Kinderwunsch auf Eis
Immer mehr Frauen lassen ihre Eizellen und damit ihren Kinderwunsch einfrieren. Facebook und Apple wollen Mitarbeiterinnen die rund 20.000 US-Dollar teure Prozedur bezahlen. Kritiker halten das für scheinheilig und sehen darin eine Ausbeutung weiblicher Arbeitskräfte. Der Reproduktionsmediziner Jörg Puchta hingegen glaubt, das so genannte Social Freezing gebe den Frauen mehr Macht und vermutet hinter den negativen Reaktionen auch sachfremde Gründe.
Die Berichterstattung über das Social Freezing in den deutschen Medien ist nahezu obsessiv – spätestens seit Facebook und Apple im Herbst 2014 die Kostenübernahme für das Einfrieren von Eizellen als Beispiel familienfreundlicher Unternehmenspolitik feierten. In Europa empörten sich viele über das Angebot und sahen darin ein „verheerendes Signal“. Als verlogen wurden die Unternehmen bezeichnet, Spiegel Online nannte die Idee „pervers“.
Grund für die harsche Kritik ist die Annahme, dass es den Firmen lediglich darum gehe, Mitarbeiterinnen „in den besten Jahren“ an sich zu binden. Weitere Argumente gegen Social Freezing beziehen sich vor allem auf das vergleichsweise hohe Alter, in denen Frauen demzufolge Kinder kriegen sollen. Warum sollte es mit Mitte 40 leichter sein als mit Anfang 30, Familie und Beruf zu vereinbaren?
„Fantastische Revolution in der Medizin“
Der Reproduktionsmediziner Jörg Puchta vom Münchner „Kinderwunsch Zentrum an der Oper“ hat für derlei Skepsis kein Verständnis. Für ihn ist Social Freezing „die Antwort auf die Anti-Baby-Pille“, die bei ihrer Einführung in den sechziger Jahren ebenfalls massiver Kritik ausgesetzt war. Die Anti-Baby-Pille habe Frauen mehr Unabhängigkeit verschafft. Social Freezing mache es ihnen möglich, die Altersfrage aufzulösen.
„Frauen erhalten mehr Macht. Indem sie ihre Eizellen in der Frische erhalten können, die sie zum Zeitpunkt des Einfrierens haben, erringen sie die Herrschaft über ihre Fruchtbarkeit. Das ist eine fantastische Revolution in der Medizin“, sagt Puchta. Die Kritik an Social Freezing hält er für ideologisch motiviert; er glaubt, sie entspringe einem Anti-Amerikanismus in Deutschland.
Dabei scheint das Thema weniger amerikanisch als man zunächst vermuten könnte. Nicht einmal der Anglizismus Social Freezing stammt aus den USA. Dort benutzt man unter Ausblendung des (arbeits-)ethischen Aspektes den neutralen medizinischen Begriff oocyte cryopreservation oder schlicht egg freezing. Puchta zufolge seien seit der Einführung von Social Freezing in Deutschland im Jahr 2007 die Eizellen von 1.200 Frauen eingefroren worden. Und es werden immer mehr. Seit der Debatte um unternehmensgefördertes Social Freezing in den USA habe sich die Patientinnenzahl in seiner Münchner Klinik verdoppelt, erzählt der Arzt. „Wir erleben gerade einen wahnsinnigen Boom.“
Die Patientinnen reden ungern
Es mag an der genannten Stigmatisierung liegen, dass die Patientinnen selbst – trotz der umfangreichen Berichterstattung – in den Medien (noch?) kaum vorkommen. So scheiterte der Plan, in diesem Artikel eine Social-Freezing-Patientin zu Wort kommen zu lassen, nicht daran, dass sich keine Patientinnen gefunden hätten. Aber keine war bereit, öffentlich über ihre Beweggründe zu sprechen – nicht einmal anonym.
