Gastblogger Ben
Auf der Suche nach der Wahrheit in Nordaustralien
Rachel O’Reillys Dokumentarfilm Infractions ist der Höhepunkt jahrelanger Forschung, künstlerischer Arbeit und etlichen Interviews, die sich mit fossilen Brennstoffen und seiner Beziehung zur zeitgenössischen Kunst und Kultur in Australien befassen. Bei der jüngsten Voraufführung in Berlin gab es eine Q&A Session mit der Regisseurin und einem der Stars der Dokumentation, die dank der freundlichen Unterstützung der Institution KW Berlin veranstaltet werden konnte.
Von Ben Gook
Infractions startet mit einer holprigen Autofahrt von Ntaria im australischen Northern Territory. O’Reilly wird von Que Kenny auf einer stark befahrenen Straße Richtung Nordosten durch die konventionellen Gasfelder der Region gefahren, die bereits seit Jahrzehnten für die heimische Versorgung in der Region zuständig sind.
Der Film selbst legt einen kurvenreichen Weg zurück - von spekulativen Explorationsstätten bis hin zu Exportpunkten - entlang der Narben, die konventionelle Minen und der Klimawandel in Nordaustralien hinterlassen haben. Diese Routen kreuzen auch Songlines, Spuren von tiefer Bedeutung in der indigenen australischen Kultur. Für die im gesamten Film vorgestellten Ureinwohner, viele von ihnen sind selbst auch Künstler, ist es sichtlich schmerzhaft, durch diese bereits gestresste spirituelle, gemeinschaftliche und natürliche Landschaft zu streifen.
Während sie die endlosen, geraden Schotterstraßen und trockenen Flussbetten entlangfahren, beschreibt Kenny die dürftigen Summen - zwischen $10 und $100 pro Familie pro Jahr -, die aus bestehenden Minengebührengeschäften in ihre Gemeinde fließen. Im Norden Australiens schürt das Gefühl der Vernachlässigung, durch Regierungen und Bergbauunternehmen, den weit verbreiteten Zorn gegen Fracking und bildet neue und beispiellose Koalitionen zwischen indigenen Gemeinschaften, grünen Gruppen und nicht-indigenen Bauern.
Eine umstrittene Methode
Beim Fracking, einer bestimmten Art der Gasgewinnung, wird mit Sand und Chemikalien versetztes Bohrwasser unter hohem Druck in die Erde gepresst, um das Schiefergestein zu zerstören und dadurch Öl und Gas freizusetzen. Das in den USA erfundene Fracking wurde an mehreren Orten verboten, unter anderem in Victoria in Australien und kürzlich in auch Großbritannien. Dieser umstrittene Prozess produziert giftiges Abwasser, was Infractions mit Hilfe von Drohnen aufnimmt, die über schimmernden Aquamarinteichen im Westen von Queensland schweben. Diese Bilder nebeneinander zu sehen ist äußerst beeindruckend. Das seidige Wasser steht auf unglaublich schöne Weise in Kontrast mit dem trockenen Rot der Wüstenlandschaften, bis sich dessen Nützlichkeit offenbart.Kenny wuchs in Ntaria auf und reiste für eine Q&A Runde im Anschluss an das Screening nach Berlin. Sie erzählte dem Publikum von ihrem Interesse, Kontakt zu möglichen Familienmitgliedern in Deutschland aufzunehmen. Ntaria ist auch als Hermannsburg bekannt, ein Erbe deutscher Lutheraner aus der Hermannsburger Mission, die im 19. Jahrhundert nach Australien kamen, um das Christentum den indigenen Völkern näherzubringen.
Ntaria ist eine Kleinstadt mit 625 Einwohnern - am bekanntesten ist sie jedoch dafür, die Heimatstadt von Albert Namatjira, einem indigenen Maler zu sein, der sich auf zentralaustralische Landschaften im europäischen Stil spezialisiert. Eines der bekanntesten Gemälde von Namatjira zeigt den Mount Hermannsburg, den wir in Infractions in Flammen sehen. In dieser Szene zeichnet Kenny auf ihrem Handy eine unerwartete Gasflamme auf, die eines Nachts, plötzlich an einem Höhenzug, als Ergebnis einer hochskalierten Extraktion aufstieg. In Berlin nannte O’Reilly den Film "Kunstgeschichte auf den Kopf gestellt" („Upside-down-art history“) – um Namatjiras wohlbekannte Geschichte mit dem Verzehr des Landes von Ntaria, sowohl in der Vergangenheit als auch Gegenwart, in Verbindung zu bringen.
