28. Juli 2020
Löst nicht auf, was vernetzt werden muss!

Warum das Gutachten zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz über sein Ziel hinausschießt

Beitrag von Klaus-Dieter Lehmann in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 27. Juli 2020
 

Der Wissenschaftsrat hat seine Empfehlungen zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) vorgelegt. In der Bewertung spricht er von umfangreichsten und bedeutendsten Sammlungen von Weltrang, zugleich sieht er eine strukturelle Überforderung durch unklare Zuständigkeiten, lange und komplexe Entscheidungswege und mangelnde Forschungs- und Nutzerorientierung.

In seinem Befund kommt er zu dem Schluss, das größte Hemmnis und das ausschlaggebende Übel für die schlechte Verfassung der SPK sei zum einen ihre Struktur, die Museen, Bibliotheken und Archive unter einem Dach zusammenfasst, zum anderen die gesamtstaatliche Trägerschaft von Bund und sechzehn Ländern. Die Lösung sieht er in der Auflösung dieser Organisation zugunsten autonomer Sparten und in einer im Wesentlichen auf den Bund konzentrierten Trägerschaft. Da sich einmal zerstörte kulturpolitische Strukturen nur schwer wieder aufbauen lassen, ist es besonders wichtig, genau hinzuschauen, was man bei dieser tiefgreifenden Veränderung gewinnt - und was man verliert.

Der Preußische Kulturbesitz ist kein Kulturerbe ohne Staat. Der Bund und die sechzehn Länder tragen in der Hauptstadt gemeinsam die Verantwortung - rechtlich, finanziell und programmatisch. Man kann das als Glücksfall oder als
weitreichende politische Vision empfinden, was nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs und der Auflösung Preußens durch den Alliierten Kontrollrat mit dem Stiftungsgesetz und dem Einigungsvertrag schließlich in mehreren Stufen zu einer dauerhaften Regelung führte. Der Auftrag des Stiftungsgesetzes, den sinnvollen Zusammenhang der Sammlungen zu wahren und organisch fortzusetzen, wurde dadurch in seiner gesamtstaatlichen Bedeutung erfüllt, eine intelligente Wahrnehmung des Verfassungsauftrags nach der Regelung des Artikels 135 (4) des Grundgesetzes für einen kooperativen Föderalismus.

Ich habe diesen gemeinsamen Auftrag sehr persönlich auch bei meiner Wahl zum Stiftungspräsidenten 1998 erlebt. Gegen die einsame Entscheidung des Bundes wurde ich nach heftigem Ringen mit den Ländern im Stiftungsrat einstimmig gewählt.

Mit dem Stiftungsrat habe ich in den zehn Jahren meiner Amtszeit eine ungemein konstruktive Zeit erlebt. Mit dem Vorsitz des Vertreters des Bundes und den Ländervertretern war ein großer kulturpolitischer Sachverstand versammelt - nichts von bürokratischer Engstirnigkeit oder ausschließlich ökonomischer Nützlichkeit. Das Interesse an der Kulturförderung war bestimmend. Wir konnten als Stiftungsvertreter die geballte Expertise unserer Häuser für die notwendigen fachlichen Entscheidungen vortragen und argumentativ verteidigen. Es war teilweise ein intellektuelles Vergnügen, auch wenn die harten Fakten der Finanzierung Grenzen setzten. Sollte das inzwischen ganz anders geworden sein?

Aus der uns gewährten Freiheit in der Gestaltung unserer inhaltlichen Arbeit konnten wir eine motivierende Kraft in die Museen, Bibliotheken und Archive zurücktragen und die Stiftung entfesseln. Es waren keine kleinen Trippelschritte, die da entschieden wurden, sondern große Veränderungen: die Wiedergewinnung der Museumsinsel, die Entscheidung für das Humboldt-Forum, die Staatsbibliothek in zwei Häusern, die Übernahme bedeutender Privatsammlungen, die Internationalisierung von Ausstellungen, das Verhältnis
zu Raubkunst und jüdischem Eigentum.

Ich habe hier kein Hemmnis erlebt und kann es auch nach wie vor nicht aus dieser Konstellation der gemeinsamen Trägerschaft ableiten. Ich fürchte eher, dass durch das Ende der Länderverantwortung und der daraus resultierenden Notwendigkeit eines neuen Bundesgesetzes die politischen Auseinandersetzungen den Reformprozess blockieren werden.

Über der Aufteilung in eigenständige Häuser wird wiederum übersehen, dass die Sammlungen in Museen, Bibliotheken und Archiven in erster Linie organisatorische Markierungen für einen zusammenhängenden Komplex kulturellen und künstlerischen Schaffens sind. Nicht die Trennung, sondern die Vernetzung von Sparten und Materialien ist die zukunftsfähige Konstellation für die Kulturwissenschaften und die Kulturinstitute. Daraus werden neue Erkenntnisse gewonnen und eine hochrangige Vermittlung ermöglicht.

Das Gutachten sollte seine Reformempfehlungen deshalb auf die Probleme und Zustände konzentrieren, die durch die Datenerhebung und den Befund der Strukturschwächen offensichtlich geworden sind, und nicht ein großes kulturpolitisches Rad drehen. Die heutige Zeit setzt ihre eigenen Themen: die unübersichtlichen Hierarchiestrukturen, die ungeklärten Zuständigkeiten, die
mangelnde Transformation in digitale Anwendungen, fehlende Zielvereinbarungen, geklärte Budgetverantwortung, Baumaßnahmen und so weiter. Dies alles ist leistbar mit einem gut formulierten Organisationsgutachten, das die kreativen Kräfte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erneut entfesseln und tatkräftigen Individualisten ihre Chance geben könnte. Schon jetzt stellt der Wissenschaftsrat innerhalb der bestehenden Dachstruktur der Staatsbibliothek, dem Geheimen Staatsarchiv und dem Ibero-Amerikanischen Institut ein gutes Zeugnis aus. Auch das sollte hinsichtlich der Ursachenforschung nachdenklich
machen.

Welche Rolle Deutschland künftig kulturell spielt, wird davon abhängen, wie kompetent es intellektuell und institutionell mit seiner kulturellen Überlieferung umgeht. Einer weithin ausstrahlenden Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einer konsequenten organisatorischen und nicht zuletzt finanziellen Ausstattung kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.

Der Autor war von 1998 bis 2008 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Seitdem ist er Präsident des Goethe-Instituts.
 

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