Wie können komplexe Themen wie Armut, Solidarität oder wachsende Ungleichheit in der Corona-Pandemie im DaF-Unterricht behandelt werden? Sind die BNE-Lernziele in den Sprachunterricht integrierbar? Der Beitrag zeigt inspirierende Zugänge und Methoden, die die DaF/Z-Lehrkräfte im Unterricht einsetzen können.
BNE-Ziele
Im Jahr 2020, im Jahr der Pandemie, startete das neue UNESCO-Programm „Bildung für nachhaltige Entwicklung: die globalen Nachhaltigkeitsziele verwirklichen – BNE 2030“. In der Dekade von 2020 bis 2030 soll die Agenda 2030 und somit die 17 Ziele der Bildung für nachhaltige Entwicklung (
Sustainable Development Goals) weltweit umgesetzt werden.
Dem Schulunterricht wird dabei eine zentrale transformative Rolle zugewiesen. Begleitend entstehen pädagogische
Hinweise dazu, wie die drei neu formulierten Schwerpunkte
- transformative Handlungen,
- strukturelle Veränderungen und
- die technologische Zukunft
im Unterricht behandelt werden können. Mit transformativen Handlungen ist ein verantwortliches gesellschaftliches Handeln gemeint, das im Unterricht durch Entwicklung mitfühlenden Bewusstseins, durch Empathie und Stärkung von Selbstwirksamkeit in geeigneten Projekten ermöglicht werden soll. Der zweite Schwerpunkt zielt auf strukturelle Ursachen und komplexe Zusammenhänge z.B. zwischen wirtschaftlichem Wachstum, industrieller Produktion und Konsum auf der einen Seite und unkontrollierbaren Mengen an Abfall und dem Temperaturanstieg auf der anderen Seite. Als Gegenpol zu Konsumgesellschaften stehen dabei Werte wie Suffizienz, Fairness und Solidarität. Der letzte Schwerpunkt geht der Frage nach, wie die technologische Zukunft 2030 aussehen wird. Damit wird die Bedeutung von Technologien und Auswirkung von Medien auf unser Leben deutlich. Wie beeinflusst die Nutzung von Medien unseren Alltag? Wie verändert künstliche Intelligenz unsere Bildungs- und Arbeitswelt? Ist eine vernetzte Welt eine sichere Welt? Diese Ziele werden weltweit in Schulprofile, in pädagogische Arbeit und mittlerweile auch in den DaF-Unterricht wirkungsvoll integriert.
Didaktisch-methodische Zugänge
Bei der Behandlung von BNE-Themen im DaF-Unterricht wird oft die CLIL-Methode (
Content and Language Integrated Learning) eingesetzt. CLIL ist ein beliebtes Konzept, in dem einzelne Unterrichtsphasen oder der ganze Fachunterricht wie Geschichte oder Erdkunde in der Fremdsprache unterrichtet wird. In Deutschland wird dagegen mit dem Konzept des Sprachsensiblen Fachunterrichts gearbeitet. In beiden Konzepten werden Lernende zur eigenständigen Sprachhandlung durch kooperative und kommunikative Methoden (
Methoden-Werkzeuge) befähigt, um sich zu komplexen Themen wie z.B. dem Unterschied zwischen relativer und absoluter Armut äußern zu können. Am Anfang ist zu klären: Wollen Sie eher eine Soft-CLIL-Variante (in Deutschland
Fachsensibler Sprachunterricht) durchführen? In diesem Fall werden im DaF-Unterricht bestimmte grammatische Themen wie Passiv (Der Müll
wird getrennt. Jede Sekunde
werden in Deutschland 313 kg Lebensmittel
weggeworfen.) oder Sprachhandlungen (
Beschreibe das Bild. Welche Personen sind von Armut betroffen?) anhand von BNE-Themen behandelt. Oder wollen Sie sich an der Hard-CLIL-Variante (in Deutschland
Sprachsensibler Fachunterricht) orientieren und vielmehr die fachliche Progression verfolgen und dabei gezielt sprachliche Hilfestellungen integrieren? Idealerweise arbeiten bei der Integration der BNE-Themen Sprach- und Fachlehrkräfte zusammen. Im Rahmen der Schulpraxis wird allerdings nicht selten kritisiert, dass das Fremdsprachenlernen auf Kosten der Fachinhalte geschieht. Stellt man wiederum Fachinhalte in den Vordergrund, werden Lernende überfordert. In der Regel mangelt es im Unterricht in den Fächern an sprachkompetenten Lehrenden, die Sprachlehrkräfte sind wiederum keine BNE-Expertinnen und -experten. Umso wichtiger ist eine gemeinsame Absprache dazu, wie die jeweilige Progression gesteuert werden kann.
