Johann Wolfgang von Goethe
Getrieben von Neugier und der Lust am Leben
Er war Dichter und Jurist, Theaterleiter und Naturforscher, Politiker und Reisender: Johann Wolfgang von Goethe war ein Multitalent und seine Interessen mannigfaltig. Sein Anspruch war stets: Aus dem Leben das Beste machen.
Von Romy König
Bis heute wird Johann Wolfgang von Goethe von Fachleuten gerne als Universalgenie bezeichnet: Die Vielfalt seiner Interessen und Leidenschaften, die Fülle seiner künstlerischen Werke, sein politisches und naturwissenschaftliches Wirken – all das würde für gleich mehrere Menschenleben reichen. Der 1749 in Frankfurt geborene studierte Jurist hatte bereits im Alter von 30 Jahren eine beachtliche politische Laufbahn am Hof von Weimar hingelegt. Nicht nur hatte er sich zum Vertrauten und Berater des Regenten Herzog Carl August entwickelt, er war als solcher auch bald zum Geheimrat ernannt worden sowie zum Verantwortlichen für Bergwerk, Wegebau und Militär. Zahlreiche Reformen stieß er als Hofpolitiker an, förderte den Abbau von Silber und Kupfer, setzte sich für die Sanierung von Straßen ein und brachte die Finanzlage des Herzogtums wieder ins Reine.
Skandalautor und Ventilöffner
Bereits in jungen Jahren konnte Goethe eine beachtliche politische Karriere vorweisen.
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Zu dieser Zeit war Goethe schon das, was man heute einen Bestsellerautor nennen würde: 1774 war sein erster Roman Die Leiden des jungen Werther erschienen. Das Werk hatte er innerhalb von nur wenigen Wochen niedergeschrieben – als eine Art Eigentherapie, wie er später bekannte. Durch „diese Komposition“, schreibt er in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit, habe er sich „aus einem stürmischen Elemente gerettet“. Der Briefroman, in dem Goethe in emotionaler Sprache sowohl eigene Erfahrungen als auch fiktive Elemente verarbeitete, bewegte seine Leser europaweit. Tausende von jungen Männern trugen fortan eine ähnliche Mode, wie Goethe sie seiner Hauptfigur Werther zuschrieb, zahlreiche Liebeskranke machten es dem tragischen Helden nach und begingen – verzweifelt ob einer unerwiderten Liebe – Selbstmord. Noch heute wird in der Psychologie vom Werther-Effekt gesprochen, einem medieninduzierten Suizid. Goethe hatte einen Nerv getroffen, ein „Gefühlsventil“ geöffnet, wie der Medienprofessor Holger Noltze es nennt.
Dem „Werther“ sollten noch zahlreiche Veröffentlichungen folgen: Dramen wie Faust, mit dem Goethe noch in Jugendjahren in seinem Geburtshaus in Frankfurt begann, oder Iphigenie auf Tauris, weitere Romane wie Wilhelm Meisters Lehrjahre, dazu Reisebeschreibungen und Gedichte. Zu Goethes bekanntesten lyrischen Werken zählen beispielsweise Über allen Wipfeln ist Ruh, An den Mond und der Erlkönig.
Treffpunkt für die Kunstszene
Goethes Wirken fällt in die Zeit des „Sturm und Drang“, eine Epoche, die von einem neuen Geniebegriff geprägt ist: Künstler, so die moderne Auffassung dieser Zeit, schaffen aus sich selbst heraus. Sie ahmen nicht länger nach, sondern arbeiten autonom und originär unter einer neuen Entfaltungsfreiheit. Goethes Wegbegleiter waren der Dichter Johann Gottfried Herder sowie der Dramatiker Friedrich Schiller, mit dem Goethe – nach anfänglichem beiderseitigen eifersüchtigen Beäugen – bald eine Freundschaft verband. Die zwei Männer tauschen nicht nur Gedanken aus, sie befruchteten sich auch gegenseitig in ihrer Arbeit, diskutieren eine Erneuerung des Theaters und dachten sich zusammen Spottverse aus, die sogenannten Xenien: Zu mittelmäßig sei der Literaturbetrieb, zu spießbürgerlich die Zeitgenossen, befanden die beiden Schreiberkollegen – und texteten im antiken Versstil böse Abrechnungen mit ihrer Zunft.
