Man schließe die Augen und stelle sich vor, wie feiner, roter Staub aufsteigt und eine pulsierende Menge in Nebel einhüllt, die rhythmisch zu ätherischer elektronischer Musik auf den Boden stampft. Die Menschen tanzen auf einer Lichtung mitten im malerischen australischen Busch, umgeben von roter Erde, Hügeln und Eukalyptusbäumen.
Das Bild, das das Wort ‚doof‘ in Australien heraufbeschwört, ist weit von seinen deutschen Konnotationen entfernt. Jedes Jahr heißt Australiens einzigartige Buschlandschaft fernab der Bevölkerungszentren eine Reihe von Elektromusik-Festivals willkommen, die umgangssprachlich ‚Bush Doofs‘ genannt werden. Diese Veranstaltungen belegen in der australischen Musikszene eine ganz eigene Nische. Ihr Name wurde in lautmalerischem Bezug auf den monotonen Bass (‘doof doof’) gebildet, der für die Musik charakteristisch ist, und die Legitimität des Begriffs wurde mittlerweile sogar durch einen offiziellen Eintrag im Australischen Oxford Dictionary zementiert.
Bush Doofs belegen in der australischen Musikszene eine ganz eigene Nische.
| © Shaan R. Ali Photography / www.shaanrali.com
Wie die Organisatoren des Babylon Festival, einem regelmäßigen Doof, erklären, ist es das Ziel von Doofs, eine Umgebung zu bieten, in der sich die Festivalbesucher „frei von Alltagszwängen, -beurteilungen und -einschränkungen zusammen mit Freunden und gleichgesinnten Futuristen, Künstlern und Darstellern, mit weicher Erde unter den Füßen und den Sternen über ihnen, […] inmitten der eindrucksvollen australischen Landschaft“ aufhalten können.
EIN POST-RAVE-PHÄNOMEN
Die Entwicklung von Bush Doofs geht auf die frühen Neunzigerjahre zurück, eine revolutionäre Epoche in der australischen Elektromusik. Damals wurde diese neue Form von Outdoor-Veranstaltung als Lösung für die schwindende Popularität von Raves in Sydney und anderen Städten begrüßt. Angesichts der Einschränkungen durch Lärmschutzvorschriften, abgeschlossene Umgebungen und strenger werdende Regulierungsmaßnahmen in den Städten begannen Partygänger, städtische Raves zugunsten von Open-Air-Events den Rücken zuzukehren, um dort dieselben Freiräume wie in den Anfangszeiten des Rave zu finden.
Anna Habich und Jodie Taylor, Co-Autorinnen eines Artikels, der die Entwicklung der Doof-Szene in Australien beschreibt, führen aus: „Anders als die meisten Großstadt-Raves und Dancepartys wird der Doof als eine stärker spirituelle und sogar fast sakrale Erfahrung empfunden. Doofers sind auf der Suche nach einem Clan oder Kollektiv von Gleichgesinnten und berichten von einer gemeinsamen Erleuchtung als Gruppe, die oft über den in städtischen Raver-Kreisen verbreiteten Konsum illegaler Drogen hinausgeht.“
Doofers nutzen die Landschaft als reichhaltige Quelle künstlerischer Inspiration.
| © Shaan R. Ali Photography / www.shaanrali.com
Im Laufe der Weiterentwicklung der Rave-Szene verlieh die zunehmende Anzahl an Events, die in den Busch verlegt wurden, dieser Erfahrung eine neue Dynamik. Zur selben Zeit begannen die Besucher zudem, diese Festivals nicht nur als Zelebrierung von Musik und Kunst zu betrachten, sondern auch als Weg, mit der natürlichen Umgebung in Kontakt zu treten, in der diese stattfanden. Die Teilnehmer wurden ermutigt, ihre Umgebung fürsorglich zu behandeln und durch eine Vertiefung der spirituellen Verbindung mit der Natur ekstatische Glückszustände zu erleben.
