baKum
„Kampfkunst, die getragen wird von einer Haltung der Liebe“

Birgit Damm und Udo Kumpe in Kairo.
Birgit Damm und Udo Kumpe in Kairo. | ©Goethe-Institut Kairo/Sandra Wolf

Gewalt gegen Kinder. Gewalt gegen Frauen. Gewalt gegen Männer. Gewalt und daraus entstehende Traumata sind fast tägliche Begleiter in Ägypten. Egal ob als Opfer, Täter oder nur als Zeuge. baKum, Institut für Selbstverteidigung hat sich einem besonderen Konzept der Gewaltprävention und der Bewältigung, der aus Gewalt resultierenden Erfahrungen verschrieben. Ein Gespräch mit baKum-Gründer Udo Kumpe und Trainerin Birgit Damm. baKum trainierte im April 2016 Mitarbeiterinnen der Deutschen Botschaft, des Goethe-Instituts und des DAAD in einem dreitägigen SAFE-Seminar.

Ihr beiden gehört baKum, Institut für Selbstverteidigung an. Wofür steht baKum?

Udo Kumpe: baKum sind die Anfangsbuchstaben von  „bei allem Kampfgeist und Mitgefühl“. Es kommt aus dem Hintergrundwissen, dass den Menschen zumeist das eine oder andere fehlt. Den Einen, tendenziell vor allem Frauen,  wünsche ich vor allem Kampfgeist, sich mal durchsetzen, Selbstbehauptung, Nein-sagen. Andere Menschen brauchen eher die Kraft des Mitgefühls. Das man sich mal selbst zurück nimmt, sich hinterfragt und schaut, habe ich den anderen durch meine Worte verletzt.
 
Was unterscheidet baKum von anderen Selbstverteidigungsarten?

Udo Kumpe: baKum ist im eigentlichen Sinne keine Selbstverteidigung. Wir benutzen Kampfkunsttechniken als ein Modul, weil das andere nicht reicht. Das Herz von baKum ist jedoch die Gewaltprävention. Ich selbst bin mit Gewalt aufgewachsen. 1995 habe ich baKum gegründet.  Ich habe mit Kampfsport angefangen, aber als junger Mann schnell mitbekommen, dass das alleine nicht reicht. Ich habe Pädagogik und Philosophie studiert. In der Praxis habe ich jedoch am meisten gelernt. Mein erster Job war im Gefängnis. Bei der Arbeit mit Opfern durfte ich viele Techniken lernen, von denen sie selbst oftmals nicht wussten, warum sie diese angewendet haben. Danach habe ich mit Gewaltstraftätern gearbeitet, bei denen ich dann viele dieser Techniken ausprobieren konnte. Das waren Männer, die zu uns kamen, um ihre Gewaltimpulse zu verlernen. Selbstverteidigung beginnt heute für mich mit dem höflichen „Nein“. Wenn ich Täter bewusst provoziert habe, um dann die Techniken auszuprobieren, habe ich oftmals feststellen können, dass die Täter vom Opfer ablassen, wenn dieses ihm höflich und nett entgegen tritt. Daher stelle ich mir heute die Frage, was ist Selbstverteidigung? Alles was ich tue, um mein Selbst vor Angriffen zu schützen. Höfliches „Nein“, zieh dich zurück, rede, behaupte dich selbst und wenn du merkst du hast Impulse, die andere schädigen, distanziere dich. Da beginnt für mich das SAFE-Sicherheitstraining. Viele Situationen können entschärft werden, bevor es zu Gewalt kommt. Und auch bei Kampftechniken gilt: Ich füge jemanden eher Schmerzen zu, als ihn zu verletzen und ich verletze eher jemanden, als ihn zu töten. All das ist für mich Deeskalation. Kampfkunst, die getragen wird von einer Haltung der Liebe.

