Finnland auf der Frankfurter Buchmesse
Lyrikerin Katariina Vuorinen auf der Tour Schweiß&Poesie

Poesie und Aufgüsse
Poesie und Aufgüsse | Foto: Mikko Fritze

Das mit einer Sauna ausgestattete Feuerwehrauto, das im Hinterhof von FIT, der Freien Internationalen Tankstelle im Berliner Prenzlauer Berg geparkt ist, bietet an einem Samstagabend Anfang Oktober Aufguss und Dampf. Eine mit Sofas versehene Jurte daneben gewährt denjenigen Schutz, die sich abkühlen und ihre Kleider wechseln wollen, ein winziger Kiosk hält Erfrischungen bereit, eine Tonne mit Feuer spendet Wärme und Glut. Nach und nach füllt sich der Hof. Bei Einbruch der Dunkelheit tritt schließlich der erste Lyriker auf, hin und wieder ist Musik zu hören. Trotz der Kühle des Abends verdichtet sich die Stimmung, die Texte der Lyriker erwachen zum Leben. Jemand brüllt los, ein anderer kichert, dann wieder lacht jemand. Im Hintergrund wandert das mehr oder weniger nackte Saunavolk zwischen Aufguss, Dusche und Zelt hin und her. Die Schweiß & Poesie-Tour, die dem deutschen Publikum Lyrik, Spoken Word und Saunakultur  auf dem Weg zur Frankfurter Buchmesse näherbringen soll, nahm so in Berlin ihren Anfang.

Die Frankfurter Buchmesse 2014 und Finnlands Auftritt im Rampenlicht wurde auf vielerlei Weise und in unterschiedlicher Stimmung erwartet und vorbereitet. Ich, die Lyrikerin Katariina Vuorinen, war bei diesem großen literarischen Tanz als Mitglied der Schweiß & Poesie-Tour  sowohl auf der Messe, als auch bei Veranstaltungen außerhalb dabei. Auch Heli Slunga, Esa Hirvonen, Harri Hertell, Kasper Salonen, Juha Kulmala sowie der Koordinator der Tour, der Deutsche Dirk Hülstrunk waren bei der Tour mit von der Partie. Das Sauna-Auto wurde von dem deutschen Künstler Dida Zende, dem Inhaber der Freien Internationalen Tankstelle, zur Verfügung gestellt; gefahren wurde es vom Leiter des Goethe-Instituts Finnland Mikko Fritze, der die Stimmung hob und durch dessen Unterstützung und Begeisterung die Tour überhaupt erst zustande gekommen war.

Am Dienstag, dem 7. Oktober wurde die bereits 66. Frankfurter Buchmesse direkt im Anschluss an die Ankunft des Sauna-Autos, das zuvor in Hamburg und Hannover Station gemacht hatte, feierlich und mit langen Reden eröffnet. Die Finnen zeichneten sich bei der Eröffnung auf dem Gebiet des offiziellen Auftretens aus – die Reden waren kompakt und auf die Zukunft gerichtet. Von der Eröffnung, die länger ging als geplant, eilten wir zum finnischen Pavillon, um unsere Stimmung sowie die Gläser mit zahlreichen alten und neuen Bekannten zu heben und um etwas Heimisches, u.a. in Form von karelischen Piroggen, zu uns zu nehmen. Dann war es erneut an der Zeit, zum nächsten Ort zu eilen – ein Gefühl, das die ganze Messe über nicht mehr nachließ: dauernde subtile, durch Zeitpläne, Verspätungen, lange Wege und große Messehallen verursachte Eile.

Doch es fand sich auch ein Gegengewicht zu diesem Gefühl, denn zur selben Zeit veranstaltete der finnische Yogalehrer Petri Räisänen in Frankfurt einen siebentägigen Ashtangayoga-Kurs. Die Entfernungen zwischen der Tour-Unterkunft und den zentralen Veranstaltungsorten in Frankfurt waren lang, das Timing des Kurses jedoch hätte nicht besser sein können. Die zwei frühen Morgentrainingsstunden in Sachsenhausen am Anfang der Woche waren entspannend und bereiteten mich für die Freuden und Anstrengungen der Messewoche bestens vor.

