Berlinale & Antenna
Es gibt kein Rezept
Wieland Speck ist Kurator der Panorama-Sektion der Berlinale. Seit 1972 lebt er in Berlin, wo er 1981 das Geniale Dilletanten Festival moderierte. Er bekennt sich öffentlich zu seiner Homosexualität und scheut sich nicht dieses Thema in seiner Kunst aufzugreifen. Zahlreiche seiner Filme beschäftigen sich mit dem Thema Emanzipation und Homosexualität des Mannes.
Das Antenna Festival hebt sich von vielen anderen Filmfestivals in Sydney ab und wurde von Anfang an vom Goethe-Institut gefördert. Was macht Antenna so besonders, dass man hierfür extra um die halbe Welt reist?
In den frühen 1990ern entschieden wir uns Dokumentationen in den Fokus des Berlinale Panorama Programms zu stellen: filmisch und wirtschaftlich war das Interesse gering. Inhaltlich fanden wir diese Filme allerdings oft spannender als Fiktion. Mit wenigen Mitteln aber hoher Motivation setzten sich diese Filmemacher mit brennenden Fragen wie AIDS, Umwelt, Emanzipation, Rassismus und natürlich dem Fall der Berliner Mauer auseinander. Also haben wir einen neuen Unterabschnitt namens Dokumente kreiert, um Aufmerksamkeit zu erregen und um Raum zu schaffen für unterschiedliche Formen von Non-Fiction.
Wir haben die Premiere jeden Tag auf 17 Uhr gelegt – zwischen das Tagesgeschäft des Filmmarktes und das von fiktiven Dramen dominierte Abendprogramm. Das hat über die Jahre zu einem großen Erfolg geführt; Kinos haben dieses Modell übernommen und stellten diesen neuen Sendeplatz ihrem Publikum vor – heute sind ein Drittel von Panorama Dokumentationen, die Hälfe davon wird in der Hauptsendezeit gezeigt. Als ich von Antenna hörte und das Programm sah, wusste ich: das ist eine gute Sache! Wir müssen Dokumentationen filmischer, und das Fernsehen gewagter werden lassen. Ganz davon zu schweigen der Konventionalität des Internets etwas entgegenzusetzen. Wer kann mit gutem Beispiel vorausgehen, wenn nicht ein Festival mit Filmemachern und einem Publikum.
Schöner Gigolo, armer Gigolo
Als junger Mann hast du in Marlene Dietrichs letztem Film „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ mitgespielt. In den darauf folgenden Jahren warst du vor allem als Regisseur, Drehbuchautor, Redakteur, Produzent oder Festivalkurator bekannt. Reizt es dich wieder vor der Kamera zu stehen?Beim Gedanken daran muss ich schmunzeln – dieses „Ereignis“ war der Höhepunkt meiner Schauspielkarriere, auch wenn ich bloß ein nobler Statist in diesem lausigen Film war. Dafür aber an der Seite von David Bowie, den ich immer noch verehre, und gegenüber der fabelhaftesten deutschen Frau, die es je gab!
Ab und an habe ich wieder vor der Kamera gestanden, für Filme und Filmemacher an die ich glaubte, aber das ist jetzt nicht mehr mein Hauptfokus. In den 1970ern dachte ich daran Schauspieler zu werden aber es stellte sich heraus, dass ich selbst zu viel zu sagen hatte in dieser Zeit – also wechselte ich hinter die Kamera.
Wieland Speck | © Wieland Speck Im Rahmen deiner Arbeit für die Berlinale und als Jurymitglied anderer Filmfestivals begegnest du jungen, aufstrebenden Filmemachern. Gibt es Lektionen, die du in der Geniale Dilletanten-Zeit gelernt hast und die du diesen jungen, aufstrebenden Talenten als Rat mit auf den Weg geben würdest?
