Lena Dorn empfiehlt
Die Sommer
Der Völkermord an den Jesid*innen durch den „Islamischen Staat“ im Jahr 2014 wurde in der deutschen Literatur bisher kaum thematisiert. Für Leyla, die Hauptfigur in Ronya Othmanns beeindruckendem Debütroman, ist er eine Katastrophe, die ihr Leben verändert.
Leyla wohnt in Deutschland, verbringt aber jede Sommerferien in dem Dorf, aus dem ihr Vater kommt und das in Kurdistan liegt, einem Land, das sie im Atlas nicht finden kann. Auf einmal darf sie dort nicht mehr hin und muss Angst um ihre Verwandten haben. Zu einem Hauptproblem wird fortan der Zusammenhang von Erinnern, Erzählen und Begreifen. Das hat auch mit Leylas Vater zu tun, der voll mit Geschichten über die Jesid*innen ist und der ihr Ausschnitte aus seiner eigenen Vergangenheit erzählt.
Leyla studiert inzwischen und versucht, das Erzählte und das zu Erzählende, das Widersprüchliche und das Unbegreifliche zu sortieren. Sie folgt den politischen Entwicklungen übers Internet, und doch kann sie oft ihre Sätze nicht zu Ende denken. „Aber vollständige Sätze braucht man, sagte sich Leyla immer wieder, ohne vollständige Sätze kann man niemandem davon erzählen.“ Im Roman stellt die Parallelität des Unvereinbaren Leylas Alltagsrealität auf die Probe. Es ist außerdem ein Buch über die Frage, ob man irgendwo herkommt und ob man irgendwo hingehen muss, wenn das Erzählen zu Ende ist.
Carl Hanser Verlag
Ronya Othmann
Die Sommer
Carl Hanser Verlag, Berlin, 2020
ISBN: 978-3446267602
288 Seiten
E-Book in der Onleihe des Goethe-Instituts ausleihen
Rezensionen in den deutschen Medien:
Süddeutsche Zeitung
SWR2
Zeit Online
mdr Kultur