Bicultural Urbanite Brianna
Die Evolution des Mauerparks
Für das ungeübte Auge sieht der Mauerpark aus wie ein verwahrlostes Grundstück. Die schmuddelige, aber äußert beliebte Grünanlage ist für ihren weitläufigen Flohmarkt, ihr Open-Air-Karaoke und ihre historische Bedeutung als ehemaliger Standort der Berliner Mauer bekannt. Jedes Wochenende zieht sie Horden von Tourist*innen, Einheimischen, Familien und seltsamen Gestalten an. Und dank der Fertigstellung eines umfangreichen Sanierungsprojekts bietet sie jetzt doppelt so viel Platz zum Partymachen.
Von Brianna Summers
Wie so viele andere von Berlins rauen, aber heiß geliebten Ecken wurde der Mauerpark in den 1990er Jahren geboren. Er stammt aus einer Ära besetzter Wohnungen und Underground-Technoclubs, sozialer Spannungen und kreativer Erneuerung. Der Mauerpark ist im Prenzlauer Berg gelegen, dort, wo die Berliner Mauer und ihr berüchtigter Todesstreifen von der Bernauer Straße Richtung Norden verliefen. Die heruntergekommene, „selbstgebastelte“ Ästhetik des Parks und sein „Erlaubt ist, was gefällt“-Vibe haben sich als anhaltendes Erfolgsrezept erwiesen.
Ich wohnte früher um die Ecke vom Mauerpark. Meine Mitbewohner*innen und ich hingen dort nach der Arbeit ab, um ein paar Kiosk-Bierchen zu genießen und unschlagbarem Peoplewatching zu frönen. Nachdem wir ein Stück Gras ausfindig gemacht hatten, das nicht komplett mit zerbrochenem Glas und Zigarettenstummeln übersät war, machten wir es uns gemütlich und warteten darauf, dass die Show anfing. Straßenmusikant*innen und Straßenkünstler*innen wetteiferten um akustische Dominanz, und es war immer mindestens eine in irgendetwas mittelalterlich Anmutendes gekleidete Person da, die mit einem Diablo jonglierte. Wolken von beißendem Rauch stiegen von mit Feuerzeugbenzin übergossenen Grillkohlen auf, und oben auf dem Hügel sprühten und übersprühten Graffitikünstler*innen die verbleibende Sektion der Berliner Mauer.
Der Mauerpark 2006: Der Flohmarkt war erst zwei Jahre alt und es gab noch kein öffentliches Karaoke
| © Brianna Summers
Von utilitaristischen Anfängen zum Touristenmagneten
Der heutige abgesiffte Partypark diente ursprünglich als Exerzierplatz, dann als Güterbahnhof, bevor er nach dem Zweiten Weltkrieg zu irgendeiner Art von Gewerbegebiet wurde. Ein paar Schienen und eine alte Kartoffelhalle sind alles, was von dieser frühen Geschichte noch übrig ist. Als 1961 die Berliner Mauer errichtet wurde, wurde der östliche Teil zu einem schwer bewachten Stück Land zwischen der inneren und der äußeren Mauer: der Todesstreifen.
Nach der Wiedervereinigung beauftragte die Stadt den Landschaftsarchitekten Gustav Lange damit, den ehemaligen Todesstreifen in einen Park zu verwandeln. Langes Kreation wurde am 9. November 1994 eröffnet, exakt fünf Jahre nach dem Fall der Mauer. Berlin hatte nicht genug Geld, um den westlichen Teil zu kaufen und zu sanieren, sodass dieser Eigentum eines speziellen Verwaltungsorgans blieb, das für Deutschlands Bundeseisenbahnvermögen zuständig ist. Die westliche Hälfte wurde abgezäunt und wirkte auf mich immer verwaist, obwohl Teile davon anscheinend für die Lagerung von Baumaterial vermietet wurden. Der halbe Basketballplatz und das steinerne Amphitheater 2008 (links) und 2020 (rechts) | © Brianna Summers 2004 wurde die südwestliche Ecke an einen Flohmarktbetreiber vermietet und so die nächste Stufe in der Evolution dieser Kultstätte eingeläutet. Der Mauerpark begann in Blogs und Reiseführern begeisterte Rezensionen zu verzeichnen. Die Leute strömten auf den Markt, rauchten im Gras ihr Gras und bräunten sich auf dem sonnigen Hang, der zum Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark hinaufführt. Irgendwann im Jahr 2009 begann ein irischer Fahrradkurier damit, jeden Sonntagnachmittag eine tragbare Soundanlage in das steinerne Amphitheater des Parks zu stellen. Das Sonntagskaraoke am Mauerpark ist heute ein unaufhaltsames kulturelles Phänomen: bei den Flohmarktmassen beliebt und von den Parknachbar*innen toleriert.