Australiens Export, Deutschlands Treibstoff
Die im Mittelpunkt des Films stehenden Fracking-Projekte stellen auch einen ständigen Kontakt zwischen Australien und Deutschland her. Australien ist der jetzt weltweit größte Exporteur von fossilem Gas, nachdem es sogar Katar überholt hat, und wird wahrscheinlich einen Teil davon nach Deutschland - dem größten Erdgasverbraucher in der EU - senden, da das Land seine langjährige Abhängigkeit von russischem Erdgas überwinden will.Durch die Produktionsreihe des KW Institute for Contemporary Art in Berlin unterstützt und ins Leben gerufen, stellen die öffentlichen Programme von Infractions eine weitere Verbindung zwischen Deutschland, wo O'Reilly jetzt lebt, und Australien her, wo sie sich weiterhin mit Kunst und Akademie, Kulturschaffenden und Aktivisten befasst. Tatsächlich hat das Gasprojekt einen persönlichen Antrieb für O’Reilly die in Gladstone, Queensland aufgewachsen ist, und wo im letzten Jahrzehnt drei Flüssigerdgasanlagen für die ersten Onshore-Erweiterungen genehmigt wurden.
Einer der eindruckvollsten Momente in Infractions ist, als O’Reilly in Gladstone ankommt und drei Gooreng Gooreng-Ältesten Aufnahmen von einem anderen Mann, Jack Green, zeigt, der die Kämpfe seiner Gemeinde mit Bergbauunternehmen beschreibt. Die Gooreng-Gooreng-Frauen schütteln ungläubig ihre Köpfe, während Green die Taktik von Menschen beschreibt, die er „weiße Ameisen“ nennt, die in indigenen Gemeinschaften eindringen und ihre Traditionen rauben, ihnen Informationen vorenthalten oder kurzzeitige Geschenke anbieten.
Umwelteinflüsse
Die Küstenstädte Australiens haben erneut strenge Wasser-Sparmaßnahmen. Es ist daher besonders schockierend, dass beim Fracking so viel Wasser verbraucht wird. Die UNO gibt an, dass ein Frack an einer Gasquelle zwischen 11 und 34 Millionen Liter verbraucht, obwohl dies in regionalen australischen Gebieten noch viel höher sein könnte (bis zu 60 Millionen Liter).Darüber hinaus lässt sich das Abwasser, das aus der frackierten Erde zurückfließt und an die Oberfläche zurückkehrt, nur sehr schwer von Chemikalien, Radionukliden und Schwermetallen aus dem Schiefer reinigen. Viele genehmigte und vorgeschlagene Fracking-Standorte in abgelegenen Gebieten gefährden die Trinkwasserversorgung ganzer Regionen, wie Alice Springs und andere großen unterirdische Wasserflüsse.
Der Film zeigt eine jüngere Generation indigener Menschen, die prekäres traditionelles Wissen zu erkunden und am Leben zu erhalten versucht, und sich internationalen Klima- und Anti-Fracking-Bewegungen anschließen, die globale Slogan und Proteste gegen fossile Brennstoffe widerspiegeln.
O’Reillys Film ist nicht die einzige Dokumentation über die Kämpfe gegen Fracking in Australien - sie empfahl auch den Film der SEED-Gruppe zu diesem Thema. Es ist jedoch ein wichtiges Dokument in unserer aktuellen Klimakrise - sowohl für Deutsche, die möglicherweise unabsichtlich von dem aus der frackierten Erde gewonnenen Gas profitieren, als auch für Australier, die den Umfang der Pläne, ihr Land auszubeuten, möglicherweise noch nicht realisiert haben.
"Infractions" wird im Dezember 2019 wieder in Berlin gespielt. Der Film wird 2020 in Australien gezeigt.