13. Oktober 2020
Kultureller Austausch ist wichtig

Beitrag vom Präsidenten des Goethe-Instituts Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann im Alverde-Magazin

Zukunft gestalten - In welcher Welt wollen wir leben? Die Coronakrise, die wir seit einigen Monaten erleben, löst auf globaler und nationaler Ebene tiefgreifende Veränderungen aus. Unsere gegenwärtige Situation ist paradox, sagt unser Gastautor und Präsident des Goethe-Instituts Prof. Dr. Klaus-Dieter Lehmann.

Wir erleben einerseits gegenseitige Abschottung und Isolation, andererseits bringt die Krise uns einander näher. Illusorische Hoffnungen oder Selbsttäuschungen werden nicht helfen, denn Fakten müssen unser Handeln bestimmen. Das allein genügt aber nicht, um Corona zu trotzen. Hinzutreten müssen kulturelle und intellektuelle Fähigkeiten, die der Gesellschaft ein inhaltliches Ziel geben und das Verbindende stärken. Die Coronapandemie macht wie durch ein Brennglas vieles deutlicher, aber letztlich ist unser menschliches Zusammenleben immer eine kulturelle Leistung. Kulturelle Vielfalt ist immer ein Wert – unabhängig von aktuellen Krisensituationen.

Wir müssen einen Weg finden, der ein kritisches und fantasievolles Gespräch mit und in der Welt ermöglicht, der starre Klischees und Ressentiments hinterfragt und der sich glaubwürdig bemüht, die Kultur des anderen zu verstehen, sich zu öffnen und zu kooperieren. Ohne einen internationalen Kulturdialog als Grundlage für gegenseitiges Verständnis kommen wir nicht aus.

Kultur und Bildung bleiben die Schlüssel zum Dialog

Auch wenn ein solcher Kulturdialog, der Menschen aus verschiedenen Ländern miteinander vernetzt, den Erfolg nicht garantiert, ohne ihn geht es auf keinen Fall. Er ermöglicht die Entwicklung von Alternativen statt der Fixierung auf Konfikte, er ermöglicht einen Prozess statt Stillstand, er macht genügend selbstkritisch durch die Kenntnis des Anderen. Gerade weil diese Welt so viel Unterschiede, Ungleichzeitigkeiten und Brüche zeigt, sind Weltformeln nicht die Lösung, sondern Lerngemeinschaften. Kultur muss sich öffnen und mitteilen. Kultur und Bildung bleiben die Schlüssel zum Dialog. Standpunkte zu teilen erfordert immer wieder aufs Neue, Gemeinsamkeiten zu beleben und dabei nicht nur das Nützliche, sondern auch das Verständnis, die Empathie und den gegenseitigen Respekt in den Blick zu nehmen.

Je stärker die gesellschaftlichen Freiheiten eingeschränkt werden, desto kritischer und belastender ist es für Menschen, sich aktiv einzusetzen. Eine aktive Zivilgesellschaft braucht intelligente Allianzen. Die Verantwortung fängt bereits im eigenen Land an, denn innen und außen sind keine getrennten Welten mehr. Der Erfolg Deutschlands in der Welt hängt nicht nur ab vom Export der Wirtschaftsgüter, sondern auch von unserer Gesellschaftsform, einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft. Wenn ausländerfeindliche Politik und Parolen gegen Minderheiten sowie Tendenzen zu Rassismus weiter zunehmen, Desinformation und Verrohung der Sprache wachsen, dann ist die Demokratie gefährdet. Lauter, immer lauter scheint die Devise zu sein, verstärkt noch durch die sozialen Medien, die ein Millionenpublikum mit Fake News und Reizworten im schnellen Wechsel bedienen.

Es ist bezeichnend, dass überall dort, wo populistische und politisch extreme Entwicklungen entstehen und wachsen, besonders die Kultur in das Fadenkreuz der Gegner gerät. Politisches Wohlverhalten wird gefordert, Zensur und Selbstzensur werden eingesetzt. Kultur vertritt gegenüber der uniformen Selbstvergewisserung Meinungsvielfalt und -freiheit. Kultur wirkt neben den ästhetischen Kategorien als politische und soziale Kraft. Diese Freiräume müssen wir uns bewahren, um das Verbindende und Humane zu stärken. Mit künstlerischen Positionen und Produktionen, mit Literatur- und Übersetzungsförderung, mit Stärkung der Mehrsprachigkeit, mit Aufarbeitung der Erinnerungskultur können Löcher in die mentale Mauer der Abschottung geschlagen werden.

Wir müssen das Verbindende und Menschliche stärken

Gerade jetzt in einer Zeit, in der Deutschland den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft hat, ist es als Mittelland mit neun direkten Nachbarn aufgerufen, sich für einen gemeinsamen europäischen Kulturraum einzusetzen und die Freiheit von Kunst und Kultur mit seiner Vielstimmigkeit zu fördern. Kein Europäer soll sich in einem europäischen Land als Fremder fühlen.

Unser Gastautor: Prof. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann

Geboren 1940 in Breslau, ist Klaus-Dieter Lehmann seit 2008 Präsident des Goethe-Instituts. Er studierte Mathematik und Physik (Diplomphysiker) und anschließend Bibliothekswissenschaft. 1973 wurde er Direktor an der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/Main und 1990 Generaldirektor der vereinigten Deutschen Bibliothek Leipzig, Frankfurt und Berlin (später Deutsche Nationalbibliothek). Von 1998 bis 2008 hatte er das Amt des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin inne.

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