Was kann ich tun?
Die BNE-Ziele haben einen integrativen und interdependenten Charakter und lassen sich somit auf unterschiedlichen Sprachniveaus einsetzen. In den ersten Lernjahren (A1-A2-Niveau) lohnt es sich im Einklang mit dem ersten Schwerpunkt soziale Fragen in Fokus zu nehmen. Besonders motivierend sind für Lernende Sachverhalte mit direktem Alltagsbezug, die an ihre Sprach- und Vorkenntnisse anknüpfen. Zur Ausbildung von Empathie und zur Erfahrung eigener Selbstwirksamkeit lassen sich Themen wie Menschlichkeit, steigende Armut in Corona-Zeiten behandeln oder Solidaritätsprojekte in eigener Region recherchieren. Werden Lernende persönlich involviert, dann wollen sie teilhaben, sich mitteilen und haben größere Lerneffekte. Als Gesprächsimpuls kann ein animiertes
Video dienen, das durch Lenkungsfragen wichtige Sprachmittel liefert: Wie verändert sich der Mann im Video? Er ist hilfsbereiter, netter, freundlicher also empathischer und somit menschlicher geworden. Für Grundstufe sind derartige audio-visuelle Materialien von Vorteil, da sie mehrere Lernkanäle ansprechen und das Seh-Hör-Verstehen unterstützen.
Auf fortgeschrittenem Niveau lassen sich strukturelle Zusammenhänge und Ursachen der sozialen, ökonomischen und ökologischen Phänomene im DaF-Unterricht behandeln oder auf Fachunterricht ausweiten. Insbesondere bei der Hard-CLIL-Variante bedient man sich der Aufgaben und Methoden der MINT-Fächer wie z.B. der Mystery Methode, in der Lernende eine rätselhafte Frage lösen sollen (Warum hungert Maya?). Dazu müssen sie kurze, ungeordnete Informationen zu einem Fall analysieren und Wirkungszusammenhänge entdecken. Um relevante Faktoren zu Ursachen, Betroffenheit und Effekten von Hunger und Armut zu diskutieren, reicht aber auch eine einfache Abbildung (Abb. 1).
© Stefan Roth
Mit Sprachhilfen zur Bildbeschreibung und zur Beantwortung der tragenden Frage
Was kann ich tun? lässt sich der Wortschatz z.B. um agile Verben (
etw. spenden, sich engagieren, j-n unterstützen) expandieren. Dass CLIL beim Wortschatzerwerb zu positiven Effekten führt, haben Augustín-Llach und Canga Alonso (2016) gezeigt.
BNE-Unterrichtsmaterial
Bei der Auswahl eines BNE-Themas und eines dazu passenden Materials ist besondere (Kultur-)Sensibilität geboten. Zu oft werden Themen wie Hunger und Armut eurozentrisch betrachtet und stereotyp dargestellt. Ideen aus der Schülerschaft sollen aufgegriffen und regionale sowie länderspezifische Gewichtung der BNE-Themen berücksichtigt werden. Ob Abholzung von Regenwäldern oder Verwendung von Bio-Kosmetik, gemeinsame Ideen können in Form von Video, Podcast oder Blog gesichert werden und in einem Ideenwettbewerb gewürdigt werden. Als bewährte Methoden gelten Quiz oder Umfragen à la Mentimeter, in denen Lernende Fragen und Antworten z.B. zu Nothilfe- und Entwicklungsarbeit gegen Armut und Hunger beantworten oder sogar selbst entwickeln. Neben den klassischen CLIL-Materialien können Lehrkräfte auf Seiten von gemeinnützigen Initiativen (
Welthungerhilfe,
OroVerde) oder auf deutschsprachigen
Schulplattformen und
Mediatheken fündig werden, die sogar BNE für Home-Schooling (
Portal Globales Lernen) anbieten.
Literatur
- Agustín-Llach, Maria Pilar; Canga Alonso, Andrés (2016): “Vocabulary growth in young CLIL and traditional EFL learners: evidence from research and implications for education.” In: International Journal of Applied Linguistics, 26 (2), 211–227.
- Bauer, Joachim: Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 2008.
- Coyle, Do; Hood, Philip; Marsh, David: CLIL – Content and language integrated learning. Cambridge: Cambridge University Press, 2010.
- Mülhausen, Julia: Neue Mysterys im Biologieunterricht: 9 rätselhafte Fälle zu Nachhaltigkeit und Ökologie. Hannover: Aulis-Verlag, 2020.
- Remmert, Natascha (2014): „Descubrir pistas y encontar soluciones. Die Mystery-Methode im Spanischunterricht.“ In: Der fremdsprachliche Unterricht. Spanisch, 12/44, 18–25.