Der frühe Schwulenaktivist und Filmemacher Rosa von Praunheim hat es auf den Punkt gebracht: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. So der Titel der filmischen Gruppenarbeit, die ab 1970 die Gesellschaft Westdeutschlands Schritt für Schritt aus dem finsteren Tal des Paragraphen 175 dorthin führte, wo wir heute sind. An diesem Beispiel zeigt sich exemplarisch die Kraft und Wirkung, die Film haben kann. Die vorliegende Filmliste reflektiert diesen motivierenden Erfolgsweg und bietet cineastisch beispielhaftes Kino an.
Es finden sich hier sowohl Filme, die subkulturell konnotiert sind als auch mainstreamtaugliche Werke. In jedem Fall kann damit dem häufigen Argument entgegnet werden, in Deutschland (Westeuropa) sei es „eben viel besser als anderswo, wo es nie so sein wird“: Auch in Deutschland sah es einmal anders aus und das ist noch gar nicht lange her. Und durch den steten Einsatz auf Kulturebene sind politische Entwicklungen tatsächlich möglich.
Das mediale Zeitalter der Frauen ist unweigerlich angebrochen, die Sichtbarkeit von Lesben schließlich erreicht: Zwar gaben wir bereits in den 1970er-Jahren der Entwicklung noch maximal zehn Jahre, bis Frauen und Männer auch beim Filmemachen im Verhältnis 50:50 lägen.
Gute 40 Jahre später sind wir davon zwar noch weit entfernt, und die 50:50-Quotenregelung sollte nach heutigen Erkenntnissen eher 45/45/10 heißen, aber dennoch: In der Produzentenriege, in der Förderlandschaft sind inzwischen Frauenanteile von teils schon gleichberechtigten Ausmaßen zu erkennen.
Und die Filme? Langsam kommen auch sie. Und zwar lesbisch. In meiner fast 40-jährigen Kuratorenzeit war der Lesbenfilm eines der gesuchtesten Genres überhaupt! Zum Abschluss dieser Empfehlungsliste also ein Cluster junger Filme, neuer Filme zu lesbischen Themen, von Frauen, bis auf einen ...
Weit entfernt von Vollständigkeit soll diese programmatische Auflistung animieren, weiter zu forschen. Bei den meisten der genannten Regisseur*innen lohnt die Recherche nach weiteren Werken. So auch zu Filmen nach Bildergeschichten des Comic-Autors Ralf König, zu Kunst- und Experimentalfilmern wie beispielsweise Michael Brynntrup oder Bjørn Melhus, zu Altmeistern wie Heinz Emigholz oder Werner Schroeter oder zu Feministinnen wie Maria Lang und Ute Aurand oder Ulrike Zimmermann, die 2014 mit Vulva 3.0 ein außerordentliches Werk zur weiblichen Genitalität vorgelegt hat.
Viele deutsche Ko-Produktionen erweitern den üblichen nativ-weißen Rahmen: zum Beispiel der türkisch-deutsche Spielfilm Lola + Bilidikid von Kutluğ Ataman (1998) oder aktuell Rafiki von Wanuri Kahiu, eine Ko-Produktion mit Kenia und Südafrika (2018).
Europäisches Kino
Natürlich sollten die Nachforschungen auch auf die Schweiz und Österreich ausgedehnt werden. Als Einstieg seien genannt die Filme von Daniel Schmid,
F. est un salaud von Marcel Gisler (Schweiz 1998) oder
Der Kreis von Stefan Haupt (Schweiz 2014). Und aus Österreich
Wiener Brut von Hans Fädler (1984),
Kater von Händl Klaus oder die Dokumentation
Brüder der Nacht von Patric Chiha (beide 2016) sowie aktuell eine der besten lesbischen Geschichten überhaupt:
Der Boden unter den Füßen von Marie Kreutzer (2019).
Und auch die Recherche nach deutsch inspirierten Themen im internationalen Kino lohnt, zum Beispiel von Luchino Visconti oder François Ozon.
Ihr
Wieland Speck
Berlin, März 2019