Um der Regulierung zu entgehen, wurden Bush Doofs in abgelegenen Gegenden weit weg von den Stadtzentren abgehalten und nicht auf breiter Ebene bekannt gemacht. In der Folge lockten diese Zusammenkünfte ein alternatives Publikum an, das zu verschiedenen Randszenen gehörte und die Mainstream-Kultur mied. Die Veranstaltungen werden von Umweltschützern, politischen Aktivisten und Künstlern sowie von allen besucht, die nach einer spirituelleren Erfahrung suchen als der, die ihnen Events in Lagerhäusern oder Untergrundclubs bieten können.
Haebich und Taylor spekulieren, dass sich Doofs gegen Kommerzialisierung und den Konsumwahn der Mittelschicht wenden und die Teilnehmer sich frei von diesen unerwünschten Einflüssen ganz darauf konzentrieren können, mit ihrer Umgebung ebenso wie mit anderen Festivalbesuchern in Kontakt zu kommen.
DIE EVOLUTION DES DOOFS
In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat sich die australische Doof-Szene zu einer blühenden Subkultur entwickelt.
Eventveranstalter Paul Abad, der bereits seit über 15 Jahren dabei ist, schreibt den Erfolg dieser Subkultur dem Gemeinschaftsgefühl zu, den sie fördert: „Für mich handelt es sich um eine soziale Bewegung […] Menschen, die zu diesen Events kommen, denken anders und wünschen sich eine andere Welt als unsere heutige, und suchen deshalb Zuflucht in gemeinsamen Veranstaltungen mit Gleichgesinnten. Vor diesem Hintergrund werden die Doofs zu Orten, an denen man eine Kultur entwickeln, neue Ideen ausprobieren und sein Recht ausüben kann, sich friedlich im Geist von Musik, Kunst und Liebe zu versammeln.“
Earth Frequency, Rainbow Serpent, Babylon und Mushroom Valley sind nur einige wenige der größeren Festivals, die heutzutage jährlich im ganzen Land stattfinden.
| © Shaan R. Ali Photography / www.shaanrali.com
In dem Bemühen, die Teilnehmer von Konzepten wie Geld und Konsumdenken wegzubringen, geben die Organisatoren einiger Events die Parole einer geldlosen Wirtschaft aus und unterstützen stattdessen ein Verschenk-Konzept. Hier können die Teilnehmer zusätzlichen Proviant zum Event mitbringen, einen kleinen Stand aufstellen und ihre Waren anderen Festivalbesuchern als Geschenk anbieten. Im Gegenzug wird das Publikum aufgefordert, nur zu nehmen, was es braucht, und ohne Erwartungen zu geben. Das Konzept ist im Prinzip der Nachhaltigkeit verwurzelt und soll, frei von Klassendenken, das Gefühl von Verbundenheit und Gruppenzusammenhalt stärken.
Earth Frequency,
Rainbow Serpent,
Babylon und
Mushroom Valley sind nur einige wenige der größeren Festivals, die heutzutage jährlich im ganzen Land stattfinden. Dazu kommen zahlreiche kleinere Events, die in Parks oder auf privatem Agrarland veranstaltet werden; einige davon haben nur zwanzig oder dreißig Teilnehmer, die über Mundpropaganda davon erfahren haben. Es sind diese Events, die oft als die authentischere Reinkarnation der Anfänge der Szene angesehen werden.
Paul ist fest überzeugt, dass der Geist der Inklusivität und Verbundenheit zwischen Menschen aus unterschiedlichsten Schichten auch bestehen bleibt, wenn sich die Bush Doofs weiterentwickeln. „Mit der Zeit werden die Events diverser und zugänglicher, und so sehen wir ein breiteres Spektrum an Teilnehmern. Die Festivalkultur boomt weltweit, und viele Reisende möchten ein Festival in Australien erleben, Stadtmenschen, Hippies, Doofer, Clubber. Ich finde, diese Vielfalt macht das Ganze spannender.“
Vielleicht sind es die Abwesenheit städtischer Konformität und das gemeinsame Erleben, die es den Feiernden erlauben, auf ganz neue Weise miteinander in Verbindung zu treten. Fest steht, dass Doofers die Landschaft als reichhaltige Quelle künstlerischer Inspiration nutzen und eine intensive Wertschätzung der Unermesslichkeit des Landes tief in die Doofer-Kultur eingebettet ist – schließlich sind die offenen Weiten der perfekte Rahmen für eine musikalische Weltflucht.