Nach der Eröffnung konnten wir uns wieder an die Arbeit, sprich an Lyrik und Spoken Word machen. Aus dem regnerischen Mittwoch im Frankfurter Garten wurde ein langes Festival der Lyrik und der finnischen Kultur. Bei der Pressekonferenz am Nachmittag wurden die Veranstalter und Auftretenden der Tour vorgestellt, starker Kaffee getrunken und Lachsbrötchen gegessen. Direkt im Anschluss daran ging es in die Sauna: zuerst mit dem Fotografen einer internationalen Agentur, dann mit einem Fernsehteam und schließlich noch mit einem Radiojournalisten. Die Lyrikveranstaltung am Abend, die die Lyrikerinnen Slunga, Vuorinen und der Gaststar aus Estland Kätlin Kaldmaa mit Text und viel Lebensenergie füllten, spiegelte die in den Eröffnungsreden erwähnte Eigenschaft unseres Landes – starke Frauen – wider. Zwischendurch, wie auch zu meinem Gedicht Kodin ja laiskuuden läksyjen, spielte der Musiker Janne Masalin auf seiner Harmonika und brachte sogar das Publikum zum Mitsingen.

Auch am Donnerstagvormittag war das Wetter nicht besser, doch Esa Hirvonen und ich schwitzten erneut, als man uns im Sauna-Auto für das Fernsehen interviewte. Zum ersten Mal durfte ich auf Deutsch auf die Interviewfragen antworten, und da ich diese wilde Sprache wenigstens so viel lernen wollte, dass ich mich leidlich ausdrücken kann, tat ich mein Bestes. Die Endfassung enthielt dann aber eigentlich nur mein Lied, das aus dem Gedicht Tasajako entstanden war, sowie Hirvonens Gedichtlesung.

Später am Tag schaffte es unsere Tourtruppe noch zum finnischen Empfang, lehnte dort Frühlingssuppe ab, verschlang ein paar Piroggen und erkundigte sich bei den Vertretern der europäischen Literaturhäuser nach ihren Eindrücken des finnischen Gastlandauftritts. Der Besuch im Pavillon war dennoch wieder recht kurz, denn nun war es Zeit für die beste Party der Woche: der Lyrik- und Tangoabend im Zusammenhang mit dem Open Books-Festival am Römer, im berühmten Zentrum von Frankfurt. Der dreistündige Abend in den Räumen der Evangelischen Akademie war ein fröhliches und vielstimmiges Fest der Lyrik und Musik, wo neben unserem kleinen Lyrikerteam auch das heitere Trio Plikat zusammen mit Esa Hirvonen, das hinreißende deutsche Tangoorchester Bändi zusammen mit Juha Kulmala und mir, sowie einmal mehr der energische Janne Masalin auftraten. Der Tango scheint seinen seltsamen Zauber auch in Deutschland zu entfalten – von Bändi hörten wir u.a. das aus Aki Kaurismäkis Film bekannte Wolken ziehen vorüber, ich hatte die Ehre, mit ihnen Kaipuuni tango aufzuführen und der Abend endete damit, dass alle zusammen Satumaa sangen. Als krönenden Abschluss besuchten wir dann noch spät am Abend die Finnland Übercool-Party, wo sich unsere finnisch-deutsch-serbische Zusammensetzung in einem dunklen, übervollen Lokal müde tanzte.

Am Freitag stand dann der eigentliche Messeauftritt auf dem Programm. Um die Mittagszeit stellte sich die heiße Lyrikstadt Turku (hot!) Deutschland und der Welt im Lesezelt mitten auf dem Messegelände vor. Jeder von uns hat seine ganz eigene Beziehung zu Turku und seiner besonderen Qualität als Zentrum der Lyrik, und wir – Kulmala, Hülstrunk, Hirvonen und das Trio Plikat sowie ich – freuten uns, diese bei der von Runoviikko ry organisierten Veranstaltung herauszustellen. Der Verein Runoviikko war auch bei der Realisierung der Tour aktiv dabei gewesen. Es herrschte gelassene Stimmung in diesem ruhigen, vom Tageslicht durchzogenen Raum, und so entstand ein konzentrierter Kontakt zwischen Publikum und Auftretenden; das Publikum lauschte jedem einzelnen Wort, vielleicht sogar der Idee unserer Gedichte, wie man manchmal den Eindruck hatte.

Am Nachmittag wiederum überwältigten wir mit demselben Team das Publikum des finnischen Pavillons, das auf Schaukelstühlen und Hockern neben Büchern saß. Als Verstärkung kam noch der Kollege Hertell dazu. Auch hier wurde unser Auftritt trotz des großen, offenen Raums von einem intensiv zuhörenden Publikum aufgenommen; manche schienen die Lyrik geradezu in sich aufzusaugen. Bei allen Auftritten war die Erfahrung ähnlich: die finnische Sprache faszinierte, vor allem wenn wir die Gedichte dazu noch auf Deutsch und Englisch präsentierten. Auch mein bereits zuvor gewonnener Eindruck, dass das deutsche Publikum ausdauernder, aktiver und begeisterter ist als das finnische, bestätigte sich einmal mehr.

