Wirkt sich ein fremdsprachiger Akzent einer Deutschlehrerin oder eines Deutschlehrers nachteilig auf das Deutschlernen aus? Wie sollten Arbeitgeber und Institutionen und die Lehrenden selbst mit dem Thema umgehen?
Eine thematische Annäherung von Ursula Hirschfeld
Es gibt bisher keine belastbaren Erkenntnisse, d.h. empirische Studien, darüber, dass erwachsene Lernende, die von Lehrkräften mit einem fremdsprachigen Akzent unterrichtet werden, anders Deutsch lernen und (aus)sprechen als Lernende, die von Muttersprachler/inne/n unterrichtet werden.
Jede Sprachinstitution setzt ihre Standards und entscheidet, welche Kompetenzen die Lehrkräfte mitbringen sollen, aber es gibt (neben ökonomischen bzw. Marketing-Argumenten) fachliche Aspekte und Argumente, die bei Diskussionen um den Akzent bei Lehrkräften berücksichtigt werden können:
- Welche Aussprache ist gut und richtig?
- Was ist ein Akzent?
- Welche Wirkungen hat ein fremdsprachiger Akzent?
- Welche Lehr- und Lernziele gibt es im Bereich der Aussprache?
- Was zeichnet eine gute Lehrkraft in Bezug auf den Ausspracheunterricht aus?
1. Welche Aussprache ist gut und richtig?
Der Begriff Aussprache umfasst zwei Ebenen, die der Vokale und Konsonanten und ihrer Verbindungen (segmentale Ebene) und die von Wort- und Wortgruppenakzentuierung, Melodie und Rhythmus (Prosodie, suprasegmentale Ebene), er ist also nicht auf die Bildung von Lauten beschränkt. Aussprachefertigkeiten umfassen dabei nicht nur das Aussprechen, sondern auch das Wahrnehmen von Aussprache, es geht also sowohl um das Verstandenwerden als auch um das Verstehen gesprochener Sprache.
DIE gute und/oder richtige Aussprache gibt es nicht. Es gibt sehr viele Aussprachevarianten, die uns im Alltag umgeben und an die wir mehr oder weniger gewöhnt sind und die wir individuell als mehr oder weniger korrekt oder abweichend empfinden.
Neben den drei Standardaussprachen in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz, wie sie in überregionalen Medien und meist auch in Materialien für DaF/DaZ verwendet werden, begegnen uns regionale Umgangssprachen und Dialekte. Innerhalb dieser Bereiche werden Sprechweisen verwendet, die sich in ihren phonetischen Formen teilweise sehr deutlich voneinander unterscheiden. Die Aussprache wird besonders stark durch die Sprechsituation beeinflusst (phonostilistische Variation), und zwar sowohl im Bereich der Standardsprache als auch in Dialekten. Je nach Situation – Wer spricht mit wem wie worüber, warum, wozu, wo und wann? – sind Sprechtempo und Spannung unterschiedlich, was zu einer jeweils veränderten Deutlichkeit und Verständlichkeit führt.
© Hirschfeld/Reinke
Abb.: Sprechsituationsmodell (nach Geißner 1987: 73; Hirschfeld/Reinke 2018: 141)
Neben den phonostilistischen (situativen) Bedingungen ist die Aussprache auf der suprasegmentalen (Melodie, Spannung. Sprechtempo, Rhythmus usw.) und segmentalen Ebene (Vokale und Konsonanten) auch bei emotionaler Sprechweise, z.B. freundliches, wütendes, trauriges oder höfliches Sprechen, stark verändert.
Gut oder richtig bzw. situationsangemessen ist die Aussprache also dann, wenn sie den Normen und Erwartungen der Zuhörenden in einer bestimmten Situation entspricht.
Im DaF-/DaZ-Unterricht ist es also erforderlich, die Vielfalt der existierenden Aussprachevarianten bewusst zu machen und für das Aussprechen und das Wahrnehmen unterschiedlichster kontext- und situationsgebundener Äußerungen zu sensibilisieren. Dabei kann eine Lehrkraft auch ihre eigene Aussprache thematisieren.
