Studenten-Oscar für Ilker Çatak
„Die Filmgötter waren auf unserer Seite“

Ilker Çatak (vierter von links) und sein Team bei der Verleihung der Student Academy Awards 2015
Ilker Çatak (vierter von links) und sein Team bei der Verleihung der Student Academy Awards 2015 | Foto: Ilker Çatak

Max-Ophüls-Preis, First Steps Award und zuletzt sogar der goldene Studenten-Oscar – über zehn Preise durfte Ilker Çatak für seinen Abschlussfilm „Sadakat“ (2014) von der Hamburg Media School bereits entgegennehmen. Nach der jüngsten Preisverleihung in Los Angeles ging es für den 1984 geborenen Regisseur direkt nach Japan. Auf Einladung des Goethe-Instituts Osaka nahm er dort an einer Diskussionsrunde im Rahmen des Shorts-Shorts Festivals, sowie an einer Filmvorführung in Kyoto teil und leitete einen Workshop mit Schülern. Im Interview erzählt er von der Arbeit an seinem preisgekrönten Film, seinen Erfahrungen in Hollywood und seinen Zukunftsplänen.

Herr Çatak, Gratulation zum Studenten-Oscar! Sie kommen gerade frisch aus Los Angeles. Was haben Sie dort erlebt? Kann man sich die Preisverleihung vorstellen, wie die Oscarverleihung im Februar?

Dankeschön! Die Verleihung ist definitiv kleiner und es ist nicht wie bei den Oscars, dass man fünf Nominierte hat und einer gewinnt. Es werden nacheinander Preise in Bronze, Silber und Gold vergeben – also relativ bodenständig, als wenn die Academy sagen würde: „Studenten ihr habt es jetzt bis hierhin geschafft, aber bleibt mal schön auf dem Boden.“ Die ganze Woche zuvor hatten wir Veranstaltungen, die die Academy organisierte. Die Academy besteht aus 6.500 bis 7.000 Mitgliedern. Einen Teil davon haben wir kennengelernt. Es war wohl von Anfang an klar, dass wir Gold kriegen, aber die haben alle ein Pokerface aufgesetzt. Bis zum Schluss wussten wir von nichts. Es gab auch ein paar Panels, in denen etwas Ernüchterung eingekehrt ist. Es ist eben nicht so, dass man dahin kommt und alle auf dein Drehbuch warten. Auch geht man nicht wie in Deutschland direkt zu den entsprechenden Ansprechpartnern, sondern arbeitet mit einem Netzwerk von Zwischenmännern. Diesen Businessteil haben wir einem Tag lang besprochen. Dann gab es Treffen mit Kreativen – einer Produzentin, einem Regisseur, einem Drehbuchautor und einer Maskenbildnerin – sehr spannend. Mit das Beste aber war natürlich der Austausch mit den anderen Filmemachern, die Leute hinter den Arbeiten kennenzulernen.

„Sadakat“ zeigt ein sehr realistisches Bild der Demokratiebewegung in der Türkei. Sie hatten mehrere Drehbuchentwürfe dafür. Wie sahen die anderen Entwürfe aus oder warum haben Sie sich letztlich für diese Geschichte entschieden?

Warum wir uns letztendlich auf diesen Entwurf geeinigt haben ist eigentlich klar: Zum einen ist es spannend, zum anderen war es ein Entwurf, bei dem jede Figur eine Berechtigung hat und in ihrem Handeln auch nachvollziehbar ist. Wir verstehen, warum Asli den Aktivisten versteckt. Wir verstehen, warum der Aktivist auf die Straße geht. Wir verstehen aber auch, warum der Ehemann den Aktivisten verrät. Genau das macht in meinen Augen eine gute Geschichte aus. Wenn man nicht genau weiß: „Wer hat Recht? Wer hat Unrecht?“ Moralische Dilemmata – das ist im richtigen Leben genauso. Es gibt einfach kein Schwarz und Weiß.  

 

Wie waren die Dreharbeiten in der Türkei? Sind Sie mitten in die Demonstrationen hineingelaufen und hatten Sie überhaupt eine offizielle Drehgenehmigung?

