In Trauer und Verbundenheit mit Kibbuz Be’eri
© (Rehearsing the Spectacle of Spectres) Nir Evron, Omer Krieger
Anlässlich der Terrorakte der Hamas in Israel zeigte das Jüdische Museum Berlin vom 21. Oktober bis 10. Dezember 2023 die Videoarbeit בחזרה על מחזה החזיונות (Rehearsing the Spectacle of Spectres/Bei der Probe zum Drama seiner Visionen) der in Berlin lebenden israelischen Künstler Nir Evron und Omer Krieger.
Im Zentrum des 2014 entstandenen Werks steht der Kibbuz Be’eri – eine der am schwersten von den Attacken des 7. Oktobers betroffenen israelischen Gemeinschaften an der Grenze zu Gaza.
בחזרה על מחזה החזיונות (Rehearsing the Spectacle of Spectres)
Nir Evron, Omer Krieger
2014, HD Video mit Stereosound, 10 Min.
In Auftrag gegeben von der Kibbuz Be’eri Galerie
Gedicht von Anadad Eldan, englische Übersetzung: Robert Whitehill-Bashan
Mitwirkende: Hagay Avni ז״ל, Carmit Dvori, Anadad Eldan, Marcel Visel, Asaf Weiss, Ziva Yellin
Kinematographie: Yair Agmon
Tongestaltung: Binya Reches
Digitales Compositing: Ido Shor
Das Wort „Kibbuz“ bedeutet auf Hebräisch „Zusammenkunft“. Der Gedanke des Kollektiven prägt das Leben des 1946 gegründeten Kibbuz Be’eri bis in die Gegenwart. In statischen und fahrenden Kameraaufnahmen von Außen- und Innenräumen des Kibbuz lenken Evron und Krieger den Blick auf öffentliche Versammlungsstätten, die dem Kollektiven einen Raum geben. Diese filmischen Sequenzen wechseln sich mit Porträtaufnahmen von Bewohnerinnen und Bewohnern des Kibbuz ab, die das Gedicht „Rehearsing the Spectacle of Spectres“ von Anadad Eldan (geb. 1924) rezitieren. Als sogenannter Kibbuz-Dichter schreibt Eldan Gedichte für die Zeremonien der Gemeinschaft, zudem hat er zahlreiche Bände mit lyrischer Dichtung veröffentlicht. Er ist für seinen alliterativen Stil, seine moderne Ausdrucksweise in biblischem Hebräisch bekannt. Die Mitglieder des Kibbuz Be’eri sind in Einzelaufnahmen und Mehrfachüberblendungen zu sehen, bisweilen setzt sich ihr Vortrag allein auf der Tonspur fort. Die Gedichtzeilen und die filmische Umsetzung sprechen die Wehmut an, die sich angesichts der zwar angestrebten, im Miteinander aber schwer zu erreichenden Harmonie von Individuum und Gemeinschaft einstellt.
„Wir wollten auf die Situation mit den Mitteln eines Museums reagieren“, sagt Hetty Berg. „Noch nie hat das JMB eine Ausstellungsidee so schnell umgesetzt. Wir wollen, indem wir die Videoarbeit zeigen, im JMB einen Ort des Gedenkens schaffen, der Raum zum Innehalten und für Reflexion bietet. Gleichzeitig wollen wir dem Terror und den Morden etwas entgegensetzen: Wir zeigen das Leben in Kibbuz Be’eri, bevor es zerstört worden ist, ein Kibbuz, in dem Kunst geschaffen wurde. Wir wollen die Erinnerung an das Leben dort vor dem Angriff bewahren. Das JMB hat geöffnet, wir setzen das Programm fort und sind für unsere Besucher*innen da.“
Das Video beginnt und endet mit Luftaufnahmen der geografischen Einbettung des Kibbuz, in dessen Nachbarschaft Gaza liegt. In dieser von politischen Spannungen geprägten Region haben sich zahlreiche Friedensaktivistinnen und -aktivisten aus Be’eri für ein Miteinander aller eingesetzt. Auch sie sind unter den Opfern des aktuellen brutalen Terroraktes. Hagay Avni ז״ל, einer der Mitwirkenden des Films und Mitglied der Verteidigungseinheit des Kibbuz, ist im Kampf gegen die Hamas gefallen.
Das Ehepaar Eldan hat den Angriff hochbetagt überlebt. Vor zehn Jahren schrieb Anadad Eldan ein Trauergedicht anlässlich des Todes seiner Tochter, an das seine Frau Sari in diesen Tagen öffentlich erinnert:
Auf Be’eris Mauern [Auf den Mauern meines Brunnens]
Auf Be’eris Mauern schrieb ich ihre Geschichte
Aus den von Kälte zerrissenen Ursprüngen und Tiefen
Nun lest das Geschehene im Schmerz und in ihrem Lichte
Fallt in den Nebel und in die Dunkelheit der Nacht und in den Urschrei
Zum Gebet denn ihre Kinder sind gefallen und die Tür ist verschlossen
Vor der Gnade des Himmels atmen sie Einöde und Trauer
Wer tröstet Eltern ohne Erbarmen denn es ist ein Fluch
Der flüstert weder Tau noch Regen soll auf Euch fallen und es darf weinen wer kann
Es gibt eine Stunde voller Finsternis, dennoch gibt es Morgendämmerung und einen hellen Schein
(Deutsch aus dem Hebräischen: Shelley Harten)
Die Kunstgalerie im Kibbuz Be’eri wurde 1986 eröffnet mit dem Ziel, die beste zeitgenössische israelische Kunst in die Peripherie zu bringen und die Kunst- und Kulturszene sichtbar zu machen.
37 Jahre später, am 7. Oktober 2023, wurde die Galerie bei dem brutalen Terrorangriff der Hamas bis auf ihre Grundmauern niedergebrannt. Bis zur Rückkehr nach Be’eri soll sie nun an einem temporären Ort wieder eröffnet werden.
37 Jahre später, am 7. Oktober 2023, wurde die Galerie bei dem brutalen Terrorangriff der Hamas bis auf ihre Grundmauern niedergebrannt. Bis zur Rückkehr nach Be’eri soll sie nun an einem temporären Ort wieder eröffnet werden.
Zu den Künstlern:
Omer Krieger (geb. 1975 in Tel Aviv, lebt in Berlin) gestaltet performative Aktionen, soziale Situationen, Versammlungsformen und zivile Choreografien im öffentlichen Raum. In seinen Arbeiten untersucht er die Beziehungen zwischen Kunst, Politik und Handlung. Neben der Leitung der performativen Forschungsgruppe Public Movement und des Under the Mountain: New Public Art Festival in Jerusalem, gründete er das 1 : 1 – Center for Art and Politics in Tel Aviv. Seine Werke waren u.a. im Gorki Theater, Neuen Berliner Kunstverein und Hebbel am Ufer zu sehen.
Der Künstler und Filmemacher Nir Evron (geb. 1974 in Herzlia, Israel, lebt in Berlin) nimmt die inhaltlichen und medialen Strukturen in den Blick, die gesellschaftspolitischen Erzählungen zugrunde liegen. Mittels Fotografie, Video und Film untersucht er kulturelle Zeugnisse wie Denkmäler, Architektur, Dokumente, Texte und Biografien, die er für seine Arbeiten bearbeitet und rekonfiguriert. Seine Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. im Gropius Bau in Berlin und der 6. Berlin Biennale.