Deutsche und Niederländer
Unterhaltung in zwei Sprachen

Deutsch und Niederländisch zeichnen sich durch eine enge Sprachverwandtschaft aus Deutsch und Niederländisch zeichnen sich durch eine enge Sprachverwandtschaft aus | Foto (Ausschnitt) © MaZi - Fotolia.com

An der deutsch-niederländischen Grenze gehört die länderübergreifende Kommunikation zum Alltag der Menschen. Das Besondere: Deutsche und Niederländer verstehen sich, auch wenn sie in in ihrer eigenen Muttersprache miteinander reden, sagt Professor Gunther De Vogelaer von der Universität Münster.
 

Herr De Vogelaer, welche Sprache sprechen Niederländer und Deutsche in den Grenzregionen, etwa im Westmünsterland, miteinander?
 
Noch vor 50 oder 100 Jahren hätten sie in dieser Gegend automatisch in ihrem jeweiligen Dialekt gesprochen, der sich auf beiden Seiten der Grenze sehr ähnlich war. Heute reden nur noch wenige Menschen Dialekt. Neue Untersuchungen zeigen aber, dass die Menschen die Sprache des Nachbarlandes relativ gut sprechen, wobei die Niederländer leichter ins Deutsche wechseln als die Deutschen ins Niederländische.
 
Gibt es weitere Besonderheiten?
 
Prof. Gunther de Vogelaer Prof. Gunther de Vogelaer | Foto (Ausschnitt) © Privat Ja, vor allem im professionellen Bereich kommt es vor, dass in der grenzüberschreitenden Kommunikation jeder auf seine eigene Muttersprache zurückgreift: Die Niederländer sprechen also mit den Deutschen Niederländisch, und die Deutschen antworten ihnen auf Deutsch. Diese Art der Kommunikation wird von vielen als angenehm empfunden, weil sich jeder sehr präzise ausdrücken kann. Sie wird vor allem bei persönlichen Gesprächen innerhalb von Firmen oder Organisationen genutzt. Fachbegriffe können in der mündlichen Kommunikation Probleme verursachen, weil es schwer ist, eine adäquate Übersetzung zu finden. Sie werden nicht übersetzt, wenn es für den Sprecher ökonomischer und kommunikativ effizienter ist, sich auf die fremdsprachlichen rezeptiven Fähigkeiten des Hörers zu verlassen. Auch E-Mails werden manchmal einfach auf Deutsch weggeschickt, und die Niederländer antworten auf Niederländisch.

Die andere Sprache verstehen

Niederländisch und Deutsch zeichnen sich durch eine enge Sprachverwandtschaft aus. Liegt darin der Grund, dass diese Art der grenzüberschreitenden Kommunikation möglich ist? 
 
Ja, deswegen ist diese Kommunikationsweise beispielsweise auch in Skandinavien üblich, wo die Sprachen sich sehr ähnlich sind, sowie zwischen Spaniern und Portugiesen oder Slowaken und Tschechen. Doch auch in der deutsch-niederländischen Grenzregion klappt das nur zwischen Menschen, die regelmäßig Kontakt über die Landesgrenze hinweg haben. Ich spreche aus eigener Erfahrung: Als Belgier habe ich erst Deutsch gelernt, als ich schon in Münster gearbeitet habe. Meine erste Begegnung mit der Rektorin der Universität Münster ist auf diese Art verlaufen: Sie hat mit mir Deutsch gesprochen und ich mit ihr Niederländisch. Wir konnten einander gut verstehen. Aber: Ich war zu dem Zeitpunkt schon sechs Monate in Deutschland, und die Rektorin hat regelmäßig Kontakt zu niederländischen Partneruniversitäten.
 
In welchen Bereichen findet außerdem grenzüberschreitende Kommunikation statt?
 
In vielen, etwa im juristischen Bereich, in der Politik oder zwischen Unternehmen. Auch die Polizei und Krankenhäuser der jeweiligen Länder arbeiten zusammen. Außerdem gibt es im Bundesland Nordrhein-Westfalen Dörfer und Kleinstädte in Grenznähe, in denen viele Niederländer wohnen, die allerdings weiterhin in den Niederlanden arbeiten. In diesen Gemeinden spielt Niederländisch im Alltag eine große Rolle, sei es auf der Straße oder in Geschäften. Es gibt auch Gemeinden mit bilingualen Kindergärten.
 
Sie haben erwähnt, dass weniger Deutsche Niederländisch sprechen als Niederländer Deutsch. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
 
Deutsch spielt im Schulunterricht in den Niederlanden eine viel größere Rolle als Niederländisch in Deutschland – wobei die Tendenz in Deutschland mittlerweile steigend ist. Deutschland ist eine große Wirtschaftsmacht, und das Beherrschen der deutschen Sprache öffnet den Niederländern die Tür zum größten Markt Europas. Solche Überlegungen spielen eine Rolle, wenn es darum geht, Bildungspläne zu entwerfen.

Großes versus kleines Sprachgebiet

Ist das Phänomen, dass in kleinen Ländern eher die Sprache des großen Nachbarn gesprochen wird als umgekehrt, auf andere Grenzregionen übertragbar?
 
Man muss mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein. Aber auch in anderen Regionen ist es für das große Sprachgebiet meist weniger wichtig, die Sprache des kleineren Nachbarlandes zu lernen als umgekehrt. Große Sprachgebiete, die ein wichtiges wirtschaftliches Potenzial darstellen, nehmen seltener Fremdsprachen in ihre Bildungspläne auf als kleine Länder, deren Einwohner die Landesgrenzen überqueren müssen, um auf die internationale Bühne zu gelangen und dafür eine andere Sprache brauchen.
 
Welche Meinung haben Deutsche und Niederländer voneinander?
 
In beiden Ländern überwiegt eine positive Einschätzung der jeweils anderen Sprache. Wenn man Deutsche im Grenzgebiet nach ihrer Meinung zu den Niederländern und dem Niederländischen fragt, sagen sie, dass sie die Niederlande sehr faszinierend finden und eigentlich auch gern ein wenig Niederländisch sprechen würden.
 

Gunther De Vogelaer (geb. 1977) ist seit 2011 Professor für Niederländische Sprachwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er beschäftigt sich mit Sprachvariationen, insbesondere mit der Sprachsituation in der niederländischen Grenzregion.


 

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