Klar, wir hatten eine Drehgenehmigung. Allerdings nicht für die Demonstrationen. Das war reiner Zufall. Nach der Präsidentschaftswahl, als die Leute auf die Straße sind, waren wir zufällig da. Das haben wir also nicht inszeniert, sondern spontan mitlaufen lassen. Und ja, die Filmgötter waren auf unserer Seite bei diesem Dreh. Es gab ein, zwei Momente, in denen Beamte auf uns zukamen. Da wurde es kurz brenzlig, weil wir uns nicht sicher waren, ob wir dort filmen dürfen. Es ist schließlich das Land, das nach wie vor die meisten inhaftierten Journalisten auf der Welt hat. Aber am Ende war alles gut.

Wie kamen Sie auf das Thema? Hatten Sie einen persönlichen Bezug?

Als der arabische Frühling plötzlich dort angelangte, wo ich zur Schule gegangen bin, wo ich Familie habe, bekam ich einen ganz anderen Blick darauf. Ein ganz anders Gefühl für das, was sich auch in den anderen Ländern abgespielt hat. Das war 2013. Damals habe ich sehr viel in Sozialen Medien gepostet, Demos in Deutschland mitgemacht – daraufhin schrieben mir Bekannte, dass ich die Situation nicht verstehe, sie Stabilität bräuchten – und: „Dir geht’s doch gut in Deutschland!“ Das tut weh, wenn man sowas hört. Auf der anderen Seite habe ich dadurch ein Handlungsbedürfnis entwickelt und aus diesem Handlungsbedürfnis ist dann dieser Film entstanden.

Sie sagten gerade: „Es hat weh getan“ – das heißt Sie selbst identifizieren klar mit beiden Kulturen und Ländern?

Ja, ich hab das große Glück Deutscher und Türke zu sein. Und ich glaube wirklich, dass das ein großes Glück ist, zwei Identitäten zu haben. Wir zogen in die Türkei, als ich 12 war. Die ersten sechs Monate waren schon ein ziemlicher Horror: neue Wohnung, neue Schule. Auf einmal muss man Uniform und Krawatte tragen. Wir waren auch rotzig in Deutschland, haben Baggy Pants getragen, Rap-Musik gehört – dort wurde ich erst einmal zurechtgewiesen. Aber als ich nach acht Jahren nach Deutschland zurückgekommen bin, habe ich Istanbul vermisst. Ich kam zurück nach Deutschland und um 18 Uhr war keiner mehr auf den Straße. Es kam mir vor wie ein Dorf.

Das Thema „kulturelle Identität“ ist auch Thema zweier Ihrer früheren Werke, des Dokumentarfilms „Mehrzahl Heimat“ (2007) und des Kurzfilms „Ayda“ (2008).

Mehrzahl Heimat ist während meines ersten Studiums entstanden. Da habe ich mich gefragt, warum es eigentlich keine Mehrzahl des Wortes „Heimat“ gibt und bin auf Spurensuche in meiner eigenen Familie gegangen: von der ersten Generation, die 1960 gekommen ist, über deren Kinder und Kindeskinder, bis hin zur Generation, die gerade nach Deutschland kommt, nicht weil sie Arbeit sucht, sondern einfach Abwechslung. Durch die Flüchtlingskrise hat sich die Situation geändert, aber eigentlich sind die Einwanderungszahlen in den Jahren seit 2000 stetig zurückgegangen. Es sind mehr Leute in ihre Heimat zurückgekehrt, als nach Deutschland gekommen. Das ist auch ein Fakt, der oftmals nicht erwähnt wird. Ayda dagegen ist ein surrealistischer Schwarzweißfilm. Es geht um eine Frau, die jeden Morgen ein halbes Brot kauft und sich dann in die Bäckerei setzt und darauf wartet wer die andere Hälfte kauft. Dann verfolgt sie die Leute und malt deren Porträts. Eine etwas durchgeknallte Geschichte.

Könnte man sagen, es handelt sich um ein zentrales Thema Ihres Schaffes oder gilt das nur für diese beiden Filme?