Bizarres Nebeneinander von alt und neu
Anfang 2010 zog ich aus dem Prenzlauer Berg weg und verlor den Mauerpark aus den Augen. Jahre vergingen. Ohne dass ich es wusste, mutierte der Raum weiter und dehnte sich weiter aus. Wie ein Einzeller, der eine Kernteilung durchläuft, hat sich der Park in den letzten drei Jahren repliziert und flächenmäßig verdoppelt. Der frischgebackene westliche Teil wurde im Juni dieses Jahres eröffnet und ist weit davon entfernt, eine identische Kopie seiner Mutterzelle zu sein. Frisch verlegte Rasenflächen, glatte Asphaltfußwege und ein schicker neuer Spielplatz sind nur ein paar der Dinge, mit denen er aufwarten kann. Selbst der rissige, gepflasterte Flohmarktbereich wurde komplett runderneuert.
Während es eindeutige stilistische Bezugnahmen auf die ältere Ostseite gibt, darunter die Granitblock-Gruppen und die großen Holzschaukeln, hat die Sanierung mehr mit Kreuzbergs modernem und gepflegtem Park am Gleisdreieck gemeinsam. Das sollte auch nicht überraschen: Beide wurden von der Grün Berlin GmbH gestaltet. Genau wie die Westseite des Mauerparks stieg auch der sieben Jahre alte Park am Gleisdreieck aus der Asche eines ehemaligen Güter- (und Post-)Bahnhofs. Der ältere Ostteil des Mauerparks (links) und der neu erschlossene Westteil (rechts) | © Archiv Grün Berlin GmbH 2020 in den Mauerpark zurückzukehren, war ein surreales und nostalgisches Erlebnis. Ich saß im üppig grünen neuen Teil auf einem sauberen Granitklotz und ließ mein Auge über das kahl werdende Gestrüpp auf der anderen Seite schweifen. Ich sah die 23-jährige Brianna auf dem Hügel sitzen und in einem schwarzen Kapuzenpulli auf ihrem Nokia 3310 tippen. Für andere, die länger in Berlin gelebt haben als ich, muss es sein, als würden sie durch ein Wurmloch in die 1990er Jahre zurückschauen. Drüben beim Amphitheater hatte irgendeine Art von Open-Mic-„Speakers’ Corner“ eine beachtliche Menschenmenge angezogen. Das daneben gelegene halbe Basketballfeld war wie immer voller junger Männer, die Körbe warfen. Während im sanierten Bereich um mich herum Familien auf dem makellosen Rasen picknickten und ein Mann vorbeijoggte, der einen teuren Kinderwagen vor sich herschob.
Ich denke, dass man im Gegensatz zu anderen (geschmähten) Aspekten von Berlins Gentrifizierungsdampfwalze davon ausgehen kann, dass dieses Sanierungs- und Verschönerungsprojekt gut ankommen wird. Zweifellos werden selbst die eingefleischten Fans den zusätzlichen Platz für ihre ausgedehnten Saufgelage zu schätzen wissen, von den noch gänzlich unberührten Steinquadern ganz zu schweigen, die nur darauf warten, mit Graffiti verziert zu werden.