„Gerne prüfen wir die Möglichkeit, ob wir Ihnen eine Social Freezing-Patientin für Ihren Artikel vermitteln können“, hieß es etwa aus der PR-Abteilung des Kinderwunsch Zentrums an der Oper – gefolgt von der Frage, ob die Klinik als „renommierte“ Praxis für Social Freezing vorgestellt werde. Aus dem Gespräch mit der Patientin wurde nichts. Aber immerhin: Trotz des Hinweises, dass es nicht die Absicht der Verfasserin sei, das Renommee der Klinik zu beurteilen, kam es schließlich zum Interview mit Dr. med. Jörg Puchta.
Der beschreibt die Frauen, die mit dem Wunsch nach Social Freezing in das Kinderwunschzentrum an der Oper kämen, als „pragmatisch, beruflich erfolgreich und karriereorientiert“. Die meisten wollten Kinder, jedoch nicht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Um die 30 Jahre alt seien diese Frauen im Durchschnitt. Etwa die Hälfte von ihnen befinde sich in einer Beziehung, jedoch nicht mit einem Mann, mit dem sie sich eine Familie wünschen. „Viele Patientinnen sagen mir das ganz freiheraus. Dem liegt natürlich die Vorstellung zugrunde, dass vielleicht noch ein passenderer Partner kommt“, so Puchta.
Aufschieben der Entscheidung
Dass er damit ein Argument gegen Social Freezing beim Namen nennt, stört Puchta nicht. Das Aufschieben von Entscheidungen, das Sich-nicht-festlegen-wollen und die illusorische Haltung, man habe eigentlich etwas Besseres verdient, gehört zu den Dornen, die Social-Freezing-Kritiker im Auge haben. Puchta kennt die Argumente, sieht die Ursachen für diese Kultur aber nicht in Techniken wie dem Einfrieren von Eizellen.
Im Grunde, so Puchta, sei Social Freezing eine Präventionsmaßnahme. Durchschnittlich blieben die eingefrorenen Eizellen für fünf Jahre in den mit flüssigem Stickstoff gefüllten Tanks liegen, bis sie aufgetaut werden. In den meisten Fällen sei der Grund für das Auftauen die Tatsache, dass die Eizellenspenderin auf natürlichem Wege schwanger geworden sei.
31 durch Social Freezing zustande gekommene Schwangerschaften hat Puchta seit 2007 betreut, fünf solcher Schwangerschaften bestehen zur Zeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Schwangerschaft mit den eingefrorenen Eizellen komme, liege bei etwa 50 Prozent, so der Mediziner. Zweckoptimismus? Andere Experten kommen jedenfalls auf erheblich geringere Werte: Gegenüber dem ARD-Morgenmagazin bezifferte Professorin Marion Kiechle, Leiterin der Bio-Ethik-Kommission der bayerischen Staatsregierung, die „Chance, ein Baby zu bekommen“ auf acht Prozent, wenn die Patientin bei der Entnahme der Eizelle jünger als 35 Jahre war.
Puchta reagiert auf diesen Einwand verärgert. Die Angaben von Medizinerin Kiechle beziehen sich ihm zufolge auf einen veralteten Datensatz, der auch die Statistiken der Fertilisationsmaßnahmen beinhalte, bevor 2007 das Social Freezing eingeführt wurde. Der Wahrscheinlichkeitswert von acht Prozent sei deshalb falsch. Puchta versichert, dass es spätestens beim zweiten Fertilisationsversuch meistens klappe mit der Schwangerschaft. „Es besteht keinerlei Risiko. Wenn ich eine Frau wäre, würde ich Dasselbe tun.“
Deutsche Großunternehmen verfolgen anderen Ansatz
Einigen großen deutschen Unternehmen gefällt der Gedanke nicht, ihren Mitarbeiterinnen das Einfrieren ihrer Eizellen zu finanzieren. „Ist bei uns nicht geplant“, heißt es schlicht aus der Kommunikationsabteilung von BMW. Bei Siemens scheint man auf die Frage besser vorbereitet. Pressesprecher Michael Friedrich erklärt, das Unternehmen verfolge personalpolitisch „einen anderen Ansatz“.
„Wir sind der Ansicht, dass wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen sollten, wenn sie dies wollen“, so der Siemens-Pressesprecher. Als Beispiele für familienfreundliche Maßnahmen nennt er flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit des Home Office, firmennahe Kinderbetreuungsplätze und einen Betreuungszuschuss.