2. Was ist ein Akzent?
Der Begriff „Akzent“ steht vor allem für Hervorhebungen (auch: Betonungen, Akzentuierungen) in der gesprochenen Sprache. Im vorliegenden Kontext bezieht er sich jedoch auf
- die durch die Mutter- bzw. Erstsprache gefärbte Aussprache einer Fremdsprache: = fremder / fremdsprachiger Akzent, z.B. ein französischer Akzent im Deutschen sowie
- die durch eine regionale Umgangssprache oder einen Dialekt gefärbte Aussprache des Deutschen: = regionaler Akzent, z.B. ein bairischer oder sächsischer Akzent.
Regionale und fremdsprachige Akzente können ähnliche phonetische Besonderheiten gegenüber den Standardaussprachen des Deutschen aufweisen, bei fortgeschrittenen Deutschlernenden kann man an der Aussprache manchmal nicht mehr erkennen, ob sie einen fremdsprachigen oder regionalen sprachlichen Hintergrund haben.
Das Charakteristische eines fremdsprachigen Akzents liegt darin, dass er in der Regel durch grammatische, lexikalische und pragmatische „Abweichungen“ begleitet wird und so die Wirkung verstärkt, „unkorrekt“ zu erscheinen.
Wenn DaF-/DaZ-Lehrkräfte mit einem leichten fremdsprachigen Akzent sonst fehlerfrei sprechen, ist eine negative Wirkung ihrer Aussprache deutlich eingeschränkt oder wird sogar aufgehoben. Ihre Aussprachebesonderheiten sind dann denen von Lehrenden mit regionalen Akzenten vergleichbar.
Es gibt keine objektiv messbaren Kriterien für die Stärke eines fremdsprachigen (bzw. regionalen) Akzents. Dessen Bewertung kann, da sie von den Erwartungen, Einstellungen und Erfahrungen der Bewertenden und von ihrer Sensibilität für phonetische Merkmale abhängt, sehr unterschiedlich ausfallen.
3. Welche Wirkungen hat ein fremdsprachiger Akzent?
Ein starker fremdsprachiger Akzent kann verschiedene Wirkungen haben, wie auch ein starker Dialekt, wenn die Aussprache den Normen und Erwartungen der Zuhörenden nicht entspricht. So wird die Verständlichkeit beeinträchtigt, inhaltliche Informationen gehen verloren, geplante Gesprächsabläufe ändern sich (z.B. durch Nachfragen), und auch die Einstellung und Akzeptanz gegenüber den Sprechenden kann sich ändern. Studien belegen, dass ein fremder Akzent zu Abwertungen, zu Ausgrenzungen und zu Schwierigkeiten bei Bewerbungen und im Beruf führen kann.
Welche Wirkungen ein fremdsprachiger Akzent bei Deutschlehrenden auf Deutschlernende hat, wurde bisher nicht untersucht. Es sollte auch sehr schwierig sein, alle anderen Wirkungsfaktoren einer Lehrkraft in vergleichenden Untersuchungen auszuschalten.
Meines Erachtens kann ein leichter fremdsprachiger ebenso wie ein regionaler Akzent sehr gut durch unterrichtsmethodisches Geschick (u. a. Methodenvielfalt, Sensibilität bei der Fehlerkorrektur) ausgeglichen werden.
Es lehren weltweit auch Personen Deutsch, die im grammatischen, lexikalischen und pragmatischen Bereich kein „muttersprachliches Niveau“ beherrschen – und das teilweise sehr erfolgreich.
4. Welche Lehr- und Lernziele gibt es im Bereich der Aussprache?
Neben übergeordneten Lehr-/Lernzielen, die sich aus den Beschreibungen der sprachlichen Kompetenzen auf verschiedenen Niveaustufen ergeben (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen) oder an bestimmte berufliche Abschlüsse (Deutschlehrende, Dolmetscher*innen, Journalist*innen, Reiseführer*innen usw.) gebunden sind, gibt es individuelle Ansprüche, eine (sehr) gute Aussprache zu erlernen, z.B. um in einem deutschsprachigen Land zu studieren, zu arbeiten und/oder zu leben. Gute Deutschlehrende nehmen diese Ansprüche ernst und helfen den Lernenden, ihre Aussprache zu perfektionieren.
Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die verlangt, binnendifferenzierend Aussprache trainieren zu können und die unterschiedlichen Bedarfe einzelner Lernender im Blick zu haben. Dies können DaF-/DaZ-Lehrkräfte mit einem fremdsprachigen (oder regionalen) Akzent ebenso leisten wie akzentfrei sprechende.