Der Gastland-Pavillon selbst weckte Interesse und Diskussionen: er war sehr reduziert, hell und kühl. Die einen nannte ihn stilvoll, andere leer. Neben der Klarheit und einigen durchdachten Details vermisste ich persönlich Dinge wie Wald, Rauschen, finnischen Appetit, Dunkelheit und Licht, die krassen Kontraste von Freude und Trauer, schallendes Gelächter, Fluch und Zauber sowie die mal feine, mal überschwängliche Buntheit unseres Landes neben all der Weiße. Bücher vermitteln die Welt natürlich in all ihren Farben, aber eine üppigere Umgebung hätte ihnen keine Kraft entzogen, im Gegenteil. Von der Bühne des Pavillons aus gesehen kamen die in den Zylindern an der Decke gezeigten Filme für einen Moment zu ihrem überraschenden Recht – die Bilder von fließendem Wasser und Schnee schufen einen schönen Hintergrund zu den Texten der Kollegen, erinnerten dabei an die Ursprungskraft der Natur als Element des eigenen Schreibens und gaben dadurch Energie.

Ein Projekt wie diese Buchmesse, das die gesamte Buchbranche betrifft, weckt automatisch viele Diskussionen. Bereits ein oder zwei Jahre vor der Messe diskutierten die finnischen AutorInnen darüber, wer wohl dafür taugen, es dorthin schaffen oder aber nicht gehört werden würde. Eine oft gehörte Meinung war die, dass diejenigen, die nach Frankfurt reisen, lange im Voraus ausgesucht werden würden. Die anderen hatten vor, die ganze Sache zu vergessen, ihr Außenseiterdasein kurz zu betrauern oder ihre Energie auf andere Ziele zu richten. Manche wollten auch in literarischen Netzwerken aktiv werden. Da Lyrik sich nicht besonders verkauft und im Allgemeinen kein kommerzielles Potential hat, schien vor allem die Betonung dieses Genres für viele Aktive in Vereinigungen und Veranstaltungsorganisationen wichtig. Die Zusammenarbeit verschiedener Akteure trug Früchte und die Lyrik schaffte es zum Beispiel mit Schweiß & Poesie und einem zweiten Projekt, der Kompositio-Tour, auf verschiedenste Bühnen. Auf der Messe konnte zudem ein Lyriktisch bewundert werden, bei einem Projekt der Literaturwerkstatt waren mehrere Finnen dabei und selbst eine Anthologie mit Lyrik aus der Region Savo entstand. Im Messeprogramm waren außerdem samische LyrikerInnen und ein komplett auf Deutsch übertragenes Lyrikwerk zu sehen.

Bei einem solch großen Einsatz kann man sich nicht nur seitens der Veranstalter viel Gemeinschaftsgefühl erhoffen, sondern auch unter den Autoren – wo wir nun einmal die Gelegenheit hatten, gemeinsam unsere kleine, feine Sprache und die Sichtbarkeit ihrer vielstimmigen Literatur zu fördern. Die Sichtbarkeit Finnlands in den Medien war dann auch größer als je zuvor bei einem Gastlandauftritt. Und positiv. Ein Teil der AutorInnen hat es geschafft, durch diese Messe, deren Fokus auf dem Verkauf von Übersetzungsrechten liegt, die eigene Karriere künstlerisch wie finanziell auf bestechende Art voranzubringen. Aber es gab auch solche, die ihre Karriere allein auf der künstlerischen Ebene voranbringen wollten, die eigenen Texte auf das lebende Publikum treffen ließen und dadurch die frohe Botschaft der Literatur und ihrer Präsentation sowie die besondere Qualität der finnischen Kultur verbreiteten. Deutlich wurde auch die wunderbare Kraft der Ausgangssprache mit nur wenigen übersetzten Texten, die es vermochte, eine Brücke zwischen Autor und Leser bzw. Zuhörer zu bauen. Auch wenn man Repräsentation und Verkauf braucht, ist es doch schön zu sehen, dass für eine Begegnung nicht immer Kommerz und viel Geld notwendig sind. Das Publikum und die Medien liebten die Schweiß & Poesie-Tour, die Lebendigkeit des Auftretens, die Sauna, die Unmittelbarkeit und Offenheit. Auch das Bild von Finnland nahm dadurch eine ein wenig genauere, ein wenig andere Form an als zuvor. Kaum jemand von uns hatte sich sicher vorgestellt, einen Übersetzungsvertrag beim Nachhausekommen in der Tasche zu haben, stattdessen aber hatten wir etwas Einzigartiges erlebt und unsere Möglichkeiten erweitert.

