28. August 2019
Goethe-Medaille 2019
Begrüßung durch den Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann beim Festakt zur Verleihung der Goethe-Medaille 2019
Anrede,
Die Verleihung der Goethe-Medaillen haben wir in diesem Jahr mit dem Motto versehen „Dichtung und Wahrheit". Wir machen damit eine Anleihe bei Johann Wolfgang von Goethe, der mit diesem zwischen 1808 und 1831 entstandenen Buch Erlebnisse aus seinem Leben aus den Jahren von 1749 und 1775 verarbeitet. Die Gattungsbezeichnung „Dichtung und Wahrheit" legt nahe, dass es sich nicht um die exakte Autobiografische Wiedergabe sondern vielmehr um die wirkungsvolle Inszenierung seines Lebens handeln könnte. Das, was hier auf literarischem Gebiet eher spielerisch diskutiert wird, hat in unserer Zeit längst alle Lebensbereiche durchdrungen, radikal und berechnend.
Nicht Fakten sondern Fake News bestimmen heute immer mehr unsere öffentliche Wahrnehmung in der Politik, in der Wissenschaft und in den Medien: Desinformationen, sogenannte alternative Fakten, gezielte Unwahrheiten erreichen über die sozialen Medien ein Millionenpublikum. Die öffentlichen Debatten werden immer kurzatmiger, für Recherchen bleibt kaum Zeit, Meinung und Fakten sind kaum noch unterscheidbar, Manipulation ist immer leichter zu realisieren. Hinzu kommt die Neigung, sich in Interessengruppen abzuschotten, wie in einer Blase, nicht offen für einen Austausch in Debatten zu sein sondern ignorant den eigenen Standpunkt zu verstärken und durchzusetzen, häufig auch noch durch Verrohung der Sprache. Es ist ein schmaler Grat, der in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen Information und Täuschung verläuft. Diese Situation begünstigt das Spalten in und zwischen Gesellschaften, das Entstehen von populistischen Strömungen und autoritären Systemen. Ein aufgeheizter Nationalismus kann sich Bahn brechen. Randfiguren werden zu Heilsbringern, weil sie die Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge durch einfache Symbolformeln vermeintlich lösen, Feindbilder projizieren und Neid und Missgunst bedienen. Es geht nicht um das Durchdachte, um das Zusammenhängende, es geht um die schillernde Oberfläche, um das simple Ereignis.
Der Simplifizierung, der Manipulation und der Täuschung entgegen zu wirken, muss das Anliegen von uns allen sein. Die Diskursfähigkeit zu erhalten, um damit die Hohlheit und die bewusste Irreführung zu entlarven und der Vernunftfähigkeit und Korrekturfähigkeit eine Chance zu geben, muss die Grundlage unseres menschlichen Zusammenlebens sein. Nur so lässt sich eine offene demokratische Gesellschaft verantwortungsvoll formen, Vertrauen zwischen den Kulturen auf- und ausbauen, gegenseitige Wertschätzung begründen.
Die Erhaltung der Diskursfähigkeit geht nicht nur die Politik an, obwohl hier die Einschränkung der freiheitlichen Ordnung durch eine schwächelnde Demokratie besonders augenfällig wird, sie betrifft auch und besonders die Zivilgesellschaften und hier wiederum Kunst und Kultur. Es ist kein Zufall, dass das Abwürgen des offenen Diskurses häufig bei der Kultur beginnt. Schleichend beginnt ein Kulturkampf, der einengt auf die kulturelle Selbstvergewisserung und Selbstbestätigung, der Wohlverhalten belohnt und Aufmüpfigkeit zensiert oder von staatlichen Mitteln ausschließt. Nicht die Vielfalt ist das Prinzip sondern die Selbstbeschäftigung. Die Kunst wird aber gerade dafür benötigt, die Zwischenräume zu sehen und zu erkennen, um mit Unterschieden leben zu können. Wir müssen uns die Fähigkeit bewahren, gesellschaftsübergreifend Menschen zu erreichen.
Mit der diesjährigen Preisträgerin Shirin Neshat und den Preisträgern Dogan Akhanli und Enkhbat Roozon zeichnen wir Persönlichkeiten aus, die durch ihre künstlerischen Arbeiten das Spannungsfeld gesellschaftlicher Wirklichkeit zwischen Beeinflussung und Mündigkeit, Ignoranz und Debattenkultur, Unwissenheit und Bildung thematisieren, ohne Rücksicht auf mögliche persönliche Nachteile oder Gefährdung. Sie geben außergewöhnliche Beispiele für eine engagierte verantwortungsbewusste kulturelle Verständigung, die neue Denkprozesse ermöglicht, Alternativen aufzeigt und der Kraft der Kultur vertraut. Sie sind feinfühlig in ihrer Wahrnehmung und stark in ihrer Botschaft. Ihre Glaubwürdigkeit beruht auf ihrer Unabhängigkeit, nicht durch einen politischen Aktionismus.
