Sprachmittlung steht als sechste Kompetenz im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen. Warum hat sie an Bedeutung gewonnen und wie lässt sie sich in den Unterricht integrieren?
Sprachmittlung ist ein Oberbegriff für jede Art der Übertragung eines Textes aus einer Sprache in eine andere. Dabei kommt der freieren Übertragung mit Fokus auf die situations- und adressatengerechte Überlieferung zunehmend eine besondere Bedeutung zu. Der Begriff umfasst aber auch die „klassische wörtliche" Übersetzung, die immer seltener praktiziert wird – meist nur noch, um sprachliche Strukturen zu kontrastieren. Während die Übersetzung in den letzten Jahrzehnten im Fremdsprachenunterricht eine unumstrittene Stellung genoss, haben Lehrkräfte freiere Formen der Sprachmittlung/Textübertragung seit der Veröffentlichung des
Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) verstärkt in den Fremdsprachenunterricht integriert. Seitdem forschen auch Fremdsprachendidaktikerinnen und -didaktiker zu Theorie und Praxis der Sprachmittlung (siehe Kolb 2016).
Die Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht entwickelt sich vom Maßstab der Äquivalenz – im Sinne von „So frei wie nötig, so wörtlich wie möglich" – zu dem der Adäquatheit. Unter dem Oberbegriff der Skopostheorie formulierten Katharina Reiss und Hans Vermeer die Adäquatheit als Maßstab für Übersetzungen. Dabei ist für den Fremdsprachenunterricht besonders der Situations- und Adressatenbezug bedeutsam.
Relevanz für den Alltag
Mehrsprachige Lernende erleben in ihrem Alltag häufig sprachmittelnde Situationen: Sie werden als Sprachkundige sowohl beruflich als auch privat immer wieder als Sprach- und Kulturmittler einspringen. Dabei wird vom Sprachkundigen in den seltensten Fällen eine wörtliche Übersetzung verlangt, sondern tendenziell eher eine freie Zusammenfassung wichtiger Textinhalte in der jeweils anderen Sprache.
Lehrkräfte können freiere Formen der Sprachmittlung auch im DaF-/DaZ-Unterricht sinnvoll einsetzen, indem sie Erstsprachen auch in sprachlich heterogenen Lerngruppen mit einbeziehen - sei es zur Verständnissicherung oder, um realistische Sprachmittlungssituationen zu schaffen, welche die sprachlichen Kompetenzen aller Schülerinnen und Schüler aufwerten und somit motivierend wirken. Da man nicht nur sprach-, sondern auch kulturmittelnd agiert, wird Sprachmittlung zu einem privilegierten Feld inter- (Rössler 2008) und transkulturellen Lernens. Alles in allem hält die Sprachmittlung aufgrund ihrer Lebensnähe und ihrer Komplexität viele geeignete Aktivitäten für den kompetenz- und aufgabenorientierten Unterricht bereit (Reimann 2013: 212).
Lehrerin liest jungen Lernenden etwas vor
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Verschiedene Sprachmittlungsaktivitäten
Im Wesentlichen können drei Grundformen der freieren Sprachmittlung unterschieden werden: Zusammenfassung, Paraphrase (sinngemäße Wiedergabe) und informelles Dolmetschen. Im Falle der Zusammenfassung und der Paraphrase sind jeweils die Kombinationen schriftlich à schriftlich, mündlich à mündlich, schriftlich à mündlich und mündlich à schriftlich denkbar. Daraus ergeben sich insgesamt neun Typen denkbarer Sprachmittlungsaktivitäten.
Hier eine Übersicht dazu:
Methodische Empfehlungen
Um das Potenzial der Sprachmittlung auszuschöpfen, sollten Lehrkräfte die entsprechenden Aktivitäten so konstruieren, dass sie eine Bezugnahme auf die Situation und Adressaten ebenso einfordern wie idealerweise eine Auseinandersetzung mit einer (inter-)kulturellen Fragestellung. Zusätzlich wäre eine Textsortenumformung möglich.
Dadurch unterscheiden sich gelungene Sprachmittlungsaktivitäten von Übersetzungsübungen oder Übertragungen zum Selbstzweck. Vor dekontextualisierten Aufgabenstellungen wie „Fasse den folgenden Text auf Deutsch zusammen." ist genauso zu warnen wie vor in zahlreichen älteren Lehrwerken enthaltene sogenannte „Dolmetschübungen", die in schriftlicher Form und oft unter engmaschigen Vorgaben zu bewältigen sind. Damit wird bereits der Definition von Dolmetschen als mündlicher Übertragung widersprochen und außerdem provoziert es häufig nur wörtliche Übersetzungen. Solche Aktivitäten führen allenfalls zum informellen Dolmetschen hin. Zur Vorbereitung auf die Sprachmittlung ist auf eine ausreichende Schulung sprachlicher Kompensationsstrategien zu achten (Zweck 2010: 9).
Es bietet sich an, Sprachmittlungsaktivitäten in komplexe Lernaufgaben einzubetten. So sind Kontext, sachliche Hintergrundinformationen und sprachliche Mittel, die für die erfolgreiche Bewältigung der Aufgabe notwendig sind, gegeben.
Im Folgenden sei ein Beispiel für eine Sprachmittlungsaktivität im DaF-Unterricht im Ausland gegeben:
Ihr arbeitet für die Redaktion eines Radioprogramms, das internationale Musik beim portugiesischen Publikum bekannt machen soll. Ihr bereitet eine Sendung über deutschsprachige Musik vor.
Fasst den Text der folgenden Lieder und Informationen, die ihr im Internet über die jeweiligen Sänger/Gruppen findet, zusammen (max. 100 Wörter über die Texte und max. 100 Wörter über die Sänger/Gruppen).
Zum Vortrag (mündlich) der Zusammenfassungen habt ihr max. 30 Sekunden Zeit (Stoppuhr!).
Literatur
Kolb, Elisabeth (2016): Sprachmittlung. Studien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz. Münster/New York: Waxmann.
Reimann, Daniel (2016): Sprachmittlung (= narr Starter). Tübingen: Narr.
Reimann, Daniel (2013): Evaluation mündlicher Sprachmittlungskompetenz. Entwicklung von Deskriptoren auf translationswissenschaftlicher Grundlage. In: Reimann, Daniel/Rössler, Andrea (Hg.): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr, S. 194-226.
Reiss, Katharina/Vermeer, Hans J. (1984): Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie. Tübingen: Niemeyer.
Rössler, Andrea (2008): Die sechste Fertigkeit? Zum didaktischen Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im Französischunterricht. In: Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik 2. Jg., H. 1,S. 53-77.
Zweck, Corinna (2010): Umschreiben, vereinfachen, Beispiele geben. Strategien zur Sprachmittlung trainieren. In: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch H. 108, S. 8-17.