In manchen Ländern ist Deutschunterrichten mit mehr als 100 Lernenden in einer Klasse Alltag. Natürlich stellt das besondere Herausforderungen an die Lehrkraft und ihren Unterricht. Wie lernen alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig, ohne dass Chaos ausbricht?
Während in Deutschland die Medien schon Alarm schlagen, wenn fast 30 Kinder in eine Klasse an einer allgemeinbildenden Schule gehen, sind in anderen Ländern die Lehrenden froh, wenn sich die Schülerinnen- und Schülerzahlen unter 100 bewegen. Auch wenn Bildungsforscherinnen und -forscher sich einig sind, dass gute Lehrende guten Unterricht geben können, egal ob ein paar Lernende mehr oder weniger in der Klasse sitzen, sind Klassengrößen von 60, 80 oder 100 Lernerinnen und Lernern - häufig kombiniert mit infrastrukturellen Mängeln im Klassenraum - für jede Lehrkraft eine Herausforderung.
Es gibt geografische Schwerpunktregionen, in denen die Schulleiterinnen und -leiter gezwungen sind, aufgrund von Lehrer- und/oder Raummangel sehr viele Lernende pro Klasse zusammenzufassen: Dies betrifft neben großen Teilen Subsahara-Afrikas (besonders West- und Zentral-Afrika) auch Teile Asiens, wie Indien und Regionen Chinas sowie Indonesiens. Aber auch in Europa kann in besonderen Situationen Großgruppenunterricht vorkommen, beispielsweise bei Werbeveranstaltungen für Deutsch auf Bildungsmessen oder bei Schnupperkursen in Primarschulen oder in freiwilligen Deutschkursen in Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge.
Einfluss der Klassengröße auf den Unterricht
Neuere Forschungen zeigen auf, dass die Größe der Lernendengruppe kaum signifikanten Einfluss auf erfolgreichen Unterricht habe (Hattie 2013). Die Arbeit mit sehr großen Gruppen von 100 oder sogar mehr Lernenden stellt die Lehrkräfte jedoch häufig nicht nur in den Bereichen Aussprachetraining, Disziplin, Motivation und Leistungsmessung, sondern auch in Bezug auf die Binnendifferenzierung vor besondere Aufgaben. Aus diesem Grund wurden eine Vielzahl von Methoden und Didaktisierungen für Unterricht in großen Gruppen entwickelt, die sich natürlich auch auf kleinere Gruppen adaptieren lassen.
Geeignete Methoden
Da Disziplin der Lernenden in großen Gruppen besonders wichtig ist, versuchen viele Lehrkräfte dies durch einen vermeintlich alles kontrollierenden Frontalunterricht zu erreichen. Das wirkt sich jedoch häufig negativ auf die Motivation der Lernenden aus. Um Langeweile zu vermeiden, sollten möglichst vielfältige Sozialformen und Methoden eingesetzt werden. Im Folgenden möchte ich drei Methoden vorstellen, die aufgrund ihres hohen Grades an Lerneraktivierung zu einem abwechslungsreichen Großgruppenunterricht beitragen. Außerdem haben sie den Vorteil, in gut dokumentierten Beispielen als Video oder detaillierte Unterrichtsbeschreibung vorzuliegen.
Rhythmisches Sprechen
Inspiriert durch theater- und musikpädagogische Methoden bildet der sogenannte Sambakreis die Grundlage verschiedener rhythmisch geprägter Übungen. Die Lernerinnen und Lerner stampfen gemeinsam einen unkomplizierten Rhythmus, der sie verbindet und auch schüchterne Lernende ermutigt, vor der Gruppe zu sprechen. Das rhythmische Sprechen dient dazu sprachliche Handlungen, wie sich vorstellen, oder das Erlernen von Wortfeldern, beispielweise das Vokabular des Klassenzimmers, zu automatisieren. Ein Beispiel für Übungen im Sambakreis, der aus Platzgründen nicht unbedingt ein Kreis sein muss, zeigt Frau Che Neba aus Douala, Kamerun im Video:
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Anschauliche Beschreibungen dieser und weiterer Übungen finden Sie in der Projektdokumentation Sprach-Fluss (Holl 2011).
Sprache und Bewegung (Total Pysical Response)
Durch das sogenannte Körperlernen, also die Verknüpfung von Sprachvermittlung und Bewegung im Rahmen der Total Physical Response Methode, werden verschiedene Sinne der Lernenden angesprochen. Dadurch wird das ganzheitliche Lernen ermöglicht. Die Übungen verbinden Vokabeln eines bestimmten Wortfeldes mit immer gleichen Bewegungen und helfen so den Schülerinnen und Schülern, diese Vokabeln zu memorisieren. Im vorliegenden Beispiel der Lehrerin Nurul Widaningrum aus Jakarta, Indonesien wird dazu noch gesungen:
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Projektarbeit
Um möglichst alle Lernenden der Großgruppe gleichzeitig zu beschäftigen, kann die Lehrkraft handlungsorientierte Projektarbeit durchführen. Dabei gilt es zu beachten, dass die Lernerinnen und Lerner das Projekt in einem überschaubaren Zeitrahmen (maximal zwei Wochen) realisieren können und inhaltlich sowohl ein Bezug zum Curriculum als auch zur Lebenspraxis der Lernenden besteht.