Das Safe-Sicherheitstraining vermittelt auch Strategien für die Situationen, in denen Gewalt nicht vermieden werden kann, wie hier in Ägypten. Alle Frauen, denen wir hier begegnet  sind, haben in ihrem Leben Gewalt erfahren.Doch wie geht man damit um? Was mache ich mit einer traumatischen Erfahrung? Was kann ich tun, damit das Schwere nicht noch schwerer wird, sondern dass in der Nach-Trauma-Phase das Schwere leichter wird.

Ihr coacht Männer und Frauen. Gibt es charakteristische Verhaltensweisen, in welchen sie sich unterscheiden?

Udo Kumpe: Die Ähnlichkeiten sind grösser als die Unterschiede. Was die Ängste betrifft, die Hoffnungen, oder was passieren kann, findet sich in derselben Form überall auf der Welt, egal ob zum Beispiel in Deutschland oder in Ägypten. Nur die kulturellen Ausprägungen bzw. Besonderheiten sind anders, aber die Struktur ist dieselbe.

Frauen sind zumeist offener, ehrlicher, emotionaler, das kann man schon sagen. Männer unterdrücken ihre Gefühle mehr, reden weniger, ziehen sich vermehrt auf eine Sachebene zurück.

Mein Thema ist jedoch das Verhalten unter Stress und Gewalt. Da brauche ich heute gar nicht mehr die Gewalt, um das Wichtigste zu lernen: Wir sind alle gleich. Das macht die Gewalt nämlich.
 
Ihr arbeitet auch mit Kindern. Reagieren diese anders als Erwachsene?

Udo Kumpe: Kinder sind Weltneulinge. Sie reagieren noch ganz natürlich und unvoreingenommen auf ihre Umwelt. Das erste Konzept beginnt mit „Fass mich nicht an: Gewaltprävention für Kinder gegen pädo-sexuelle Übergriffe. Kinder haben noch nicht das, was Erwachsene haben, ein angelerntes Verhaltensmuster, dass sie unter Stress anwenden. Manche der Erwachsen werden bei toxischen Stress und Angst aus Selbstschutz heraus leicht zu aggressiv oder aber erstarren. Kinder haben kein gesundes Misstrauen, sondern Neugierde, Spieltrieb, Freude an der Freude. Täter wissen das und wenden das gegen sie an, indem sie sie in ein Gespräch verwickeln bis sich die Kinder wohl fühlen und mitgehen. Wir trainieren die Kinder über ein Körpergedächtnis. Sie lernen gesundes Misstrauen und zerstören des Magnetfelds zwischen Täter und Opfer. Wir imitieren Situationen, solange bis es ins Blut übergeht. Das mache ich mit allen meinen Kursteilnehmern. Nach einem Jahr teste ich es, wenn ich sie wiedersehe, indem ich sie in eine schwierige Situation verwickele. Die Mehrheit reagiert dann instinktiv richtig. Das ist wie Fahrradfahren, einmal gelernt, wird es nicht vergessen.

Udo Kumpe trainiert mit Birgit Damm vor den Pyramiden in Kairo.
Udo Kumpe trainiert mit Birgit Damm vor den Pyramiden in Kairo. | ©baKum

Du hast mit Opfern als auch Tätern gearbeitet. Nach welchem Muster suchen sich Täter ihre Opfer aus?

Udo Kumpe: Die eine Wahrheit gibt es nicht, aber Tendenzen. Täter suchen  Opfer, keine Gegner. Täter suchen Opfer, bei denen sie auf geringen Widerstand stoßen werden, die für sie unterlegen wirken und unsicher, gerade bei Gewalt gegen Frauen. Bei Männern gegen Männer geht es oft um das Kräftemessen. Wer ist stärker? Du oder ich?. Bei Gewalt gegen Frauen geht es sogut wie immer um Unterwerfung.
 
Gibt es Menschen oder Fälle, die euch besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Udo Kumpe: Ein Kind, 9 Jahre geht in Berlin-Wilmersdorf von der Schule nach Hause. Ein weißer Lieferwagen hält und ein Mann sagt:„Hey, ich habe einen Nintendo Gameboy. Willst du nicht einsteigen? Er sagt vehement„Nein!“, rennt in die KITA wo er früher war und erzählt es seinen ehemaligen Erzieher, der die Polizei ruft. Das klingt sehr klischeehaft, aber so war es. Ich habe mit dem Jungen drei Jahre zuvor trainiert, er selbst konnte sich nicht mehr dran erinnern, hat aber in der Situation richtig gehandelt.

