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  •  © Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig
    Foto von der Premiere am Schauspiel Leipzig am 9. Feb. 2019
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ÜBER DAS STÜCK


RECHTE
Verlag: Suhrkamp Theater Verlag
Übersetzerin des Stückes ins Russische: Alexandra Gorbowa

AUF EIN WORT MIT… WOLFRAM HÖLL „DISKO“

Redigierte Transkription des Videointerviews. Regie und Schnitt: Caroline Schwarz, im Rahmen der 44. Mülheimer Theatertage NRW, Stücke 2019: www1.muelheim-ruhr.de

Die Disko ist hier der Ort, wo jeder rein will. Nur weist an der Schwelle ein Türsteher jeden Dahergelaufenen ab, ohne den Auserwählten, die problemlos rein dürfen, den Spaß zu verderben. Draußen bleiben (vorerst): Flüchtlinge und dissidente Geschöpfe. Höll hat aber nicht einfach ein weiteres Flüchtlingsdrama verfasst, sondern ein Wortkonzert.

Wovon handelt „Disko“?
„Disko“ nimmt eine Diskothek, in der es einen Türsteher gibt und drinnen Leute tanzen, in die Leute hinein wollen, die wohl nicht hinein können, als Schlüsselsymbol, als Motor, um von der sogenannten Flüchtlingskrise zu reden. Also es gibt die da drinnen — Leute, die schon drin sind — Leute, die reinkommen wollen und eben diesen Türsteher. Ganz grob umrissen.

Welche Figuren finden wir in Ihrer Disko?
 © Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig Also eine Figur ist Single, die möchte keine Frau haben. Es gibt eine Figur, die einfach gerne helfen möchte. Es gibt eine Figur — ein syrischer Geflüchteter, oder eben ein Geflüchteter — ​der sehr gerne Kunst und Musik machen möchte. Genau. Und diesen besorgten Bürger wiederum, den fand ich einfach interessant. Das habe ich nicht erfunden, aber ich glaube es inzwischen: das, was er möchte, ist ein Monolog, fast eine Arie, die aus ihm herausplatzt, wenn ich es so sagen darf. Was ihn beschäftigt, ist das spießige Familienidyll mit Eigenheim und vier Wänden und Schrägdach — es sieht genau so aus, wie ein Kind es malen würde — für seine Familie. Und es ist irgendwie spießig, aber irgendwie vielleicht auch rührend. Und da gibt diese Stelle, an der man merkt — ​ein Geflüchteter will schlussendlich genau das Gleiche, nur bekommt er es in seiner Heimat nicht mehr.

Wann waren Sie das letzte Mal in einer Disko?
Das ist lange her, das ist wirklich lange her (lacht). Ich war wahrscheinlich 2012 zum letzten Mal in einer Disko.

Wieso haben Sie diesen Schauplatz gewählt?
Das Stück war ursprünglich eine Auftragsarbeit, und zwar für das „Schauspiel Leipzig“. Die haben da eine Spielstätte, die „Diskothek“ heißt. Eine ehemalige Diskothek. Und die wurde neu eröffnet, und da sollte ich ein Stück schreiben. Ich habe diesen Auftrag sehr ernst genommen und dachte, ich erschaffe dann wirklich eine Diskothek im Stück. Das finde ich einfach spannend, weil die Leute ja… in einer echten Disko sind viele Leute zusammen, die müssen sich alle zueinander verhalten, das finde ich schon sehr ähnlich wie im Theater… da gibt es immer jemanden, der ausgeschlossen wird, selbst wenn man schon in der Disko drin ist. Und dann habe ich natürlich in der Zeit geschrieben, in der die sogenannte Flüchtlingskrise erst an Fahrt aufgenommen hat, wo dann eben auch viel in Dresden mit dem PEGIDA-Zeug, das in Chemnitz usw. passiert ist. Dann fand ich tatsächlich: wenn ich schon diese Metapher habe, dann drängt sich das auf, dann muss ich was dazu machen.

Das Stück ist in Spalten geschrieben — ​ womit hängt das zusammen?
Ich interessiere mich schon sehr lange für Housemusik, Technomusik, wie die funktioniert und ob man das irgendwie für einen Theatertext nützlich machen könnte. Alle vier oder acht Takte ändert sich die Musik, da kommt ein Element hinzu oder eins fällt weg. Alles wird immer wieder neu kombiniert, und das wollte ich gern in dem Stück auch machen. Die Figuren haben nicht alle Texte, die später etwas von ihrer Geschichte erzählen, aber schon am Anfang kommen kleine Bruchstücke daraus.

Wie sieht so eine Textseite aus?
Also da sind eben acht Spalten, oder sieben… es ist relativ einfach, es gibt links eine Seite — diese Hälfte ist die Disko — rechts ist draußen, in der Mitte ist der Türsteher, so wie in der Wirklichkeit. Und dann gibt es in der Disko vier Spalten für Figuren. Das sind die, die schon drinnen sind. Und es gibt im Draußen drei Spalten für Figuren,
 © Rolf Arnold / Schauspiel Leipzig Mitsprecher*innen. Und dann, weil viel gleichzeitig geschieht, kann es sehr gut sein, dass da eine Spalte durchgeht, in der immer steht „ja um die Welt, um die Welt, ja um die Welt“, dann ist da die nächste Spalte, die geht: „lauf, lauf, lauf, steh auf“ und drinnen kommt dann währenddessen in der Disko, dass man härter feiern soll und besser trinken. Also sehr viel gleichzeitig eigentlich. Wenn ich ein normales Theaterstück schreiben würde — das gibt´s ja so auch nicht mehr richtig — stünde dann eben auch irgendwie: „Hamlet:“, „Julia:“ und die warten immer schön, bis die andere Figur fertig gesprochen hat. Das kann man natürlich machen, es ist ja auch gut. Aber in der Realität und z.B. in der Disko passiert wirklich sehr vieles gleichzeitig. Und das kann man auch auf der Bühne so machen. 

Wie haben Sie diese Parallelität aufgeschrieben?
Ich habe es auf Papier geschrieben, auf Kästchenpapier, erst mit Bleistift. Die vom Theater wollten, damit sie damit arbeiten können, eine Excel-Tabelle. So habe ich jetzt gelernt, dass man mit Tabellen-Kalkulationen anscheinend auch irgendwie Kunst machen kann.

Haben Sie einen Wunsch, wie das Publikum Ihr Stück verlässt?
Ich habe die Realität zumindest über die Medien erlebt, und so war ich sehr davon geprägt, dass man immer klar in Gruppen eingeteilt hat: Man war entweder auf der Willkommenskulturseite oder man war auf der PEGIDA- oder Chemnitz-Seite. Und ich denke, was dabei manchmal vielleicht ein bisschen untergegangen ist oder wo, wie ich finde, eine Aufgabe des Theaters liegt, ist, davon unabhängig überhaupt erst einmal zu erkennen, dass da gerade etwas passiert mit unserer Gesellschaft und mit uns und mit den Leuten, die kommen. Und das kann man ja erst einmal versuchen, wahrzunehmen, bevor man sofort eine Position und eine krasse Haltung einnehmen muss. Und ich glaube, das versucht das Stück, ein Stück weit erstmal zu machen.

Regie und Schnitt: Caroline Schwarz, im Rahmen der 44. Mülheimer Theatertage NRW, Stücke 2019: www1.muelheim-ruhr.de
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