Geniale Dilletanten
Als das Nichtkönnen produktiv wurde

Diedrich Diederichsen auf der re:publica 2013
Diedrich Diederichsen auf der re:publica 2013 | Foto (Ausschnitt): Tony Sojka/re:publica 2013 (flickr) CC BY-SA 2.0

Wenn man über die westdeutsche Subkultur der Achtzigerjahre spricht, kommt man früher oder später auf das Stichwort „Geniale Dilletanten“. Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen erklärt im Interview, welche Rolle Dilettantismus und Selbstorganisation damals für die kulturelle Produktion spielten.
 

Herr Diederichsen, 1981 fand im Berliner Tempodrom „Die große Untergangsshow – Festival Genialer Dilletanten“ statt. Bald darauf erschien ein Sammelband unter diesem Titel. Was waren die Genialen Dilletanten?

Man kann unter diesem Stichwort die Berliner Bands benennen, die beim Festival aufgetreten und in dem gleichnamigen Buch repräsentiert sind, das beim Merve Verlag erschienen ist. Von der produktiven Komponente des Dilettantismus war aber zu dieser Zeit längst und überall die Rede. Dabei gibt es zwei sehr unterschiedliche Auslegungen des Begriffs. Zum einen das Lob der wenigen Akkorde und die damit verbundene Hoffnung, dann wären alle kreativ. Zum anderen die Vorstellung, dass Nichtkönnen Ungeahntes und Unplanbares hervorbringe, auch größere Komplexität frei von Konventionen. Also entweder mehr Kreative oder mehr und andere Kreativität.

Beide Vorstellungen waren bei den Genialen Dilletanten vertreten?

Beim Berliner Festival gab es Bands wie Die Ichs und Sprung aus den Wolken, die nichts konnten, aber auch nichts entwickelt haben außer einem leicht wiedererkennbaren Berliner Sound, der einfach und stumpf war und trotzdem den Vorteil hatte, nicht wie Musik zu klingen. Ähnliches gilt für Einstürzende Neubauten in ihrer frühen Zeit. Und dann gab es die anderen, wie die Tödliche Doris und Frieder Butzmann, die dem Klanglichen mit anderen, beispielsweise performativen, Parametern gegenübertraten. Ob die Betreffenden nun tatsächlich Dilettanten waren – wie Doris – oder nicht – wie Butzmann –, spielte dabei eine geringere Rolle als ihre Idee von künstlerischer Praxis. Sie waren eher die zweite Generation der Fluxusbewegung als die erste Generation Dilettantismus.

Dilettantismus international

Die Entdeckung des Dilettantismus zu dieser Zeit war kein deutsches Phänomen.

Über die Möglichkeiten des Nichtkönnens haben natürlich noch ganz andere Leute geredet, auch in anderen Ländern. Mein Lieblingsbeispiel ist Jad Fair, der Mitgründer der Band Half Japanese. Da ist eine ganze Welt des Dilettantismus entstanden, der wir unter anderem Leute wie den US-Künstler und Musiker Daniel Johnston zu verdanken haben. Man muss das Phänomen globaler betrachten.

Heute wird das Augenmerk besonders auf die fließenden Übergänge zwischen Kunst, Musik und Film in der Subkultur der Achtzigerjahre gerichtet. Ist Interdisziplinarität das richtige Stichwort?

Damals hätte niemand als Ziel benannt, die Disziplinen zu mischen. In beiden Bereichen, in der Kunst und in der avantgardistischen Pop-Musik, waren die Ressourcen knapp. Es gab noch keine Orte, an denen man sich als junger Witzbold, der die bisherigen Avantgarde-Ideen der Siebzigerjahre in Frage stellen wollte, äußern konnte. Wenn man nur in seiner eigenen Welt geblieben wäre, wäre es zu wenig gewesen, also spielte man in einem Künstlerhaus.

Von der Bühne geholt

Zum Dilettantismus gehörte nicht nur, dass man selbst Musik und Kunst machte und Orte dafür etablierte, sondern auch, dass man sie selbst produzierte und vertrieb.

Die Szene organisierte sich selbst und fand dafür Überschriften wie Geniale Dilletanten. Für die Selbstorganisation über Labels hatte man britische Vorbilder. Die dortigen Punk-Singles mit ihren dickeren Hüllen hatten einen unglaublichen Fetischwert. Es wurde klar, dass eine Schallplatte nicht ein standardisiertes Produkt sein musste, sondern etwas, bei dem man alle Komponenten mitgestalten konnte. Es entstanden sehr schnell erfolgreiche Versionen von Läden oder Labels, wie Zensor in Berlin oder Rip Off und ZickZack in Hamburg. Vorher wurden Festivals von Künstlern wie Martin Kippenberger organisiert. Jetzt gab es ZickZack-Festivals in jeder Stadt.

Wie wichtig war die Idee der Performance, des Theatralischen?

Das Einzige, worauf sich alle einigen konnten, war, dass der Feind Stadionrock hieß, und der war sehr theatral. Es gab Bands aus Punk-Kreisen, die jede Form von Performance affig fanden, nicht ahnend, dass das, was sie toll fanden, auch eine Performance war. Punks holten Leute von der Bühne, wenn sie zu viel performten. Ich bin mit meiner Band, den Nachdenklichen Wehrpflichtigen, auch mal von der Bühne geholt worden.