Absolut! Damals gab es kaum Identifikationsfiguren, weil sich alles was es gab so „von gestern“ anfühlte. „Wir“ hatten also zu allem was wir machten keine Vergleichsmöglichkeit. Der Überraschungsmoment kam uns zugute. Ihr könnt euch das Maß an Freiheit vorstellen, dass man in solch einem Rahmen hatte – jedenfalls für die, die sich nicht in die Hose machten…also würde ich raten:
Zuallererst: es gibt kein Rezept. Zweitens, wenn du nicht weißt, worum es geht, dann wird es dir auch kein anderer sagen: mach also dein eigenes Ding. Drittens, lerne dir selbst zu vertrauen, indem du so ehrlich wie möglich bist. Der Rest ist Talent, Anstrengung und Glück…
In dieser Ausgabe des Kulturmagazins sprechen wir mit einigen „Mitbegründern“ der Genialen Dilletanten, die alle weiterhin ungewöhnliche und kreative Leben führen. Hast du noch Kontakt mit anderen Künstlern aus dieser Zeit?
Oh ja. Insbesonders mit der schwulen Untergrundszene der späten 1960er Jahre, die dem Punk ein Jahrzehnt vorausging. Sehr war vielfältig und nicht sehr groß, hatte aber einen großen Einfluss auf den Zeitgeist dieser Generation. Meine Altersgruppe erlebte eine prägende Phase nach der anderen – jedenfalls wenn man unkonventionell genug war, dies zuzulassen. Das führte zu ziemlich intensiven Beziehungen zwischen den Akteuren/Darstellern – aber die Abwanderung, die AIDS zufolge hatte, war extrem schmerzhaft. Die, die überlebten und die vielen großartigen Heteros blieben Freunde, Kollegen, oder bildeten zumindest eine Art Zusammenschluß, bis heute.
Von Blixa Bargeld, über Wolfgang Müller, bis hin zu Bettina Köster, der legendären Sängerin und Songschreiberin der Bands Mania D und Malaria! Ich habe gehört, dass sie bald wieder in Berlin auftreten wird, aus eigenen Mitteln, das möchte ich um keinen Preis verpassen.
Mit Nachlässigkeit kommt man nicht davon
Jedes Jahr reisen Filmliebhaber und „Schwergewichte“ aus der Filmindustrie zur Berlinale. Dank des Namens ist sie per Definition ein Berliner Festival. Könnte dasselbe Festival auch in einer anderen europäischen Stadt stattfinden?Ich denke nicht. Berlin hat seine Einzigartigkeit zusätzlich und im Kontrast zu anderen Metropolen. Das Geld des Landes ist hier nicht zu finden. Während des Kalten Krieges ist es nach Frankfurt „gewandert“ und von dort kam es nie wieder zurück. Deutschland ist eine Bundesrepublik, das heißt, es gibt viele „Hauptstädte“ – auch für Kultur und Politik. Das gibt Berlin sehr viel mehr Flexibilität als anderen zentralisierten Hauptstädten, wo alles auf die Spitze getrieben werden muss, und dabei Initiativen und Talente auf dem Weg zum Erfolg marginalisiert werden.
Außerdem verlangt die politische Vergangenheit Berlins, die die ethische Haltung geschärft hat, eine klare Positionierung: wenn es zum Beispiel um Menschenrechte aller Art geht, kommt man ohne nur politisch korrekt sein zu wollen, mit Nachlässigkeit nicht davon. Die Festivalbesucher möchten etwas, worüber sie nachdenken können, etwas Politisches, Ästhetisches, Innovatives, möglichst unkonventionell und frei von Klischees. Etwas Hilfreiches auf dem Weg zu einer weniger nervigen Welt, als die, die wir jeden Tag erleben…und das hat auch die Erwartungen der Vertreter der Filmindustrie geprägt, die das Festival besuchen. Der übergreifende Begriff ist ALTERNATIV. Klingt das nicht vielversprechend?