die Kultur nicht als Spielwiese für Künstler und Intellektuelle sondern im Gegenteil als essentiellen Teil der Gesellschaft. Sie kann politische, soziale und kulturelle Entwürfe ausdrücken. Er will deshalb bewusst Optionen eröffnen, die die Traditionsbahnen aufbrechen und damit die Kraft der Kultur für gesellschaftliche Themen nutzen.
Dazu gehört auch eine offenere Auseinandersetzung mit der Franco-Zeit. Diese Erinnerungskultur bestimmt derzeit verstärkt den intellektuellen Diskurs in Spanien. Hier ist auch das Goethe-Institut besonders gefragt. Sein guter Ruf beruht nicht zuletzt auf der Rolle, die es während der spanischen Diktatur gespielt hat – als zensurfreier Frei- und Dialograum. Das Institut in Barcelona wurde 1955 gegründet, das in Madrid 1957. Hier konnte man sich mit den aktuellen Geistesströmungen vertraut machen. Gerade für die Geisteswissenschaften und speziell für die Philosophie waren die Entwicklungen in Deutschland für die spanischen Intellektuellen von besondere Bedeutung. Der Philosoph Fernando Savater erinnerte sich anlässlich des 60. Geburtstages des Madrider Instituts. „Im Goethe-Institut haben wir unsere politische und intellektuelle Sozialisation erhalten, hier haben wir uns auseinandergesetzt und in unendlichen Diskussionen das zukünftige Spanien entworfen." Damals wie heute ist das Goethe-Institut der „Knotenpunkt" zwischen Spanien und Deutschland und seine Türen stehen seit über 60 Jahren und auch in den kommenden Jahren für kritische Fragestellungen und Dispute offen. Seitdem ist ein intensives Netz der Kooperationen gewachsen zwischen Hochschulen ebenso wie zwischen Kultureinrichtungen oder durch Stipendienprogramme wie etwa dem Residenzaustausch zwischen Stuttgart und Barcelona. Es fehlt aber derzeit aufgrund der wirtschaftlichen Krise an großen anspruchsvollen ausländischen Gastspielen und Koproduktionen, die vor dem Einschnitt zum festen Repertoire gehörten. Trotzdem bleibt der Austausch zwischen den deutsch-spanischen Kulturakteuren weiterhin intensiv und stabil.
In diesen Umbruchzeiten setzt Madrid künstlerisch unübersehbar starke Signale. Hier befinden sich nicht nur die großen Museen und Galerien, hier hat sich auch eine lebendige Off-Szene etabliert. In ehemaligen Industrieanlagen wie der alten Tabakfabrik Tabakalera, dem Schlachthof Matadero oder den Kasernen Conde Duque prägen internationale Ausstellungskonzepte das Bild, häufig mit deutschen Partnern. Das Goethe-Institut ist alljährlich am Großprojekt „Photo España" beteiligt, das Madrid in die größte Fotogalerie Spaniens verwandelt, am Theaterfestival Almagro, am Deutschen Filmfestival, an deutsch-spanischen Koproduktionen im Bereich der zeitgenössischen Musik und nicht zuletzt mit Beteiligungen bei den großen Museen, wie zuletzt mit dem Museo Reina Sofia. Aber auch Barcelona setzt zeitgenössische politische Themen und künstlerische Entwicklungen in den verschiedenen kulturellen Sparten. Hier kommt eine Besonderheit durch das Sekretariat der Union für das Mittelmeer hinzu, das sich mit kulturellen Entwicklungen Nordafrikas befasst, zuletzt öffentlich sichtbar mit dem Festival „Africa Moment". Hier ist auch der Ort, der sich intensiv mit der Kolonialgeschichte Spaniens auseinandersetzt, eine Diskussion, die derzeit auch zunehmend in Deutschland für die ehemaligen Kolonialgebiete im Zusammenhang mit dem Humboldt Forum geführt wird. Die Stadt San Sebastian hat ihre kulturelle Infrastruktur durch die Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt erheblich verbessern können. Auch hier spielt der Umbau der alten Tabakfabrik zu einem neuen multifunktionalen Kulturzentrum eine wichtige Rolle. Dort findet unter anderem das wichtigste spanische Filmfestival statt. Granada ist eine der kulturell aktivsten Städte Andalusiens. Das älteste und qualitativ beste Festival Spaniens, Festival de Música y Danza, ist ein gesuchter Partner für internationale Zusammenarbeit. Sasha Waltz hat hier ihren Auftritt gehabt. Besonders für junge Menschen ist das Festival FEX gedacht, das sich großer Beliebtheit erfreut. Das sind einige Beispiele aus der städtischen Kulturlandschaft.
Für die deutsch-spanischen Beziehungen sind auch die wissenschaftlichen und beruflichen Entwicklungen von Bedeutung. Traditionell gilt das Jurastudium als verbindendes Element. Hintergrund ist nicht zuletzt die Vorbildfunktion vor allem des deutschen Strafrechts für das spanische Strafrecht. Hier gilt noch immer als förderlich, ein paar Semester in Deutschland zu absolvieren. Ferner genießt das deutsche Ingenieurstudium hohes Ansehen und ist für spanische Fachkräfte von großer Bedeutung. Dies geht einher mit der schrittweisen Einführung des dualen Ausbildungssystems. Damit wird ein sicherer Einstieg in das Berufsleben ermöglicht. Namhafte deutsche Firmen beteiligen sich an diesem erfolgreichen Programm. Die Wirtschaftskrise, die Freizügigkeit auf dem europäischen Arbeitsmarkt und das große Interesse an der dualen Ausbildung in Deutschland haben dazu geführt, dass spanische Bildungsministerien das Angebot Deutsch als Fremdsprache stärken. Mit zunehmendem Wirtschaftsaufschwung in Spanien lässt aber das Interesse an einer beruflichen Ausbildung in Deutschland bei den jungen Leuten nach. Die Bedeutung der dualen Ausbildung im eigenen Land wird dadurch aber weiter gefördert. Das kann eine Erfolgsgeschichte werden.
Deutschland und Spanien werden in ihren kulturellen Beziehungen trotz der teilweise schwierigen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen positiv bewertet. Ihr lebendiger Austausch bleibt unverzichtbar. Die Künstler und Kulturakteure haben auch in nicht so einfachen Zeiten gezeigt, dass sie miteinander können und das Publikum hat gespürt, dass die Kooperationen zu wirklicher künstlerischen Wertschöpfung beitragen. Partnerschaft ermöglicht durch die Kenntnis der jeweilig Anderen Chancen für Alternativen im Umgang miteinander, Prozesse statt Stillstand und die Wertschätzung von Vielfalt. Künstler sind nicht unbedingt die Wettermacher, aber vielleicht sind sie im Besitz des Barometers!