Bicultural Urbanite Luke
Man kann sein Land verlassen, doch verlassen wird es einen nie...
Ein in Deutschland wohnender Australier zu sein, der sich nicht wirklich mit dem was “Aussie-typisch” ist identifiziert, kann schon manchmal zu ziemlich interessanten Gesprächen mit Fremden führen. Nein, ich surfe nicht. Und nein, ich habe keine lange, schmuddel-blonde Mähne (schon gut beobachtet – Top!). Nein, tut mir leid, aber ich spiele weder Cricket noch Footy. Und nee, ich trage auch keine Flip-Flops (die müssen ja wohl das größte Mode-Verbrechen aller Zeiten sein!) Und um ehrlich zu sein, nein, ich denke nicht, dass es wirklich so verrückt ist, dass ich kein Bier trinke - zumindest nicht weniger schockierend als die Tatsache, dass ich in einer modernen Metropole wie Melbourne nie auf Kängurus zur Schule gehüpft bin (#echtjetzt?!).
Um fair zu sein, es muss schon eine einmalige Erfahrung für den ein oder anderen ahnungslosen Einheimischen oder Touristen sein, über so jemanden wie mich in einer Berliner Kneipe zu stolpern - solch eine peinliche Version eines Aussies – in all seiner un-Australischen Pracht.
Meine Straße im Prenzlauer Berg.
| © Luke Troynar
Manche Abende ertappe ich mich dabei aus heiterem Himmel einen zwielichtigen, unverständlichen australischen Akzent aufzusetzen, und einige lächerliche Redewendungen rauszublöken (“No bloody worries cobber digger, hooroo and shout out to the missus matey!” – „Kein Thema Alter, mach’s gut und sach Tach zu deinem Weibchen!“). Worauf meistens ein breites, deutsches, besoffenes Grinsen folgt. Bei anderen Gelegenheiten, wenn ich mir mal genug Longdrinks gegönnt habe und ich mich besonders freigebig fühle, scheue ich einfach keine Mühe und ziehe dann mein australisches Auswanderer-Ass aus dem Ärmel: Ein Geständnis meiner sehr australischen Angst vor dem Berliner Winter.
Die Kälte ist nicht mein Freund
Und das ist wirklich wahr. Die Kälte ist definitiv nicht mein Freund. Die Wahrheit ist, ich kann sie einfach nicht ertragen. Und meine gruseligen Heizkostenrechnungen sind ein schmerzhafter Beweis dafür. Zugegeben, ein paar frischere Monate gegen Ende Herbst und Anfang Winter können ja schon ganz nett sein - vor allem wenn uns der Wettermann eine weiße Weihnacht in all seiner majestätischen Pracht verspricht.In Berlin gibt es manchmal ganz besonders schöne und klare Dezembertage, mit kobaltblauem Himmel und zarten Schneeflöckchen, die dann auch den grummeligsten aller Miesepeter mit Freude erfüllen.
Weihnachtsstimmung im Prenzlauer Berg. | © Luke Troynar Aber dann geht irgendwann die Weihnachtszeit dem Ende zu, der Winter ja aber noch lange nicht. Das neue Jahr steht vor der Tür, mit all seinen neuen Herausforderungen, aber die eisige Kälte bleibt erstmal noch. All der flockige weiße Schnee schmilzt zu schludrigem, schmutzigem Schlamm; das festliche Lächeln verblasst zuerst zu verzogenen Grimassen und wird dann kurz darauf von resignierenden Winterfalten komplett ersetzt. Schlotternde und steifgefrorene Pendler schleifen ihre schmerzenden Glieder in überhitzte Züge rein: Zähne knirschend, den Blick fest auf den Boden gerichtet. Augenkontakt wird um jeden Preis vermieden. Dunkelheit überkommt die Stadt jeden Tag schon kurz nach dem Mittagessen. Melatoninspiegel steigen, während Serotonin sinkt. Die halbe Stadt macht dicht und zieht sich zum Winterschlaf zurück. Gleichzeitig überfluten mich meine Social-Media-Plattformen mit Bildern meiner Freunde in Melbourne, die sich fröhlich auf sonnigen Wiesen und Stränden herumtollen. Und vor meinem Fenster bleibt der Fernsehturm in ein schweres, allgegenwärtiges, verschwommenes Grau gehüllt.
Wie gerne würde ich sagen, dass diese dunkle Episode eines Berliner Winter-Märchens in Idylle pur endet, aber in Wirklichkeit endet es meist damit, dass ich Pläne verwerfe, drinnen bleibe, mich dauerhaft vor der Heizung niederlasse, mental schon mal die nächste Stromrechnung abarbeite und mich damit beschäftige meine nächste Flucht - äh Urlaub - ins Warme zu planen. Also so jetzt: Trotz einer polnischen-stämmigen Mutter, einem russisch/ ukrainisch-stämmigen Vater, und dem perversen unbewussten Drang, alles das zu sein was mein Heimatland nicht ist, ein Gefühl dass scheinbar mit der Auswanderer-Psyche einhergeht, stellt es sich dann doch heraus, dass ich zumindest doch ein bisschen Aussie bin. Anscheinend kann ein Junge sein Land verlassen, doch verlassen wird das Land ihn nie…