5. Was zeichnet eine gute Lehrkraft in Bezug auf den Ausspracheunterricht aus?
Im Idealfall erfüllen Deutschlehrende folgende Anforderungen:
- Sie überschauen und bewerten die Übungsangebote im Lehrwerk / -material und sind in der Lage, vorhandene Übungen zu ergänzen, zu verändern, neue Übungen zu entwickeln.
- Sie beherrschen ein Methodeninventar, um gezielt intervenieren sowie methodische Abwechslung und ausreichende Automatisierung sichern zu können.
- Sie gehen auf die individuellen Stärken und Schwächen eines jeden Deutschlernenden im Hören und Aussprechen ein.
- Sie erkennen und korrigieren konsequent und geschickt Ausspracheabweichungen der Lernenden.
- Sie bewerten regelmäßig Lernfortschritte in der Aussprache und Ausspracheleistungen analog zu anderen sprachlichen und sprecherischen Leistungen.
- Sie motivieren (sich und) die Lernenden.
Hier stellt sich natürlich auch die Frage nach der Vorbildfunktion. Jede/r Deutschlehrende ist sprachliches Vorbild für die Lerngruppe, das trifft auch auf die Aussprache zu. Dabei gilt: Je jünger die Lernenden sind, desto mehr orientieren sie sich an der Lehrperson und imitieren deren Aussprache. Jugendlichen und älteren Lernenden können Lehrende mit einem fremdsprachigen oder regionalen Akzent durchaus auch erklären, dass dieser Akzent vorhanden ist und worin er besteht, sie sind trotzdem in der Lage, Aussprachefehler zu erkennen und zu korrigieren. Und es gibt genügend Möglichkeiten, mit medialer Unterstützung standardgemäße Aussprachevarianten zu präsentieren und mit den Lernenden zu besprechen. Es ist oft auch ein Vorteil nicht-deutschsprachiger Lehrkräfte, eigene Lernerfahrungen im Erwerb der deutschen Aussprache mitzubringen, d.h. die Lernschwierigkeiten aus eigener Erfahrung zu kennen und Lernenden gezielt weiterhelfen zu können.
Durch die zunehmende Mobilität und Migration nach Deutschland sind unter den DaF-Lehrkräften, die an Sprachlehrinstitutionen in den deutschsprachigen Ländern unterrichten, immer mehr nichtmuttersprachliche Lehrerinnen und Lehrer mit hoher Unterrichtskompetenz sowie reicher interkultureller und Sprachlernerfahrung. Damit könnte auch eine stärkere Akzeptanz sprachlicher Diversität bei Deutschlehrenden einhergehen.
Meines Erachtens ist das methodische Geschick, Aussprache zu lehren, schwerwiegender als ein leichter fremdsprachiger (oder auch ein regionalsprachiger) Akzent.
Literaturhinweise
- Dahmen, Silvia / Hirschfeld, Ursula (2016) (Hg.): Phonetik in der Unterrichtspraxis. Fremdsprache Deutsch 55. Erich Schmidt Verlag Berlin.
- Dahmen, Silvia / Hirschfeld, Ursula (2016): Phonetik in der Unterrichtspraxis. In: Dahmen, Silvia / Hirschfeld, Ursula (2016): Phonetik in der Unterrichtspraxis. Fremdsprache Deutsch 55. Erich Schmidt Verlag Berlin, 3-9.
- Geißner, H. (1987): Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation. Königstein/Frankfurt a. M.
- Krech, E.-M. u.a. (2010): Deutsches Aussprachewörterbuch. Berlin / New York.
- Hirschfeld, Ursula (2018): Aussprachenormen und ihre reflexiven Verortungen in DaF/DaZ. In: Dirim, Inci / Wegner, Anke: Normative Grundlagen und reflexive Verortungen im Feld DaF_DaZ*. Verlag Barbara Budrich Opladen/Berlin/Toronto, S. 330-343. (Mehrsprachigkeit und Bildung, Bd. 2).
- Hirschfeld, Ursula / Reinke, Kerstin (2018): Phonetik im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Erich Schmidt Verlag Berlin. (Grundlagen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1), 2. Auflage
- Hirschfeld, Ursula (2016): Aussprache in ihrer Vielfalt erleben: Lehr- und Lernziele. In: Dahmen, Silvia / Hirschfeld, Ursula (2016): Phonetik in der Unterrichtspraxis. Fremdsprache Deutsch 55. Erich Schmidt Verlag Berlin, 10-15.