1. Dogan Akhanli setzt sich in seinen Romanen, Essays und Theaterstücken sowie mit seinem gesellschaftspolitischen Engagement seit vielen Jahren für die Völkerverständigung, insbesondere zwischen den Armeniern, Türken und Kurden ein. Geboren 1957 in der Türkei lebt er seit 1992 als freier Autor in Köln. Vor seiner Flucht nach Deutschland wurde er in der Türkei wegen seines Eintretens für Menschenrechte und für die Aufklärung historischer Gewalt im kollektiven Gedächtnis der Völker mehrfach verhaftet. Im Exil begann er zu schreiben. Das Wagnis der Erinnerung wurde zu seinem Thema, eine bittere Wahrheit, insbesondere auch der Völkermord in Armenien. Sein jüngstes Buch „Verhaftung in Granada oder: Treibt die Türkei in die Diktatur" verarbeitet seine Festnahme 2017 auf Verlangen der Türkei in Spanien. Neben seinen Texten engagiert sich Akhanli aktiv für den Dialog zwischen verschiedenen Kulturen, Ethnien und Religionen. 2018 wurde er mit dem Europäischen Toleranzpreis für Demokratie und Menschenrechte ausgezeichnet.
Herzlich Willkommen Dogan Akhanli zur Verleihung der Goethe-Medaille in Weimar.
Die Laudatio auf Dogan Akhanli hält die Literaturkritikerin Insa Wilke. Sie ist vielseitig für die Welt des Buches engagiert, als Literaturkritikerin u.a. bei der Süddeutschen Zeitung und im Rundfunk, als Jurorin in wichtigen Literatur-Preisgerichten, als Moderatorin in Kulturveranstaltungen, sie ist seit 2016 Programmleiterin des Mannheimer Literaturfestes und seit 2017 im SWR Fernsehen mit „lesenswert quartett" – ein Ausschnitt nur ihres großartigen Engagements! 2014 wurde sie mit dem Alfred-Kerr- Preis für Literaturkritik ausgezeichnet.
Wir freuen uns Sie in Weimar begrüßen zu können.
2. Shirin Neshat, unsere nächste Preisträgerin, geboren im Iran, lebt seit der Machtübernahme durch Ayatollah Khomeini 1979 in den USA, bevorzugt in New York. Sie versteht es, mit ihrer Kunst – Filmen, Videos und Fotografien – Politik und Poesie innig miteinander zu verbinden. Sie engagiert sich mit ihrer Kunst für die Lage der Frauen in der muslimischen Welt und zugleich wehrt sie sich gegen einseitige Blicke auf den Islam. 1990 reiste sie erstmals zurück und war erschüttert von den Auswirkungen der Revolution. Daraus entstanden die berühmten fotografischen Serien zu muslimischen Frauen. Subversiv kontrastiert sie darin Weiblichkeit, Gewalt und Poesie. Später folgten die Videoarbeiten, die sich auch in Bezug auf westliche Wertevorstellungen öffneten. Shirin Neshats Arbeiten sind weltweit in vielen Museumssammlungen vertreten und ihr wurden zahlreiche Einzelausstellungen gewidmet. 2009 gewann sie mit ihrem ersten Spielfilm den Silbernen Löwen beim Biennale Filmfestival in Venedig. 2017 debütierte sie viel beachtet als Opernregisseurin mit Verdis Aida bei den Salzburger Festspielen. Im gleichen Jahr erhielt sie den Praemium Imperiale, der als Nobelpreis der Künste bezeichnet wird. Leider musste sie wegen einer aktuellen Arbeitsverpflichtung absagen. Sie ist mitten in den Arbeiten für eine große Retrospektive im Broad Museum in Los Angeles. Mit einer aktuellen Videobotschaft grüßt sie uns heute in Weimar. In Vertretung von Shirin Neshat wird Vahideh Mahmoodi den Preis entgegen nehmen. Sie ist als beste Freundin und geistige Schwester bestens mit Person und Werk vertraut. Herzlich Willkommen!
Als Laudatorin für Shirin Neshat konnten wir Britta Schmitz gewinnen. Sie war zwischen 1983 und 2015 Kuratorin in der Berliner Nationalgalerie, mit dem Schwerpunkt für zeitgenössische Kunst und internationale Kunstentwicklungen. 2005 kuratierte sie im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, die verstörenden Arbeiten von Shirin Neshat, erstmals auch die Spielfilme. Neben den monographischen Ausstellungen zahlreicher Künstler erarbeitete Britta Schmitz viel beachtete Gruppenausstellungen, zuletzt „Who knows tomorrow" oder „Face up". Herzlich Willkommen Britta Schmitz!