Dies mag auf einen überheblichen Geist schließen, und tatsächlich werden Goethe Eigenschaften wie Egoismus, Stolz und eine gewisse Arroganz nachgesagt. Selbst Schiller bezeichnete ihn noch zu Anfang ihrer Bekanntschaft als „einen Egoisten in ungewöhnlichem Grade“ (in einem Brief an seinen Herausgeber). Doch gilt Goethe auch als geselliger und geschätzter Mensch, der Briefkonversationen und die Gemeinschaft pflegte. Zu den von ihm ausgerichteten Gesellschaften in seinem Weimarer Haus am Frauenplan fanden sich regelmäßig Künstler*innen, Hofleute und Gelehrte ein, und er empfing Dichterkolleg*innen wie den jungen und zu der Zeit noch unbekannten Heinrich Heine. Bekannt ist Goethe auch für seine zahlreichen Frauenbekanntschaften und Romanzen: Mit Charlotte von Stein soll ihn eine platonische Liebe verbunden haben, auch die Herzogin Anna Amalia soll eine Dame seines Herzens gewesen sein. 18 Jahre lang lebte Goethe schließlich mit der Weimarerin Christiane Vulpius zusammen, bevor er sie 1806 heiratete. Ihr gemeinsamer Sohn August war da bereits 17 Jahre alt.
Von A wie Azurblau bis Z wie Zwischenkieferknochen
Grafische Darstellung zu Goethes Farbenlehre. | Foto (Detail): © picture alliance/akg-images Goethe hatte vielseitige Interessen, die auch über Politik und Dichtkunst hinausgingen. Er beschäftigte sich mit Wissenschaft, erforschte etwa im Anatomischen Institut der Universität Jena den menschlichen Körper und entdeckte dabei die Naht am menschlichen Gaumen, den sogenannten Zwischenkieferknochen. Auch die Entstehung von Farben faszinierte ihn. In einer eigenen Farbenlehre versuchte er, Newtons Gesetz zu widerlegen (was ihm gleichwohl nicht gelang). Aus Wissensdrang und Lust am Abenteuer begab sich Goethe zudem auf viele Reisen. Seine Wanderungen und Fahrten führten ihn in den Harz und an den Rhein, in die Schweiz, nach Schlesien, nach Frankreich und in die böhmischen Bäder. Eine Reise, so schrieb er einmal an Schiller, „belebt, berichtigt, belehrt und bildet“. Legendär ist auch seine Italienreise, zu der er 1786 – frustriert von seiner Beamtentätigkeit in Weimar und dürstend nach einem Kreativitätsschub – aufbrach, und deren Eindrücke er später in dem Bericht Italienische Reise festhielt.
Großes Erbe
Als Goethe 1832 in Weimar starb, hinterließ er Dramen, Gedichtbände, Novellen, Romane, Aufsätze und Abhandlungen, Reisebeschreibungen, eine Autobiographie, ein Buch zur Farbenlehre. An der Person Goethe haben sich bis heute einige Biograf*innen abgearbeitet, haben versucht, seine Beweggründe und seinen Charakter aus Quellen nachzuzeichnen, haben ihn ambivalent genannt, ihm mal allzu höfisches Denken zugeschrieben, mal seinen Reformergeist herausgestellt. Vielleicht lässt sich aber über dieses neugierige und umtriebige Allroundtalent am besten das festhalten, was den Biografen Rüdiger Safranski zum Untertitel für sein Buch Goethe. Kunstwerk des Lebens inspirierte: sein Anspruch und seine Kunst nämlich, aus dem Leben das Beste zu machen.