Wer Schülerinnen und Schülern etwas beibringen möchte, sollte auch selbst immer wieder die Schulbank drücken. Doch was macht eine gute Fortbildung aus? Was kann sie tatsächlich bewirken? Und wie ändern sich Fortbildungen im digitalen Zeitalter? Fragen an den Erziehungswissenschaftler Frank Lipowsky.
Herr Lipowsky, wenn Sie an Ihre eigene Schulzeit zurückdenken: In welchen Fächern waren Sie besonders gut?
Am besten war ich, glaube ich, in Sport, Mathematik und Chemie.
Und lag das an Ihnen oder an Ihren Lehrerinnen und Lehrern?
Das lag sicher ein Stück weit an den Lehrenden, aber auch an meinen Interessen. Ich erinnere mich jedoch auch an eine Englischlehrerin, die mir das Lernen und den Unterricht in diesem Fach ziemlich verleidet hat.
Wie groß ist denn der Anteil, den die Kompetenzen einer Lehrerin oder eines Lehrers am Lernerfolg der Lernenden haben?
Der ist vergleichsweise groß. Was die Lernerinnen und Lerner an Vorwissen oder Motivation mitbringen, ist natürlich auch wichtig, aber von den Merkmalen, die man im pädagogischen Bereich gut beeinflussen kann, haben Lehrkräfte und der Unterricht den größten Einfluss. Merkmale, in denen sich Schulen unterscheiden, also zum Beispiel das Klima in einer Schule oder die Leitung einer Schule, haben dagegen geringere Wirkungen auf das, was Schülerinnen und Schüler lernen. In einer großen Meta-Analyse wird der Anteil der Lehrkräfte und ihres Unterrichts auf 30 bis 35 Prozent beziffert, das heißt, 30 bis 35 Prozent der Leistungsunterschiede von Schülerinnen und Schülern sind durch Lehrkräfte und ihren Unterricht erklärbar.
Warum ist es wichtig, dass sich Lehrkräfte regelmäßig fortbilden?
Zum einen ist die Phase nach der tatsächlichen Berufsausbildung die längste Phase des Lehrerinnen- und Lehrerseins. In dieser Zeit passiert natürlich viel, gesellschaftlich wie auch technisch. Fortbildungen helfen Lehrpersonen, auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Zum anderen sind die beruflichen Kompetenzen – also zum Beispiel das, was Lehrpersonen wissen und wie sie im Unterricht handeln – nicht davon abhängig, wie viel Berufserfahrung sie haben. Man kann also nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: Wenn Lehrkräfte mal fünf oder zehn Jahre im Schuldienst sind, läuft die Sache von alleine.
Was macht eine gute Fortbildung aus?
Eine Fortbildung sollte sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Sie sollte Input-, Erprobungs-, Reflexions- und Feedbackphasen miteinander verknüpfen. Die Lehrkraft muss das Gelernte im Unterricht auch anwenden können und sollte dazu Feedback bekommen. Außerdem ist es in der Regel besser, wenn Fortbildungen fachlich in die Tiefe statt in die Breite gehen, wohl auch deshalb, weil Fortbildnerinnen und Fortbildner sowie Lehrkräfte dann eher die Möglichkeit haben, sich mit konkreten Lern- und Verstehensprozessen von Schülerinnen und Schülern auseinanderzusetzen. Aus dieser Sicht erscheint es zum Beispiel vielversprechender, eine Fortbildung zum Thema „Förderung von Leseflüssigkeit“ anzubieten statt sich mit dem Thema „Lerncoaching“ ohne jeglichen Fachbezug auseinanderzusetzen, denn Coaching von Schülerinnen und Schülern setzt ja auch gutes und konstruktives Feedback voraus, wofür wiederum auch der fachliche Bezug wichtig ist. Ein weiteres Merkmal erfolgreicher Fortbildungen ist, dass sie Themen und Merkmale des Unterrichts behandeln und aufgreifen, von denen man weiß, dass sie für das Lernen wichtig sind. Deshalb müssen Fortbildnerinnen und Fortbildner auch den Stand der Unterrichtsforschung kennen. In guten Fortbildungen bekommen Lehrkräfte zudem Feedback, und werden angeregt, intensiv in Teams zusammenzuarbeiten.
Kann man den Erfolg einer Fortbildung überhaupt messen?
Ja. In wirksamen Fortbildungen können die Lehrpersonen nach der Fortbildung beispielsweise die Schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern deutlich differenzierter und genauer beschreiben und angemessenere Fördermöglichkeiten vorschlagen. Um zu erkennen, ob sich der Unterricht der Lehrkräfte weiterentwickelt hat, kann man die Schülerinnen und Schüler befragen oder den Unterricht beobachten – vorher und nachher und im Idealfall im Vergleich mit einer Kontrollgruppe.
Durch Videoaufnahmen erfahren Lehrkräfte die Wirkung ihres Handelns und können es besser reflektieren. | Foto (Ausschnitt): © Woodapple – Fotolia.com
Wie kann die Lehrperson selbst die Wirkung des eigenen Handelns am besten erfahren?
