Restitution von Kulturgütern
Der Sarr-Savoy-Bericht aus juristischer Perspektive
Einen verlässlichen Rahmen für den Umgang mit kolonialer Beutekunst zu schaffen, setzt voraus, sich auf Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit zu konzentrieren.
Von Vincent Negri
Einer der Grundsätze des Völkerrechts, das Rückwirkungsverbot, besagt, dass vor Inkrafttreten dieser internationalen Normen begangene Handlungen nicht in seinen Anwendungsbereich fallen. Laut dem in den Haager Konventionen der Jahre 1899 und 1907 verankerten Kriegsrecht sind Plünderungen (und damit Beutezüge) sowie die Inbesitznahme, Zerstörung oder Beschädigung von Denkmälern und Kunstwerken formal verboten. Diese rechtlichen Bestimmungen gelten auch für Kolonialkriege, jedoch nicht für Handlungen, die vor ihrem Inkrafttreten erfolgten. Ein derartiges Festhalten an einer Grenze für die internationale Legalität begünstigt eine klare Dominanz der ehemaligen Kolonialstaaten gegenüber ehemaligen Kolonien, die einen Antrag auf Restitution stellen.
Traditionelle Rechtsnormen auf dem Prüfstand
Die Frage der Restitution stellt sich offenbar vor allem bei Objekten mit hohem Symbolwert, die ein Gefühl der Identität und der nationalen Souveränität transportieren, was durch den Begriff des nationalen Kulturerbes zusätzlich verstärkt wird. Allerdings scheinen die Zeiten vorüber zu sein, in denen sich – auf das Konzept einer internationalen oder globalen Gemeinschaft gestützte – internationale Gesellschaftsverträge ausschließlich auf die Souveränität von Nationalstaaten beriefen. Die Zivilgesellschaft stellt die Legitimation von Staaten als ihre Vertreter in Frage und entwirft einen alternativen Rechtsweg für den Umgang mit Kulturgütern in lokalen Gemeinschaften. Mit der Anerkennung des Rechts auf kulturelle Differenz wird den Forderungen nach einer Restitution von Kulturgütern durch Teilstaaten oder transnationale Gemeinschaften Glaubwürdigkeit verliehen.Legalität plus Legitimität
Emmanuel Macrons Rede im November 2017 war im Vergleich zu seinen bisherigen offiziellen Verlautbarungen mehr als nur eine Zäsur. Er hob die Frage der Restitution der während der Kolonialzeit verbrachten Kulturgüter auf eine neue Ebene. Bei der Klärung von Ansprüchen geht es nun nicht mehr um das Argument der Legalität – ein Argument, das sich auf einen doppelten Anspruch aufgrund der Besitznahme und des öffentlichen Eigentums dieser Sammlungen stützt. Der französische Staatspräsident erweiterte die Debatte um den Begriff der Legitimität.Die politischen Rahmenbedingungen für ein solches Vorgehen schaffte bereits vor vierzig Jahren der Generaldirektor der UNESCO, Amadou Mahtar M'Bow, mit seiner Veröffentlichung „A Plea for the Return of an Irreplaceable Cultural Heritage to those who Created It“ (Ein Appell zur Rückgabe unersetzlicher Kulturgüter an ihre Urheber) aus dem Jahre 1978. Vier Jahre zuvor, im Jahre 1974, verabschiedete die UNESCO‑Generalkonferenz eine Resolution, in der sie auf den Verlust von Kulturgütern während der Kolonialzeit und der ausländischen Besatzung verwies und die massive Verbringung von Kunstwerken von einem Land in ein anderes in Zeiten kolonialer oder ausländischer Besatzung bedauerte.
Emmanuel Macron erinnerte an eine quälende Frage, die mit dem klassischen Argument des Westens, die Besitznahme sei auf legalem Wege erfolgt und die Objekte befänden sich im öffentlichen Eigentum, nicht länger überzeugend beantwortet werden kann. Auf diese Weise legte er das Fundament für eine neue Form der Legalität, die auf Gerechtigkeit basiert. Amadou Mahtar M'Bow steckte die Eckpunkte für das Recht auf Restitution ab: „Diese Männer und Frauen, die ihres kulturellen Erbes beraubt wurden, bitten daher zumindest um die Rückgabe derjenigen Kunstschätze, die ihre Kultur besonders eindrücklich repräsentieren, eine ganz besondere Bedeutung für sie haben und deren Fehlen ihnen den größten Schmerz bereitet. Eine solche Forderung ist berechtigt.“ In dieser Angelegenheit gibt der Bericht von Sarr und Savoy den Rahmen vor, um den Anspruch auf Restitution zu definieren und die universelle Frage des Kulturerbes aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.