Ich glaube einfach daran: Wenn du ein guter Filmemacher, oder ein guter Künstler sein willst, musst du persönlich werden. Mein aufrichtigster Film in diesem Zusammenhang war wahrscheinlich der Film mit meinem Vater Als Namibia eine Stadt war (2010). Er hat einen sehr eigenen Humor und ist auch in seinen reduzierten Mitteln sehr präzise. Wir haben ihn damals für 200 Euro produziert und sind dann damit um die Welt gereist. Ein Filmkritiker hat den Film auf einem Festival gesehen und war so begeistert, dass er meinen Vater in seine Liste der zehn besten Schauspieler des Jahres 2010 aufgenommen hat – auf der war unter anderem auch Robert DeNiro vertreten. Ein versteckter Schauspieler in der eigenen Familie. Das ist ja im Grunde das Schöne am Filmemachen. Es schärft deinen Blick fürs Umfeld. Für das, was um dich herum passiert.  

 

Wie kamen Sie zum Filmemachen?

Ehrlich gesagt habe ich nach dem Abitur erst einmal Betriebswirtschaftslehre studiert, war aber nicht richtig glücklich damit und bin dann zum Arbeitsamt. Der Herr dort hat mich gefragt: „Was liebst du in diesem Leben? Was sind deine Hobbys?“ Ich hab geantwortet: „Ich gehe gerne ins Kino.“ Und er hat gesagt: „Dann such dir doch was in dem Bereich!“ Dann haben wir zusammen das Internet durchsucht und eine Woche später hatte ich meinen ersten Job. Mit Johannes Duncker, einem guten Freund, habe ich dann meine ersten eigenen Gehversuche gemacht. Eskimofrosch (2005), unser allererster Kurzfilm, hat gleich einen Preis gewonnen. Den haben wir auch in Istanbul gedreht, auf der Fähre. Erster Drehtag: Fähre. Zehn Jahre später hat sich mit Sadakat ein Kreis geschlossen. Unser erster Drehtag war wieder auf der Fähre. Wie sich herausgestellt hat, ein gutes Zeichen.

Die Fährenszene, der Balkon – das sind auch Beispiele für ruhige Momente im Film „Sadakat“, in der die Handlung unterbrochen wird. Wie gehen Sie bei ihrer Arbeit vor?

Ja, Tempowechsel ist wichtig. Ich war eine Zeitlang Perkussionist und klopfe meine Filme immer nach Tempo ab. Der Rhythmus ist total wichtig im Film. Auch in der Inszenierung übrigens. Christian Petzold hat einmal auf einem Panel gesagt: „Es gibt drei Sorten von Filmemachern: den Lyriker, den Musiker und den Maler.“ Und ich glaube, ich bin der Musiker.

Was sind Ihre nächsten Projekte? Planen Sie einen Umzug nach Hollywood?

Lennart Ruff, der letztes Jahr gewonnen hat, dreht seinen ersten Film gerade tatsächlich in Hollywood. Aber ich habe momentan erst einmal noch einige Projekte in Deutschland: zwei Romanverfilmungen – Jugendromane, die lustigerweise im gleichen Jahr einen Literaturpreis bekommen haben – und ein Film, den ich selbst schreibe. Es gibt noch weitere Angebote und es ist schön, so viel Zuspruch zu erfahren, aber man muss auch vorsichtig sein. Es ist wie bei einem guten Dialog: es sind nicht die Worte die gesagt werden, sondern die, die nicht gesagt werden, die am Ende wichtig sind.

Was mir jedoch in jedem Fall wichtig ist für die Zukunft, ist: gute Leute zu finden – „Seelenverwandte“, mit denen ich Projekte machen kann. Ich bin glücklich, Georg Lippert, Florian Mag und Alexandra Staib, das Kernteam bei Sadakat zu kennen und würde gerne wieder etwas mit ihnen zusammen machen. Das Wichtigste ist, mit Leuten zusammenarbeiten, die auf der gleichen Wellenlänge sind, um eine gute Geschichte zu erzählen.

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