Gastblogger Vijay
Hier bin ich wohl richtig

Staatsbibliothek zu Berlin - Artikelbild
So viel Platz: Einer von vielen offenen Bereichen in der Staatsbibliothek zu Berlin | © Vijay Khurana

Durch seine Abwesenheit von Berlin wurde dem australischen Schriftsteller Vijay Khurana klar, was er wirklich an dieser Stadt liebte. Vor allem ein ganz bestimmtes Wahrzeichen ist Sinnbild für die einzigartigen Möglichkeiten dieser Stadt.

Von Vijay Khurana

Kürzlich bin ich nach Hause zurückgekehrt, obwohl mir nicht klar ist, was genau ich damit meine. Australien? Deutschland? England? Ich gehöre zu jenen Menschen, die dir keine klare Antwort geben wenn du sie fragst, wo oder was ihr Zuhause ist. Aber ich habe den größten Teil des letzten Jahrzehnts in Berlin verbracht: Hier wurde ich 30, schrieb mein erstes Buch und überlegte (mehr oder weniger), was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Nehmen wir also an, ich kehre zurück nach Hause in Berlin.
 
Nach sechs Jahren in Berlin bin ich 2017 nach England gezogen, um einen Master of Fine Arts in kreativem Schreiben zu machen. Viel hat sich verändert, während ich weg war. In meiner unmodernen Nachbarschaft gibt es jetzt ein Japanisches Restaurant. Und der Preis für ein Bier in den meisten lokalen Bars überschreitet die 3,50-Euro-Marke.
 
Ein paar Dinge sind jedoch noch genauso wie sie immer waren, und der Komfort und die Zuverlässigkeit dieser Dinge geben mir das Gefühl, nach Hause zurückgekommen zu sein. Eines davon ist die Staatsbibliothek (oder Stabi, wie sie von den Einheimischen genannt wird), Berlins berühmte öffentliche Bibliothek in der Nähe des Potsdamer Platzes.

Staatsbibliothek zu Berlin - Eingangsbereich
Der Eingangsbereich der Berliner Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße | © Vijay Khurana

Meine Herkunftsgeschichte

Die meisten Australier in Berlin haben eine Herkunftsgeschichte- etwas, das ihr Interesse an der Stadt geweckt, und das sie auf ihre Reise hierhergeführt hat. Für mich war es Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“. Von dem Moment an, als ich diesen Film über Engel sah, die in einem zerfallenen und geteilten Berlin über Sterbliche wachen, war ich fasziniert. Es gibt in „Der Himmel über Berlin“ sogar einen bikulturellen Städter: der Musiker Nick Cave, der in den 1980ern hier lebte.
 
Der Film vermittelte mir vor allem ein Gefühl des Kontrasts zwischen beengten Innenräumen (unterstützt durch die endlos überlappenden inneren Monologe, die von den Engeln mitgehört wurden) und spärlichen Stadtlandschaften, zwischen dem Gemurmel des Alltags und der universellen Perspektive, die den Engeln zur Verfügung steht.
 
Eine meiner Lieblingsszenen aus dem Film wurde in der Berliner Staatsbibliothek gedreht. Der allegorische Charakter Homer, ein alter Mann, der es als seine Aufgabe ansieht die Geschichten der Welt zu erzählen, geht durch die riesige Bibliothek und fragt sich, warum es keine großartigen Geschichten über den Frieden gibt. Seine Gedanken schweifen über die dortigen Wissensbestände an denen er vorbeistreift –Weltkugeln und Regale über Regale, voll mit Büchern, die in einigen Fällen Jahrhunderte zurückreichen. Ich würde auch gerne mal dorthin gehen, dachte ich.

Unerschöpflicher Raum

Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges hat angedeutet, dass eine Bibliothek ein Ort sein sollte, der so grenzenlos ist wie der Verstand. Wenn das so stimmt, gibt die Stabi auf jeden Fall ihr Bestes. Was schon beim Betreten auffällt ist eine Atmosphäre von höhlenhaftem, fast unerschöpflichem Raum. Es gibt Ebenen, Plattformen, Ecken, Unterbibliotheken für Osteuropa und Ostasien, Karten und Manuskripte. Kurz gesagt, der Ort fühlt sich an wie eine Welt für sich.
 
Selbst die Cafeteria mit ihrer seit Jahrzehnten unveränderten Speisekarte deutscher Gerichte deutet auf Zeiten hin, die in der realen Welt schon nicht mehr zugänglich sind. Die riesigen Fenster und die schüsselförmigen, perlmuttfarbenen Deckenleuchten lassen den Ort auch an einem trüben Januartag hell erscheinen. Und die Schreibtische sind mit denselben summenden Lampen ausgestattet, die Wenders schon vor mehr als dreißig Jahren in seinem Film aufgezeichnet hat.
 
Manche genießen es in Cafés zu schreiben, andere im Bett. Für mich war der ideale Ort immer eine Bibliothek. Es gibt ein Gefühl der Freiheit, einfach an ein Regal gehen und ein Buch herausziehen zu können, das mir gerade in den Sinn gekommen ist. Und auch die unerklärliche Energie die mit der räumlichen Nähe von Menschen einhergeht, die wie ich über Dinge die sie interessieren, lesen und schreiben. Ich habe Bibliotheken so weit weg wie Tokio (dessen Nationalbibliothek groß genug ist, um einen eigenen Friseurladen zu haben) und New York besucht. Aber nichts geht über die Stabi.
Staatsbibliothek zu Berlin - Allgemeiner Lesesaal 2
Gleichgesinnte Seelen arbeiten fleißig im Allgemeinen Lesesaal | © Vijay Khurana

Hier bin ich wohl richtig

Als ich zum ersten Mal hierherkam, arbeitete ich gerade an meinem ersten Buch. Ich wusste damals zwar noch nicht wirklich was genau ich tat, aber ich sagte mir, dass es ein guter Anfang sei, mich so oft wie möglich in die Bibliothek zu begeben und Wörter auf die Seiten zu bekommen. Also bin ich gegangen und hab geschrieben.
 
Das war im Frühjahr 2012, als düstere und rauchige Bars zu den Attraktionen Berlins gehörten und man bis lange nach Sonnenaufgang draußen bleiben konnte - Nächte, die sich in Tage verwandelten und den Rahmen des normalen Alltags verwischten. Als ich zur Stabi kam lernte ich eine der wichtigsten Regeln des Schreibens: Man muss einfach nur aufkreuzen und schreiben.
 
Acht Jahre später bin ich wieder zu Hause. Dieses Mal bearbeite ich eine Kurzgeschichtensammlung, die das Ergebnis von zwei fiebrigen Jahren ist, die ich größtenteils in einer anderen Bibliothek in England verbracht habe. Mein Leben und mein Schreiben haben sich verändert, genauso wie die Stadt. Aber der Prozess ist immer noch der gleiche. Ich komme auch jetzt noch fast jeden Tag in die Bibliothek, genauso wie ich es damals getan hatte. Ich finde irgendwo in diesem riesigen Raum einen Schreibtisch. Ich setze mich, ausgestattet mit einem Tagesbedarf an Optimismus und Energie, und schau mal wie lange dies anhält.

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