Videoaufnahmen sind da ein gutes Mittel. Sie sind nicht nur eine Erinnerungsstütze, sondern sie helfen auch, in Distanz zum eigenen Handeln zu treten und sich bestimmte Szenen mehrfach anzuschauen. Die Lehrkräfte sollten hierbei aber nicht allein gelassen werden, sondern brauchen die Unterstützung der Fortbildnerinnen und Fortbildner, um zum Beispiel den Zusammenhang zwischen dem eigenen Handeln als Lehrkraft und den Reaktionen und dem Lernen der Schülerinnen und Schüler zu erkennen.
Und wie können solche Videoaufnahmen konkret zur Verbesserung des Unterrichts eingesetzt werden?
Da gibt es beispielsweise die sogenannten Lesson Studies, ein Professionalisierungskonzept, das ursprünglich aus Japan kommt. Da bereiten Lehrerinnen und Lehrer in Teams eine Unterrichtseinheit vor. Eine Lehrkraft aus dem Team setzt den Unterricht dann um, die anderen sind dabei, machen Videoaufnahmen und notieren, welche Beiträge die Schülerinnen und Schüler einbringen und wie sie auf die Aufgaben und Fragen der Lehrkraft reagieren. Danach werden die Videos und die Transkripte ausgewertet und die Stunde neu geplant. Ziel ist es, die Stunde so zu „perfektionieren“, dass man nach mehreren Durchläufen eine Unterrichtsstunde entwickelt hat, die in jeder Klasse funktioniert.
Das klingt aber sehr aufwändig.
Das stimmt, zahlt sich aber auf lange Sicht aus, insbesondere dann, wenn man die so geplanten Stunden auch dem Kollegium zur Verfügung stellt und wenn man umgekehrt auf geplante Stunden aus dem Kollegium zurückgreifen kann. Zudem dürften sich die berufliche Zufriedenheit und das Erleben eigener Wirksamkeit deutlich erhöhen, wenn man gemeinsam im Team arbeitet und erlebt, was man als Lehrkraft dann doch bewegen kann.
Welche Besonderheiten gibt es bei Fortbildungen für Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer zu bedenken?
Interessanterweise gibt es hier weniger Forschung als für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Grundsätzlich dürfte aber eine Reihe von Merkmalen guter Fortbildungen auch im Fremdsprachenbereich gelten. Besondere Merkmale kommen wahrscheinlich dann ins Spiel, wenn man konkrete Arbeitsweisen und Zugänge des Fremdsprachenunterrichts in Fortbildungen thematisiert, also zum Beispiel, wenn es in der Fortbildung um die Förderung des Textverständnisses in der Fremdsprache gehen soll. Dann dürfte es zum Beispiel wichtig sein, dass die Lehrkräfte in der Fortbildung mit Strategien und Verfahren konfrontiert werden, die bei ihren Schülerinnen und Schülern mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einem wirksamen Lernen führen.
Nun gibt es im Zuge der Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten der Weiterbildung. Wie bewerten Sie dieses Potenzial?
Sehr positiv. Online-Fortbildungen werden Präsenzveranstaltungen sicher nicht grundsätzlich ersetzen, aber sie sind in jedem Fall eine sehr gute Ergänzung. Ein Beispiel kann das Potenzial vielleicht verdeutlichen: Es gibt ein amerikanisches Fortbildungsprogramm, das auf die Verbesserung der Interaktion zwischen Lehrkräften auf der einen und Schülerinnen und Schülern auf der anderen Seite abzielt. Die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrern müssen alle zwei Wochen ein Video von einer Unterrichtsstunde drehen, das Video wird über eine geschützte Plattform an eine Coachin oder einen Coach geschickt. Sie oder er wählt dann gezielt einige kurze Stellen aus dem Video aus, die zu dem Thema der Fortbildung passen, und bittet die Lehrkraft, dazu Stellung zu nehmen. Danach telefonieren die beiden und entwickeln einen Plan, was aus den Beobachtungen für die künftige Unterrichtspraxis resultiert. Dieses Vorgehen wird alle zwei Wochen wiederholt. Aus einer solchen Art der Fortbildung ergeben sich natürlich gerade auch für eine dezentrale Institution wie das Goethe-Institut besondere Chancen.
Frank Lipowsky | Foto: © Frank Lipowsky
Frank Lipowsky ist gelernter Grund- und Hauptschullehrer. Nach fünf Jahren im Klassenzimmer zog es ihn an die Universität zurück. Seit 2006 ist er Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Kassel. Die Professionalisierung von Lehrkräften gehört zu seinen Forschungsschwerpunkten.
Literatur
Lipowsky, Frank (2016): Unterricht entwickeln und Lehrpersonen professionalisieren. Ansätze und Impulse aus der Fortbildungsforschung. In: Pädagogik 68. Jg., H. 7‐8, S. 76‐79.
Lipowsky, Frank/Rzejak, Daniela (2015): Wenn Lehrer zu Lernern werden – Merkmale wirksamer Lehrerfortbildungen. In: Lin‐Klitzing, Susanne/Di Fuccia, Daniel/Stengl‐Jörns, Roswitha (Hg.): Auf die Lehrperson kommt es an? Beiträge zur Lehrerbildung nach John Hatties „Visible Learning“. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 141-160.
Lipowsky, Frank/Rzejak, Daniela (2015): Lehrerfortbildungen lernwirksam gestalten – Ein Überblick über den Forschungsstand. In: ZfL Magazin 1. Jg., H. 1, S. 5‐10.