Im Deutschen Bundestag hat ein Redaktionsteam der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) die Aufgabe, Gesetzestexte, Anfragen oder Anträge verständlicher zu formulieren. Leiterin Sibylle Hallik über die Herausforderung, komplizierte Sachverhalte einfach auszudrücken.
Frau Hallik, die Rechts- und Verwaltungssprache ist vermutlich überall auf der Welt nicht immer leicht zu verstehen. Gerade im Deutschen gilt sie als besonders kompliziert. Können Sie das bestätigen?
Es ist sicher richtig, dass die Rechts- und Verwaltungssprache in vielen Ländern kompliziert ist. Ich denke allerdings nicht, dass die deutsche Sprache besonders anfällig für Unverständlichkeiten ist. Schachtelsätze und Bandwurmwörter sind jedoch in der deutschen Rechts- und Verwaltungssprache recht verbreitet.
Sie meinen Wörter wie „Wrackbeseitigungskostendurchsetzungsgesetz?“
Ja, unter den sogenannten Kurzbezeichnungen von Gesetzestiteln finden sich viele Wortungetüme. Der volle Titel lautet hier: Gesetz über die Durchsetzung von Kostenforderungen aus dem Internationalen Übereinkommen von Nairobi von 2007 über die Beseitigung von Wracks. Solche Titel kann man nur schwer zitieren. Daher gibt es die Vorgabe, eine Kurzbezeichnung zu bilden, die aus nur einem Substantiv besteht und die Schlüsselwörter des Titels enthält. Das führt dann zu Zusammensetzungen, die manchmal nicht gerade kurz ausfallen. Ein anderes Beispiel wäre das Elektrizitätswirtschaftsorganisationsgesetz.
Ist die Komplexität der deutschen Sprache der Grund dafür, dass auch die deutsche Rechtssprache nicht immer auf Anhieb und für alle verständlich ist?
Nicht nur. Man muss auch berücksichtigen, dass die Sprache der Gesetze eine Fachsprache ist und dass sie vor allem rechtssicher sein muss. Doch ein Gesetz sollte – abhängig vom Adressatenkreis – immer so verständlich wie möglich sein. Dies ist auch eine der Kernaufgaben des Redaktionsstabs beim Deutschen Bundestag: Wir prüfen Gesetzestexte in der parlamentarischen Phase der Gesetzgebung auf Richtigkeit und Verständlichkeit. Wir weisen dann zum Beispiel auf fehlerhafte Grammatik oder missverständliche Stellen hin. Im Grunde gehen wir dabei ganz ähnlich vor wie ein Redakteur bei der Bearbeitung eines journalistischen Textes.
Inwiefern?
Der Text muss zunächst orthografisch und grammatisch richtig sein, das ist die Grundlage für seine Verständlichkeit. Man sollte bei der Wortwahl unter anderem darauf achten, keine veralteten Begriffe wie „vom Hundert“ zu verwenden und sogenannte Modewörter wie „multifunktional“ oder „ganzheitlich“ zu vermeiden. Auch sollten keine Euphemismen vorkommen, also Begriffe, die einen geschönten oder falschen Sachverhalt vorspiegeln. Beim Satzbau ist eine möglichst einfache Struktur zu empfehlen, lange Schachtelsätze gilt es zu vermeiden. Schließlich geht es um die Struktur des Textes, seine Gliederung, den logischen Aufbau, um Widersprüche, Auslassungen und Redundanzen.
Beschäftigen Sie sich ausschließlich mit Gesetzestexten?
Ursprünglich war das die Haupttätigkeit des Redaktionsstabs, als er im Jahr 1966 eingerichtet wurde. Zusätzlich gibt es schon lange eine allgemeine Sprachberatung. Seit 2009 hat sich unser Aufgabenspektrum deutlich erweitert: Wir bieten Seminare an, beschäftigen uns mit Leichter Sprache und Einfacher Sprache und redigieren neben Gesetzen noch diverse andere Textsorten.
Was ist unter allgemeiner Sprachberatung zu verstehen?
Die Bundestagsverwaltung, die Fraktionen und auch einzelne Abgeordnete können sich bei allen Fragen zur Sprache an uns wenden. Mal geht es dabei um Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik, mal um das Umformulieren komplexer Sätze, dann um Anredeformen oder auch um geschlechtergerechte Formulierungen.
Das heißt, Sie unterstützen auch bei Fragen der politischen Korrektheit?
Ja, die Herausforderung besteht oft darin, geschlechtergerecht zu formulieren und trotzdem einen lesbaren Text zu schreiben. Ein Beispiel: „Die Behörde muss der Antragstellerin oder dem Antragsteller mitteilen, wann sie oder er ihre beziehungsweise seine Unterlagen einreichen muss.“ Spricht man von der „antragstellenden Person“, wird der Satz wesentlich verständlicher. Zur nicht-diskriminierenden Sprache gehört auch die Frage, wie Sie in einer Begrüßung wirklich alle Geschlechter ansprechen, also nicht nur diejenigen, die sich entweder als Mann oder Frau verstehen. Die beste Möglichkeit ist, ein Partizip zu verwenden, also beispielsweise „Studierende“.
Haben andere Länder Einrichtungen mit einem ähnlichen Aufgabenbereich wie dem Ihres Redaktionsstabs?
Ja, zumindest was die Sprachberatung im Gesetzgebungsverfahren angeht. Sprachberatungen finden Sie in vielen europäischen Ländern. Dazu zählen zum Beispiel die Schweiz, Finnland, Estland, Lettland, Polen und Tschechien, Großbritannien, Portugal und Slowenien. Auch wenn uns vielleicht dieses Klischee anhaftet: Definitiv nicht nur die Deutschen haben mit sprachlichen Unverständlichkeiten zu kämpfen.
Dr. Sibylle Hallik studierte Germanistik und Anglistik in Hamburg, London und Tübingen. Seit 2013 ist sie Leiterin des Redaktionsstabs der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beim Deutschen Bundestag.