Aus meiner Opferarbeit habe ich unendliche Geschichten. Gabi zum Beispiel, die Opfer schwersten Missbrauchs war und dann durch intensives Training gestärkt und selbstsicher zurück ins Leben konnte oder eine andere Frau, die ich seit 16 Jahren betreue. Sie wurde gestalkt und hochschwanger von dem Stalker überfallen. Der Täter lässt nach all den Jahren nicht ab und meldet sich aller paar Jahre wieder. Vor ein paar Monaten trainierte ich auch zum ersten Mal mit der Tochter, die ich 16 Jahre zuvor versucht hatte durch meine Methoden zu beschützen. Das war ein sehr emotionaler Moment für mich.

Birgit Damm: Ich bin durch meine Freundin zu baKum gekommen. Sie wurde eines Abends in ihrem Wohnhaus von einem Mann mit Scream-Maske überfallen und mit einem Messer durch das Haus gejagt, das gerade renoviert wurde und fast leer stand. Ich weiß heute noch, wie sie mich anrief und mir sagte, dass etwas Schreckliches passiert sei. Danach hatte sie viele Probleme. Hatte viele Selbstzweifel und wollte ausziehen. Sie hat danach eine Therapie gemacht und bei baKum trainiert. Durch das Safe-Selbstsicherheitstraining wurde sie immer stärker und lernte mit dem Trauma umzugehen. Sie hat wieder Vertrauen in sich selbst bekommen und konnte zurück ins Leben. Das geht vielen Frauen, denen ich im Training begegne so, deshalb bin ich bei baKum geblieben und nebenberuflich Trainerin geworden.
 
Was sind die wichtigsten Regeln, um aus einer Gewaltsituation heil herauszukommen?

Udo Kumpe:Erst gar nicht in eine herein zukommen. (schmunzelt). Höre auf die Alarmanlage in deinem Körper. Wenn du dieses unangenehme Gefühl im Bauch merkst, dann gilt Sicherheitsabstand schaffen. Das ist die Faustregel schlecht hin. Wenn dieser nicht eingehalten werden kann, dann erkämpfe ihn dir, durch zurückgehen oder weglaufen. Das ist das Wichtigste, Abstand!  Suche die Nähe zu Menschen, die dir angenehm sind und Abstand zu denen, die dir unangenehm sind.
 


 
Udo Kumpe, Gründer von baKum, Trainer für Selbstverteidigung und Gewaltprävention, Träger des Schwarzen Gürtels in Ju-Jutsu und Selbstverteidigung.

Birgit Damm, nebenberufliche Trainerin für Selbstverteidigung und Gewaltprävention.


baKum ist ein Fort- und Weiterbildungsinstitut, das Menschen und Organisationen hilft, ihre Kompetenz im Umgang mit gewaltträchtigen Situationen und aggressiven Menschen zu entwickeln bzw. zu erweitern. Dabei wird besonderen Wert auf ein ganzheitliches Konzept, das die körperliche Wehrhaftigkeit und psychologische Strategien und Handlungskompetenzen in Gefahren- und Gewaltsituationen verbindet gelegt. Im Jahr 1995 begann die Gewaltpräventionsarbeit von baKum mit der Schulung von Frauen und Mädchen. Die Kurse in Selbstverteidigung und Selbstbehauptung fanden von Anfang an in Zusammenarbeit mit Ämtern, Firmen und anderen Institutionen statt. Seit 1997 wird das Angebot ständig erweitert. Heute schult baKum Kinder, Jugendliche und Frauen und führt Seminare für Opfer von Gewaltstraftaten, Gewaltstraftäter im Strafvollzug sowie betriebliche Fortbildungen durch. baKum hat bisher über 50.000 Menschen unterrichtet.

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