Die Loveparade
Und dann haben wir es einfach gemacht

Dr. Motte
Dr. Motte | © Marie Staggat

Dr. Motte wurde in Berlin Spandau als Matthias Roeingh geboren. In den frühen 1980er Jahren war er Mitglied unterschiedlicher Bands mit ausgefallenen Namen wie Deutsch-Polnische Aggression (DPA). Während dieser Zeit war er Co-Autor des Buches Geniale Dilletanten.
Matthias Roeingh entdeckte schon bald die Dance Music und wurde 1989 Mitbegründer der Loveparade, die später zum wichtigsten Dance Music-Festival der Welt wurde. Zu der ersten Veranstaltung kamen 150 Besucher. 1997 stieg die Besucherzahl auf 1,5 Millionen.
 

Als du die Loveparade mit deiner damaligen Partnerin Danielle de Picciotto gegründet hast, hattest du da bereits die Vision, dieses Projekt in eine Massenbewegung zu verwandeln?

'This Year & Forever' stand auf dem ersten Loveparade-Poster. Ich hatte die Vision, dass wir auch viele andere Städte inspirieren könnten, wenn wir die Loveparade jedes Jahr in Berlin feiern würden – so wie die Street Parade in Zürich 1992. Sie sollte alle diese Menschen zusammenbringen und zum Weltfrieden beitragen, indem sich Menschen von überall auf der Welt anfreundeten.

Loveparade - Die Vision

Später hast du dich von der Loveparade distanziert, weil sich in deinen Augen die damit verbundenen Werte verändert haben und der Ansatz zu kommerziell wurde. War es schwer für dich etwas aufzugeben, das du begonnen hast?

Natürlich! Die Loveparade ging Pleite, nachdem sie zwei Jahre nicht in Berlin stattfand. 2005 wurde sie zu hundert Prozent an Rainer Schaller verkauft, den Besitzer der deutschen Fitnesskette McFit. Schaller nutzte die Loveparade als Mittel für einen Steuernachlass beim Finanzamt und erklärte sie zum Marketingevent für sein Unternehmen. Für mich ein No-Go und ein Verrat an der elektronischen Musikkultur. Das war ein großer Fehler. Ich bereue das zutiefst.

Ursprünglich war die Loveparade als politische Demonstration für Frieden und internationales Verständnis gedacht. Heutzutage wird das öffentliche Image von Dance Music oft mit Drogen und Partys assoziiert. Können Festivals und Kulturveranstaltungen noch einen politischen Einfluss auf die Menschen haben?

Ja, das können sie. Wenn man sich den Inhalt genauer anguckt, sieht man, ob dahinter eine Vision steckt oder ob es nur darum geht, Spaß zu haben. Wir, als die Loveparade hatten die Motivation, unter dem Schirm der Elektromusik Menschen zusammenzubringen: eine non-verbale Kultur, die sich darüber bewusst ist, dass viele Länder nur durch Waffen miteinander kommunizieren. Wir boten einen offenen Raum ohne Regeln, liebten das Leben und wollten das während der Loveparade mit allen teilen. Um diese Musikkultur zu verstehen, braucht man etwas Zeit um diese zu hinterfragen.

Berlin als kreatives Zentrum

Die Loveparade wurde traditionell in Berlin veranstaltet und sie hat so ihren Weg in zahlreiche Touristenbroschüren und Bordmagazine gefunden. Man kann sagen, dass die Stadt das Festival genauso geprägt hat, wie das Festival die Stadt. In wie weit kann Kultur das Image einer Stadt formen?

Es ist die Wiederholung. Das Festival war die Geburtsstunde der elektronischen Musikkultur und so normal wie Ostern oder Weihnachten für viele Menschen, die damit aufgewachsen sind. Nach dem Mauerfall wollte Berlin eine Nachricht in die Welt senden: „Wir sind die junge und kreative Stadt.“

Dein Engagement bei den Genialen Dilletanten ist eher unbekannt im Vergleich  zu deinen Tätigkeiten als sehr erfolgreicher DJ und Festivalorganisator. Ähnlich erging es WestBam und anderen Künstlern, die in darauf folgenden Jahren bekannt wurden. Beeinflusste die Philosophie der Genialen Dilletanten Entscheidungen, die du später in deiner Karriere getroffen hast?

In der „Mauer-Stadt“ hatten wir eine besondere Situation während des Kalten Krieges: in Berlin gab es keine Bundeswehr. Viele kreative Menschen flüchteten davor, etwas tun zu müssen, was sie nicht wollten. Es war ein einfaches Leben und sehr günstig. Und es war leicht, etwas zu machen. Wir hatten Zeit, über unsere Ideen nachzudenken und dann machten wir es einfach. Es ging nicht um Geld und Profit. Wir brauchten nicht viel Geld, um ein komfortables Leben zu führen. Es ging darum Kunst zu schaffen – hier und jetzt. Spontan und brillant. Als ich also die Idee hatte, eine Demonstration namens Loveparade zu organisieren waren alle voller Enthusiasmus und sechs Wochen später war es soweit.

2011 hast du die Electrocult-Gesellschaft im legendären Kunsthaus Tacheles gegründet. Erzähl uns mehr über dieses Projekt.

Wir haben zwei musikfördernde Veranstaltungen für das Kunsthaus Tacheles im selbigen ausgerichtet. Die Idee dahinter war, der Musikkultur eine Lobby zu bieten. Wir schufen so eine öffentliche Plattform, die die Art und Weise komplett veränderte, wie wir die Gesellschaft führen wollten. Am Ende gab es aber zu viele Provokateure, Diskussionen und Verwaltung und damit eine Ablenkung vom eigentlichen Ziel. Sehr schade.