Projektarbeit ist prädestiniert für Gruppenarbeit: Die verschiedenen Gruppen können unterschiedliche Fragestellungen bearbeiten und bei einer abschließenden Präsentation ein umfassendes Bild des Themas vermitteln. Doch wie organisiert man Gruppenarbeit mit 100 oder mehr Lernenden, wenn die ideale Gruppengröße für effektives Arbeiten bei drei bis fünf Lernenden liegt? Möglich wird dies, indem die Lehrkraft mehrere Gruppen zu der gleichen Fragestellung arbeiten lässt. Vor der Präsentation treffen sich die Kleingruppen mit der gleichen Fragestellung und besprechen, welche Materialien sie zum Präsentieren auswählen.
Bei der Gruppenzusammensetzung sollte die Lehrkraft beachten, dass die Gruppen aus Lernenden mit unterschiedlichen Talenten zusammengestellt werden. Ein Lerner kann gut zeichnen, eine andere Lernerin gut präsentieren und die dritte Lernerin, kann sich gut auf Deutsch ausdrücken. Auf diese Weise kann jeder seine Fähigkeiten einbringen, ist beschäftigt und trägt zu einem Gelingen des Projekts bei. Im Projektunterricht von Nadège Tchuinang aus Yaoundé, Kamerun (Tchuinang et al. 2017: 40-45) fertigt der Lehrende zu Beginn des Schuljahres Schülerinnen- und Schülerprofile an und kann damit die Gruppen im Vorfeld passend zusammenstellen. So verliert man kaum Zeit die 120 Lernenden in 40 Gruppen einzuteilen. Neben solchen Hinweisen enthält der Projektbericht auch viele praxisnahe Tipps, unter anderem zu den Themen Zeitmanagement und Verhalten bei Störungen.
Problem der Leistungsmessung
Je mehr Lernende pro Klasse, umso länger dauern Korrekturen und Auswertungen von Tests. Diese sind jedoch unerlässlich, um eine individuelle Beurteilung der mündlichen und schriftlichen Kompetenzen vornehmen zu können. Angelika Loo (Loo 2017: 8 f.) stellt einige Hinweise vor, die die Arbeit der Leistungsmessung in großen Gruppen erleichtert:
- Tests sollten korrigierfreundlich aus geschlossenen oder halboffenen Fragen bestehen (Multiple Choice, Richtig/Falsch, Lücken ergänzen).
- Lassen sich - wie in den höheren Niveaus - offene Aufgabenstellungen nicht vermeiden, sollten die Tests in weniger arbeitsreichen Wochen des Schuljahres stattfinden.
- Manche Tests lassen sich online durchführen und auch auswerten.
- Unter Umständen können die Lernenden sich gegenseitig ihre Tests unter Zuhilfenahme der Lösung vorkorrigieren.
- Mündliche Leistungen lassen sich auch in Gruppenpräsentationen ermitteln.
Eine Vielfalt an Lernerfahrungen | Foto (Ausschnitt): Goethe-Institut Kamerun
Vorteil von Großgruppen
Trotz der hohen Arbeitsbelastung beim Unterrichten von Großgruppen sollten auch die Vorteile des Lernens in einer großen Gruppe hervorgehoben werden: Die Vielfalt der Lernenden ist immens und gerade ihre unterschiedlichen Biographien versprechen anregende Beiträge. Ebenfalls bereichern vielfältige Sprachlernerfahrungen mit anderen Zweit- oder Fremdsprachen den Unterricht an. Nicht zuletzt lässt sich mit einer großen Lernendengruppe eine emotionale Dynamik erzeugen, die positive aber auch negative Einstellungen gegenüber dem Lerninhalt oder auch der Lehrkraft steigern kann. Daher ist es für die Lehrperson umso wichtiger, organisiert aufzutreten und ein gutes Verhältnis zur Klasse aufzubauen.
Literatur
Che Neba, Marie-Noelle/Hoffmann, Christian/Tchuinang, Nadège (2017): Großgruppendidaktik in Zentralafrika. In: Fremdsprache Deutsch, H. 56, S.37-46.
Hattie, John (2013): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Holl, Edda (2011): Sprach-Fluss: Theaterübungen für Sprachunterricht und interkulturelles Lernen. München: Hueber.
Loo, Angelika (2017): Unterricht mit großen Lerngruppen. In: Fremdsprache Deutsch, H. 56, S. 3-9.
Schmidjell, Annegret: Interaktionsorientierter Unterricht. Lernende in großen Gruppen. In: Fremdsprache Deutsch, H. 56, S.10-18.