Auf der und über die Messe waren verschiedene Erfahrungen und Ansichten zu vernehmen. Interessiertes Publikum, Interviews, Feste und neue Kontakte erfreuten. Jemand anderes wiederum hatte wohl geweint, weil er oder sie nicht zur Messe kam, andere hatten es satt, dass die AutorInnen hierarchisch in zwei Gruppen eingeteilt wurden oder kritisierten den Mangel an Solidarität unter den Kollegen. Andererseits war die Freude über die vielseitigen Erfolge groß. Das gute Gelingen des Gastlandauftritts will niemand damit kleinreden, dass man darüber nachdenkt, wie verfahren wurde und welche Gefühle aufkamen. Auch auf dem Gebiet der Literatur muss über Wettbewerb, Kategorien und die Vielzahl von Meinungen gesprochen werden, und indem man sowohl die Erfolge, als auch die Enttäuschungen beleuchtet, kann man neue und mutigere Perspektiven für die Zukunft schaffen. Die Diskussion über die Auswirkungen der Messe, die Ergebnisse und Erfahrungen geht natürlich weiter.
 
Am Messesamstag nahm ich noch an dem vom Goethe-Institut initiierten Poetischen Aufguss teil, bei dem in öffentlichen Saunen Lyrik gelesen wurde. Das für mich ausgewählte Rebstockbad ist ein Koloss, der einem Freizeitpark ähnelt und mit unzähligen Saunen ausgestattet ist. Ich habe elf Stück gezählt, auszuprobieren schaffte ich (in Temperaturreihenfolge) u.a. Shogun, Kyoto und Bonsai. Daneben verweilte ich noch im Schneezimmer, in verschiedenen Becken und auf einem Sonnenstuhl. Meine Favoriten unter den Saunen wurden Mongolei und die wie eine Jurte gebaute Sauna Dschingis Khan – welche auch sonst.
 
Es waren nicht viele Leute an diesem Nachmittag im Schwimmbad und in den Saunen schienen sich nur Männer aufzuhalten. In der Sauna Mongolei aus ausgedorrter Kiefer wurde aber bereits um 17 Uhr ein Aufguss gemacht, sodass ich dorthin auf die für das Ritual vollbesetzten Bretter zusteuerte. Das vom Saunameister aufgegossene Wasser, die durch Handtuchwedeln verteilte Hitze und der Bergamotteduft waren jedoch so enorm und die Saunierenden selbst so auf das Erlebnis konzentriert, dass an einen Gedichtvortrag nicht zu denken war. So ging ich nach draußen zum Abkühlen, bekam überraschenderweise Gesellschaft von einer Frankfurterin und ging dann zurück in dieselbe Sauna, um für ein paar Zuhörende ein Gedicht auf Deutsch zu lesen. Später las ich dann noch in zwei weiteren Saunen, wobei in einer davon der Saunameister kurz zuvor derart eifrig aufgegossen hatte, dass sämtliche Saunierenden vor der brennenden Hitze aus dem Raum flohen. Nachdem ich in die Hitze zurückgekehrt war, las ich doch noch und sang auch für die unerschrockenen Saunierenden eines der Gedichte, was leise und fröhlich aufgenommen wurde.

Am Sonntagnachmittag, als Abschluss der Messe, wollte ich noch an einem Yoga-Workshop zum Thema Heilung teilnehmen, der aus der finnischen Tradition schöpfte, doch die Zeit vor dem Rückflug reichte nicht mehr dafür. Statt zur Heilung machte ich mich noch einmal auf den Weg zum finnischen Pavillon und fand zu meiner Freude an der Infotheke davor mein Gedicht Villa Remordimiento als deutschsprachige Postkarte. Es war schön, dieses rote Papier in Händen zu halten, wenn auch so spät – die Exemplare, die ich mitgenommen habe, leben weiter und warten auf eine passende Gelegenheit in Deutschland. Dasselbe tun auch die starken Eindrücke in meinem Kopf, freudige wie absurde: wie wir zum Beispiel während der Tournee durch Mühlheim geirrt und schließlich in einem Tapasladen gelandet waren, der keine Tapas hatte (warmes Essen gab es während der Messewoche eigentlich nie); das Warten auf fehlende oder verspätete S-Bahnen auf regnerischen und nächtlichen Stationen und viele andere Zwischenzustände; die Momente, als Zeit dafür war, mit den Lyrikerfreunden zu reden, Erfahrungen auszutauschen und sich auf die nächste Veranstaltung vorzubereiten.

Von der Messe aus fuhr ich für eine Autorenresidenz und einen Lyrik-Comic-Workshop direkt nach Berlin. Da bereits neue Arbeit auf mich wartete, fand ich keine Zeit, um zu viel zu analysieren oder aufzuatmen. Aber was ist mir im Kopf geblieben, an der Oberfläche oder auch tiefer eingegraben? Die Wunder des Zusammenkommens und die Kraft der Worte. Wie weit einen kollegiale Zusammenarbeit und Freundschaft bringen. Dank. Freude.