3. Aus der Mongolei kommt unser dritter Preisträger, Enkhbat Roozon, geboren 1958 in Ulan Bator, Verleger, Buchhändler und politischer Publizist. Die Jury war fasziniert und beeindruckt von der unerschütterlichen Überzeugung von Roozon, wie entscheidend Bildung für die Mündigkeit jedes Einzelnen ist, wie gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein daraus erwächst, wie zentral Meinungsfreiheit und kritische Öffentlichkeit eine Gesellschaft entwicklungsfähig machen. Enkhbat Roozon hat dies nicht nur erkannt und für gut befunden, er hat sich diese Einsichten zur Richtschnur seines Handelns gemacht. Nach seinem Studium gründete er zunächst 1996 das Druckhaus Admon, 2000 den Monsudar Verlag, 2005 die Buchhandelskette Internom. Er schuf damit die Voraussetzungen für eine landesweite Bildungsoffensive. Er engagierte sich neben der verlegerischen Arbeit mit Kinder- und Jugendbüchern und Lehrmaterialien für Aufklärung und Ausbildung persönlich und publizistisch für die Wertschätzung von Bildung durch Veranstaltungen, Artikel und Aufrufe. Diese Initiativen sind ungewöhnlich in einem Land, das weder über eine freie Presse noch über ein modernes Bildungssystem verfügt. Inzwischen existiert ein Bildungsrat des Präsidialamtes mit ihm. Wir heißen Sie, sehr verehrter Herr Enkhbat herzlich willkommen.
Wer seine Arbeit gut beurteilen kann ist sein Laudator Damian Miller, Professor an der Pädagogischen Hochschule PHTG in der Schweiz, mit profunden Kenntnissen des Volks- und Berufsschulbereichs, Lehrbeauftragter für quantitative Forschungsmethoden an der Universität Zürich und unterwegs mit intensiver Vortragstätigkeit in Europa, der Mongolei und China. Er beschäftigt sich zudem intensiv mit unserem Thema Fake und Fakten und der Rolle der Bildungspolitik für die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften.
Ein herzliches Willkommen in Weimar anlässlich der Verleihung der Goethe-Medaillen.
Kurz einführen möchte ich Sie abschließend noch in das heutige Musikprogramm. Gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Transcultural Musical Studies an der Hochschule für Musik Franz Liszt hier in Weimar stellen wir Ihnen Musik mit einer jeweiligen Verbindung zu den Preisträgerinnen und Preisträgern vor. Kuratiert haben das Programm Peter Lell und Prof. Tiago de Oliveira Pinto, denen ich herzlich dafür danke.
Das vierköpfige Ensemble, das heute insgesamt drei Mal für uns spielen wird, setzt sich in dieser Konstellation eigens für das heutige Musikprogramm der Verleihung der Goethe-Medaille zusammen und besteht aus Mehdi Aminian (Ney), Emmanuel Hovannisyan (Duduk), Nora Thiele (Perkussion) und Yessun-Erden Bat (Gesang und Morin Khuur). Die Musikstücke wurden für den feierlichen Anlass komponiert.
Zur Verleihung der Goethe-Medaille an Doğan Akhanlı führt das Ensemble Kompositionen auf, die sich an den Einsatz Akhanlıs für die türkisch-armenische Völkerverständigung richten. Im Ensemble der Musiker wird das Land Armenien durch den renommierten Dudukspieler Emmanuel Hovhannisyan vertreten. Alle Musikstücke sind Arrangements von Werken des armenischen Komponisten, Priesters und Musikgelehrten Komitas.
Der musikalische Beitrag für die Verleihung der Goethe-Medaille an Shirin Neshat schafft Bezüge zu ihrem künstlerischen Werk, das sich intensiv mit dem Leben muslimischer Frauen in diktatorischen Regimen auseinandersetzt. Dabei erklingt auch das aus der persischen Kunstmusik stammende Instrument Ney, eine Längsflöte, die zu den ältesten noch gespielten Instrumenten der Welt zählt. Das Ensemble führt ein Lied der legendären iranischen Sängerin Qamar auf, die als erste Sängerin im Iran ohne Schleier auftrat.
Das Musikprogramm für Preisträger Enkhbat Roozon weist auf sein Heimatland hin, die Mongolei. In der traditionellen Musik des Landes spielen Köömii und Kharkhiraa, die Technik des Oberton- und 4
Untertongesangs sowie das Instrument Morin Khuur, die Pferdekopfgeige, eine besondere Rolle. Im Ensemble wird beides vom mongolischen Musiker Yesun-Erdene Bat gespielt.
Gemeinsam mit dem Kunstfest Weimar hat das Goethe-Institut schon in den vergangenen zwei Tagen wieder die Gelegenheit zu internationalen Begegnungen geschaffen. Wir bedanken uns beim Kunstfest Weimar für die erneut ausgezeichnete Zusammenarbeit.
Und nun freue ich mich, das Wort an den Oberbürgermeister der Stadt, Peter Kleine, übergeben zu dürfen.
Ich wünsche uns eine wunderbare Festveranstaltung! Herzlichen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort!